Journalist über Kunst zur Aufklärung: „Das Wichtigste an der Kunst ist, wie auf sie reagiert wird“
Jean Peters vom Recherchekollektiv „Correctiv“ diskutiert darüber, wie man mit Hilfe der Kunst über politische Gewalt aufklären kann.

taz: Herr Peters, wie kann nach Ihrer Meinung die Kunst ein Mittel dazu sein, über politische Gewalt aufzuklären?
Jean Peters: Journalismus hat die Aufgabe, Informationen so zur Verfügung zu stellen, dass die Gesellschaft selbstbestimmt darauf reagieren kann. Dafür müssen Informationen auf die eine oder andere Weise erfahrbar und nutzbar aufbereitet werden. Momentan ist es so, dass die Papierzeitungen und die Webseiten sterben und wir stattdessen algorithmische Informationen bekommen, die einer gesellschaftlich-demokratischen Kontrolle entzogen sind. Kunst bietet dagegen Ansätze dazu, wie Informationen auf einer ästhetischen, zwischenmenschliche Ebene neu erfahrbar sein können.
taz: Verstehen Sie die Kunst also als ein Mittel, um Informationen besser unters Volk zu bringen?
Peters: Wenn politische Gewalt ausgeführt wird und wir angesichts dessen isoliert sind und auf Bedrohungslagen wie rechte autoritäre Gewalt oder die Klimakatastrophe nicht reagieren und uns nicht organisieren können, dann ist die Kunst ein Raum, in dem man offen und unideologisch erforschen kann, wie wir die Welt anders erleben. Die Kunst hat diese Kraft, wenn sie die Menschen bewegt und berührt.
Podiumsdiskussion „Investigative Arts: Methods, Research, Approaches“ – wie mit der Hilfe der Kunst über politische Gewalt aufgeklärt werden kann: 26. 9., 20.15 Uhr, Kampnagel, Hamburg, Jarrestraße 20
taz: Es wird ja immer darüber gestritten, was überhaupt Kunst ist. Wie ist Ihre Position dazu?
Peters: Man erkennt schlechte Künstler daran, dass sie die Kunst definieren wollen. Kunst hat dagegen so viele Definitionen, wie es Menschen gibt. Das ist das Unfassbare an ihr. Sie zerbricht alle Grenzen und alle Beschränkungen des Denkens. Für mich ist das Wichtigste an der Kunst, wie auf sie reagiert wird. Mich interessiert es, wenn die Kunst Beziehungen schafft und Menschen im Bezug zueinander neu sortiert.
taz: Und wie macht die Kunst das möglich?
Peters: Das kann über Objekte passieren, über Aktionskunst oder über einen Theaterraum, in dem die Menschen anderthalb Stunden lang einer Person oder einem Ensemble zuhören und hinterher darüber diskutieren. Überall sind künstlerische Elemente drin. Und sei es in einen schönen Text oder einem Gedicht, durch das die Gedanken neu sortiert werden können.
taz: Können Sie dafür ein Beispiel aus Ihrer eigenen Arbeit geben?
Peters: Als wir von der Recherchegruppe „Correctiv“ die Texte zu unserem Projekt „Geheimplan gegen Deutschland“ veröffentlicht haben, gab es plötzlich viele Theater, die das nachspielen wollten. Wir haben ihnen unsere Texte kostenlos zur Verfügung gestellt und das Stück wurde in großen Theatern, aber auch in Kneipen, Schulen und Kirchen aufgeführt. Es war dann eins der meistgespielten neue Theaterstücke des Jahres 2024.
taz: Aber welche Kraft kann die Kunst noch haben angesichts aktueller politischer Gewalt?
Peters: Wenn ich ohnmächtig bin und unter großem Druck stehe, dann ist wenig Raum für Kreativität. Aber diese Kreativität braucht man zur gesellschaftlichen Konfliktbewältigung. In Ruanda standen sich zum Beispiel zwei Gruppen gegenüber. Da wurden Familien abgeschlachtet und Kinder vergewaltigt. Da sei mal kreativ. Aber um danach den Frieden miteinander zu finden, brauchst du die Kreativität. Es sind ja Aspekt des menschliche Daseins, das man mit der Hilfe der Kunst über das Bestehende hinaus denkt. Darum können wir politische Gewalt auch mit der Hilfe der Kunst überleben.
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