piwik no script img

Zyklon verwüstet Komoreninsel MayotteTausende Tote bei Tropensturm befürchtet

Auf der zu Frankreich gehörenden Insel Mayotte hat ein Wirbelsturm heftige Verwüstungen angerichtet. Hart getroffen hat es informelle Siedlungen.

Desolate Aussichten nach dem Zyklon „Chido“. Hier eine Siedlung in der Nähe der Hauptstadt Mamoudzou Foto: Lemor David/Abaca/imago

„Die Slums von Mayotte sind dem Erdboden gleichgemacht, ihre Bewohner in Schlamm und Wellblech versunken. Drei Viertel der festen Häuser haben kein Dach mehr. Es gibt kein Wasser, kein Essen, keinen Strom und es gibt Plünderungen. Wir brauchen: Ausnahmezustand, Armee, Ärzte, massive Hilfe.“

Der Tweet von Estelle Youssouffa, Wahlkreisabgeordnete aus der Insel Mayotte im französischen Parlament, am späten Sonntagnachmittag könnte dramatischer kaum sein. Nachdem am Samstag der tropische Wirbelsturm „Chido“ über die zu Frankreich gehörende Insel im Indischen Ozean hinweggefegt ist, befürchten Beobachter mittlerweile Tausende Tote, eine genaue Bestandsaufnahme war am Montag noch nicht möglich.

Schwere Wirbelstürme mit Tausenden Toten sind in dieser Region des Indischen Ozeans vor der afrikanischen Küste zwar keine Seltenheit. Aber diesmal zog das Auge des Sturms mit Windgeschwindigkeiten von 230 Stundenkilometern und sintflutartigen Regenfällen direkt über die französische Komoreninsel Mayotte hinweg und verwüstete alles auf seinem Weg.

„Alles ist weg“, zitiert die Nachrichtenagentur AP eine Bewohnerin des Hüttenviertels Kaweni in der Hauptstadt Mamoudzou. Ein Behördenmitarbeiter sagte: „Alle Slums sind plattgemacht.“ Auch solide gebaute öffentliche Gebäude – Schulen, Geschäfte, das Krankenhaus, das Gericht, die Präfektur – seien „schwer beschädigt“. Die Zeitung Libération zitiert eine Anwohnerin, es sehe aus, „als sei eine Atombombe eingeschlagen“. François-Xavier Bieuville, der Präfekt von Mayotte, sprach am Montagnachmittag von „vielleicht mehreren tausend Toten“.

Ein Behördenmitarbeiter sagte: Alle Slums sind plattgemacht.

Am schlimmsten hat es die illegalen Einwanderer getroffen, die in den Slums von Mamoudzou und den kleineren Städten unter prekären Bedingungen leben. Ihre Anwesenheit erklärt sich aus dem Sonderstatus von Mayotte. Eigentlich ist es eine der vier großen Inseln des Archipels der Komoren, der im 19. Jahrhundert französischer Kolonialbesitz wurden.

1975 wurden die Komoren unabhängig – aber ohne Mayotte, denn Frankreich hatte zuvor vier separate Unabhängigkeitsreferenden durchgeführt und Mayotte hatte als einziges der vier Gebiete Nein zur Unabhängigkeit gesagt. Frankreich behielt die Insel, im Widerspruch zum völkerrechtlichen Prinzip, dass Kolonialgebiete intakt in die Unabhängigkeit zu entlassen sind. Die Komoren erheben seitdem Anspruch auf Mayotte – Frankreich gliederte das Überseegebiet im Jahr 2011 offiziell als Departement ein.

Die Bevölkerung von Mayotte knüpft daran begreiflicherweise enorme Erwartungen: gleiche Lebensstandards wie in Frankreich, gleiche Sozialleistungen, Freizügigkeit. Die komplette Abhängigkeit führt aber wie auch in anderen französischen Überseegebieten immer wieder zu Protesten: Die Preise sind höher als in Frankreich, die lokalen Löhne viel niedriger, aber aus Frankreich entsandte Staatsangestellte verdienen um ein Vielfaches mehr – ein klassisches Kolonialphänomen.

