10 Jahre nach Anschlag auf Charlie Hebdo: Den Verstand nicht verlieren
Der islamistische Anschlag auf „Charlie Hebdo“ lehrt uns: Nur humorvolle Kaltblütigkeit lässt uns ideologische Verbohrtheit halbwegs ertragen.
W ie komisch sind Idioten? Doofe Frage? Mitnichten. Wer auch nur halbwegs ein Herz und einen funktionierenden Denkapparat hat, kann nur komisch finden, was etwa ein bräsig und menschenfeindlich agierender Donald Trump als unvermeidlich kommender US-Präsident und sein narzisstischer Tech-Kumpan Elon Musk an Unterste-Schublade-Brutalo-Fake-Fetzen in die Welt setzen. Also komisch im Sinne von lächerlich, nicht lustig.
Und dennoch: Diese beiden – letztlich sind es Pechritter von höchst trauriger Gestalt, die permanent der Weltöffentlichkeit perfide Größenwahnsinniges, Hass und Hetze bescheren – benehmen sich, wenn man bei ihnen von Benehmen sprechen will, besser: sie gerieren sich so derart absurd, dass es doch schon wieder – lustig ist, ginge es nicht so traurig verroht bei ihnen und in ihrem mit Cash überquellenden Lager zu, dass einem immer wieder das Lachen vergeht.
Wären da also nicht die von solchen Knallchargen niedergeknüppelten zentralen Werte wie Humanismus, Toleranz und Demokratie, die es zu verteidigen gilt: Man könnte sich einfach und schlicht und folgenlos beömmeln über Idioten wie Trump und Musk und andere gefährlich mächtige und fast ausnahmslos männliche Vertreter ihrer Art aus Religion, Politik oder Wirtschaft. Leider reicht das nicht, es wird immer weniger reichen.
30 Jahre Wahrheit bei der taz
Schluss mit lustig also? Keineswegs, nie und nimmer, das wäre ja noch hässlicher, so, als hätten wir bisher umsonst gelacht. „Ridentem dicere verum“ – lachend die Wahrheit sagen: Das ist nicht nur das Motto der seit über 30 Jahren existierenden täglichen satirischen Wahrheit-Seite der taz. Es sollte auch immer wieder das Motto sein in der Auseinandersetzung mit Engstirnigkeit, Borniertheit und politischer Amnesie.
Mit dem perfiden Anschlag auf „Charlie Hebdo“ fing 2015 eine islamistische Angriffsserie in Frankreich an. Was am 7. Januar geschah, wie es weiterging.
Lachend die Wahrheit sagen, die natürlich niemand, auch wenn ideologische Fanatiker rund um den Globus das anders sehen und herausschreien, zur Gänze kennt, geschweige denn sie restlos durchdringt (Smiley!).
Denn es geht in diesen weiträumig verfahrenen Zeiten unter nicht wenigen anderen wichtigen To-dos auch darum, Humor und einen klaren Kopf zu bewahren. Komme, was wolle: Wir brauchen einen tatkräftigen, allen Übeln und Kümmernissen zum Trotz beschwingten, möglichst angstfreien Fatalismus. Es muss und darf auch gelacht werden über all diese viel zu vielen fies gelaunten, dümmlichen und leider oft gemeingefährlichen Trottel.
Manche Dinge sind nicht lustig
Die Redaktion der französischen Satirezeitung Charlie Hebdo – und ja, hier zum eigentlichen Anlass dieses Meinungsstücks – verkörpert seit 55 Jahren via ihrer Texte, Cartoons und Karikaturen rotzig, trotzig und letztlich ungebrochen genau jenes nonchalante Paradoxon. Und das auch nach dem verheerenden Brandanschlag, der 2011 die damaligen Pariser Redaktionsräume verwüstete, und noch viel stärker nach dem brutalen islamistischen Anschlag auf die Redaktionskonferenz von Charlie Hebdo am Mittwoch, dem 7. Januar 2015.
Schluss mit lustig?
Denn trotz dieses entsetzlichen und traumatisierenden Vorfalls, bei dem insgesamt zwölf Menschen erschossen wurden von den Attentätern Saïd und Chérif Kouachi, die sich zu Al-Qaida im Jemen bekannten, und bei dem viele, viele Menschen an Seele und Körper verletzt wurden: Charlie Hebdo zeichnet immer noch eine gegenüber weltlichem wie religiösem Schwachsinn komplett unerschütterliche, beißend humorvolle Grundhaltung aus. Das muss man erst mal hinkriegen – und das darf man in der journalistischen und künstlerischen Umsetzung als Außenstehende getrost auch mal geschmacklos, brachial, nicht lustig finden.
Man muss es aber in einer Demokratie im Rahmen der geltenden Gesetze zu Kunst- und Meinungs- und Pressefreiheit hinnehmen und aushalten. Und im besten Falle dagegenhalten, wenn illegitime, antidemokratische Regime oder gar sogenannte Gottesstaaten die eine weltliche oder gar göttliche und garantiert immer komplett unlustige, humorbefreite und allermeist auch frauen-, queer- und liebesfeindliche Wahrheit brutal durchdrücken wollen.
Eitelkeit ist kein guter Ratgeber
Werden etwa religiös konnotierte Cartoons oder Karikaturen zum eindimensionalen, sehr oft aus ihrem Kontext gerissenen und quer durch alle sozialen Medien gejagten Politikum, wird das, was Privatsache von uns allen ist, nämlich der religiöse Glaube oder Unglaube, so verhandelt, als wenn mit nur einer einzigen Zeichnung wir selber, unser Innerstes angegriffen würde. Es geht aber bei sitzender, gutgemachter Satire nicht darum, einzelne Menschen fertigzumachen.
Es geht darum, lächerliche Hauruckideologien und dogmatischen Starrsinn, die ohne Unterlass seit Erfindung und Start dieser Welt herumwabern und klar denkende, mitfühlende Menschen seit immer schon nerven und behindern, mit Esprit und Verve zu entlarven. Es geht darum, selbsternannten Obermuftis und Pharisäern jeglicher Couleur die Luft zum Weiterherumpesten gescheit und beherzt herauszulassen, sie nachhaltig, überlegt und mit Weitsicht lächerlich zu machen. Und es geht darum, wo immer möglich und sinnvoll, humane Alternativen aufzuzeigen.
Merci dafür an Wolinski und Cabu, Tignous, Elsa Cayat, Philippe Honoré, Mustapha Ourrad und Bernard Maris! Der bei dem feigen islamistisch motivierten Anschlag vom 7. Januar 2015 ebenfalls ermordete Charlie Hebdo-Chefredakteur Stéphane Charbonnier alias Charb schrieb über sein umstrittenes Medium zwei Jahre zuvor in einem Debattentext in Le Monde übrigens brachial-zärtlich Folgendes: „Charlie Hebdo ist ein Kind des Mai 1968, der Freiheit, der Unverschämtheit. Aber wir verteidigen den Menschen und seine universellen Werte.“
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