debatte: Mehr Rationalität wagen
Die Linke wird angegriffen, weil sie nicht einfach ihr Wahlprogramm über Bord werfen will. Doch die Kritik folgt einer unterkomplexen militärischen Logik
Es hat schon fast etwas unfreiwillig Komisches. Sowohl den anderen demokratischen Parteien als auch der medialen Öffentlichkeit waren die außen- und sicherheitspolitischen Positionen der Linken in den vergangenen Jahren schlichtweg egal. Die Partei wurde nur noch mitleidig belächelt, ernst genommen wurde sie nicht. Das hat sich mit der Bundestagswahl radikal geändert. Denn künftig gibt es nur mit ihr eine Zweidrittelmehrheit jenseits der faschistischen AfD. Nun ist die Aufregung groß, weil die Linke doch tatsächlich nicht bereit ist, noch vor Konstituierung des neuen Parlaments einfach mal ihr Wahlprogramm über Bord zu werfen. Was für eine Unverschämtheit von diesen Vaterlandsverräter:innen!
Es scheint für viele schwer erträglich zu sein, dass die Partei keine Kopie der Grünen sein will, also früher mal friedensbewegt und heute „realpolitisch“ nur noch in einer militärischen Logik denkend, egal was es kostet. Dabei ist genau das der Wert der Linken: dass es im Bundestag wenigstens eine Stimme gibt, die nicht einfach mitmarschiert, sondern die Renaissance des Militärischen in Frage stellt. Ohne dabei entweder naiv oder mutwillig – wie die Kremlparteien AfD und BSW – die reale Bedrohung der europäischen Ordnung durch Putins Russland zu ignorieren.
Etwas mehr Rationalität würde der Debatte um die angeblich unumgängliche drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben guttun. So hat der Linken-Vorsitzende Jan van Aken recht, wenn er feststellt, dass bei den Militärausgaben kaufkraftbereinigt jährlich 430 Milliarden Euro der europäischen Nato-Staaten 300 Milliarden Euro Russlands gegenüberstehen. Ebenso eigentümlich ist es, wenn ignoriert wird, dass die Nato konventionell Russland weit überlegen ist. Da braucht es kein neues „Sondervermögen“, auch wenn das gerade die herrschende Meinung ist.
Eine Abschaffung oder Reform der Schuldenbremse wäre hingegen mit der Linken kein Problem: gegen die war sie von Anfang an. Damit ließen sich dann auch höhere Verteidigungsausgaben finanzieren. Eine andere Möglichkeit wäre, die Einnahmeseite des Bundeshaushalts zu verbessern, beispielsweise durch eine Reichensteuer. Dafür würde eine ganz normale Regierungsmehrheit reichen, wobei die Linke sicherlich zustimmen würde. Aber die Prioritäten derjenigen, die so laut tönen, es müsste drastisch aufgerüstet werden, sind dann offenkundig doch andere.
Pascal Beucker ist Redakteur im taz-Inlandsressort und gehört dem taz-Parlamentsbüro an. Sein neues Buch „Pazifismus – ein Irrweg?“ ist im Juli 2024 im Kohlhammer Verlag erschienen.
Wie absurd die gegenwärtige Diskussion ist, zeigt sich schon daran, dass dieselben, die behaupten, die EU-Staaten müssten jetzt Fantastilliarden ausgeben, um sich vor Russland zu schützen, ebenso behaupten, die EU-Staaten könnten der Ukraine auch ohne die USA zu einem Sieg über Russland verhelfen. Das eine wie das andere ist falsch. Was allerdings richtig ist: Auch wenn die USA ihre militärische Unterstützung für die Ukraine einstellen, könnten die europäischen Staaten dafür sorgen, dass Russland seinen Krieg nicht gewinnt. Aber das würde voraussetzen, dass auch andere Länder, beispielsweise Frankreich, Italien oder Norwegen, einen angemessenen ökonomischen Beitrag leisten. Als Erstes wäre es an der Zeit, dass Deutschland das blockierte 3-Milliarden-Euro-Paket für die Ukraine zur Luftabwehr freigibt. Auf die Linkspartei kommt es dabei nicht an.
Ja, dass die Linkspartei Waffenlieferungen an die Ukraine weiterhin ablehnt, kann und sollte kritisiert werden. Ohne die militärische Unterstützung des Westens hätte das angegriffene Land der Aggression Russlands nicht bis heute standhalten können. Deswegen ist es inkonsequent, wenn die Partei einerseits – wie in einem Vorstandsbeschluss vom Wochenende – verkündet, „immer an der Seite der Unterdrückten und Angegriffenen“ zu stehen, und ihre „volle Solidarität den Menschen in der Ukraine“ bekundet, aber andererseits nicht dazu beitragen will, dass das Land so lange standhalten kann, bis der Aggressor zu mehr bereit ist, als mit dem überfallenen Land über dessen Kapitulation zu verhandeln.
Auf alle Parteien kommen schmerzhafte Diskussionen zu
Aber das Dilemma, in dem sich die Ukraine-Solidarität befindet, ist nicht der Linken geschuldet. Das Problem ist doch eher, dass die EU-Staaten mit der BRD vorneweg in den vergangenen Jahren nicht – wie von der Partei gefordert – bereit waren, eigenständige diplomatische Initiativen zum Beispiel mit China und anderen Brics-Staaten zur Lösung des Konflikts zu starten. Keine Ahnung, ob sie Erfolg gehabt hätten. Aber stattdessen nur auf die USA und sonst bloß auf Waffenlieferungen zu setzen, war ein Fehler. Jetzt sitzt mit Donald Trump ein autoritärer Kleptokrat im Weißen Haus, der in alter imperialistischer Manier einen „Deal“ mit einer anderen Großmacht machen will: Russland bekommt den Boden, den es will, die USA die Bodenschätze – und die Ukraine hat sich zu fügen und ausplündern zu lassen. So stellt Trump sich das vor.
Angesichts der dramatischen Veränderung der Weltlage werden der Linkspartei schmerzhafte Grundsatzdiskussionen nicht erspart bleiben. Aber für die anderen demokratischen Parteien dürften sie noch wesentlich schmerzhafter sein. Denn was lässt Trump von der viel gepriesenen westlichen Wertegemeinschaft übrig? Was ist eine Nato noch wert, wenn deren Kern, also die Beistandsverpflichtung, für deren stärksten Mitgliedstaat nicht mehr gilt? Ist es wirklich verantwortbar, dass in Deutschland Mittelstreckenwaffen stationiert werden sollen, über deren Einsatz ausschließlich ein unberechenbarer antidemokratischer Geschäftemacher in den USA entscheidet? Und was ist mit den in der BRD stationierten Atomwaffen, über die Trump die alleinige Verfügungsgewalt besitzt? Die Linkspartei hat darauf Antworten, die man nicht unbedingt in jedem Punkt teilen muss, die aber nachvollziehbar sind. CDU, CSU, SPD und Grüne haben das bisher nicht.
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