Komoren nehmen Staatsbürger nicht zurück

Im Vergleich zu den unabhängigen Komoren ist Mayotte aber wohlhabend, und so landen auf der Insel jedes Jahr Tausende komorische Migranten sowie afrikanische Flüchtlinge, die sich auf Mayotte niederlassen und denken, sie seien nun in Frankreich. Von den offiziell rund 320.000 Bewohnern von Mayotte sind nach amtlichen Angaben fast die Hälfte Migranten, dazu kommen ungezählte unregistrierte Zuwanderer. Mayotte liegt von der nächsten Komoreninsel Anjouan rund 70 Kilometer entfernt. Die Regierung der Komoren lehnt die Rücknahme der eigenen Staatsbürger ab, da sie Mayotte als komorisches Staatsgebiet betrachtet.

Attraktiv ist für die Migranten insbesondere die Aussicht, dass ihre auf Mayotte geborenen Kinder das Anrecht auf die französische Staatsbürgerschaft erhalten. Die Antwort der jeweiligen Regierungen in Paris bestand in Versuchen, den Zustrom unattraktiv zu machen. So werden die in Mayotte geborenen Kinder komorischer Eltern seit diesem Jahr nicht mehr automatisch Franzosen, Aufenthaltstitel für Mayotte berechtigen nicht zur Weiterreise nach Frankreich. Schätzungsweise über 15.000 Kinder von Illegalen haben kein Recht auf Schulbesuch und leben von Bandenkriminalität. Die meisten Migranten lassen sich in selbst gebauten Slums nieder.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

All das ist der alteingesessenen Bevölkerung ein Dorn im Auge. Bei Frankreichs Präsidentschaftswahl 2022 erhielt die Rechtsextremistin Marine Le Pen auf Mayotte fast 60 Prozent der Stimmen. Ab 2023 wurden im Rahmen der Operation „Wuambushu“ ganze Hüttenviertel dem Erdboden gleichgemacht. Die vorerst letzte derartige Operation endete erst am 11. Dezember 2024, drei Tage vor dem Wirbelsturm, mit der Zerstörung von 466 Wellblechhütten, in denen 2.000 Menschen lebten. „Ein administrativer Erfolg, ein taktischer Erfolg und ein Sicherheitsbeweis“ nannte das der Präfekt von Mayotte. 33 Familien wurden umgesiedelt – „der Rest wird vermutlich woanders Hütten bauen“, zitiert AFP eine Quelle in der Präfektur.

Die Opfer vergangener oder bevorstehender Räumungen sind nun auch am schwersten vom Wirbelsturm betroffen. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen äußerte sich am Montag „besonders besorgt um die Menschen, die in den völlig zerstörten Barackensiedlungen leben; die Lebensbedingungen dieser Menschen waren schon vor dem Wirbelsturm äußerst prekär“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • " Mayotte hatte als einziges der vier Gebiete Nein zur Unabhängigkeit gesagt. Frankreich behielt die Insel, im Widerspruch zum völkerrechtlichen Prinzip, dass Kolonialgebiete intakt in die Unabhängigkeit zu entlassen sind. "

    Was gilt nun mehr, die demokratische Entscheidung der Bewohner oder ein Prinzip ?

    " Die Preise sind höher als in Frankreich, die lokalen Löhne viel niedriger, aber aus Frankreich entsandte Staatsangestellte verdienen um ein Vielfaches mehr – ein klassisches Kolonialphänomen. "

    Klar sind die Preise höher, die meisten waren müssen ja erstmal dort ankommen, klar sind die Löhne niedriger da vermutlich die meisten Jobs im Tourismussektor angesiedelt sind und klar verdienen die Staatsangestellten mehr, wie lockt man sie sonst auf einen Posten am Ende der Welt.



    Alles keine Kolonialphänomene, vor allem das es keine Kolonie mehr ist.

    Sorry, aber der Artikel strotzt nur so von Vorurteilen und Fehleinschätzungen.

  • Hoffentlich haben die Bürger ihr Geld nicht in Bitcoin umgetauscht.



    Wer spendet jetzt? Die kleinen Bürger mit Mitgefühl. Und unsere Kapitalismus-Psychopathen wittern schon Möglichkeiten, wie sie aus dem Elend Profit ziehen.