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Zwischenquartier für Schirn KunsthalleDas Kollektiv, die Kunst und die Stadt

Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main zieht temporär in die alte Dondorf-Druckerei, für deren Erhalt sich Be­set­ze­r*in­nen eingesetzt hatten

Vorbote des Neuen: Gebäude der ehemaligen Druckerei Dondorf in Frankfurt-Bockenheim Foto: Schirn Kunsthalle Frankfurt 2025, Foto: Norbert Miguletz

Große gelbe Lettern auf blauem Untergrund versprechen: „HERE WE ARE SOON“. Hinter dem Schild erhebt sich ein schönes Industriegebäude aus dem 19. Jahrhundert, das derzeit eine Baustelle ist. In die ehemalige Dondorf-Druckerei im Frankfurter Stadtteil Bockenheim wird SOON und temporär die Schirn Kunsthalle Frankfurt einziehen, eins der wichtigsten Ausstellungshäuser Europas.

Der ambitionierte Zeitplan sieht vor, dass die Eröffnung am 7. September gefeiert wird. Zwei Jahre lang soll das alte Druckereigebäude von der Schirn zwischengenutzt werden, während das Stammhaus am Römerberg, der postmoderne Bau des Architekturbüros Bangert, Jansen, Scholz & Schultes aus den 1980er-Jahren, saniert wird. Dass damit der Erhalt der leerstehenden Druckerei, für den sich sowohl Haus­be­set­ze­r*in­nen als auch eine eigens gegründete Initiative eingesetzt hatten, gesichert ist, klingt zunächst nach einem Gewinn für alle Beteiligten –, dennoch gibt es Streit.

Wie sehr das Thema die Frank­fur­te­r*in­nen umtreibt, zeigt sich schon daran, dass beim Interview mit der Initiative Dondorf-Druckerei gleich fünf Ge­sprächs­part­ne­r*in­nen anwesend sind. Lange war die Druckerei vom Institut für Kunstpädagogik der Goethe-Universität genutzt worden, bis dieses Ende 2022 auf den Campus Westend umzog.

Der Abriss drohte. Anfang 2023 gründete sich die Initiative mit dem Ziel, das Gebäude zu erhalten oder zumindest einen Konsens in der Stadt über seine Zukunft zu erwirken. Die Mitglieder betonen die Bedeutung von Dondorf. „Die Geschichtsträchtigkeit bemisst sich an verschiedenen Benutzungen im Laufe der vergangenen 135 Jahre“, sagt Willy Breder. Einst gehörte die Druckerei einer jüdischen Kaufmannsfamilie, später nutzten sie die Nazis, um dort Propaganda zu drucken, beim Luftangriff auf Frankfurt am 8. Februar 1944 wurden große Teile zerstört. 1961 zog die Uni in das wiederaufgebaute Gebäude ein.

Druckerei im Sommer besetzt

Im Juni 2023 wurde die Druckerei während eines Sommerfests in Bockenheim besetzt; die Haus­be­set­ze­r*in­nen nutzten das Fest, um breite Aufmerksamkeit zu generieren, knapp drei Wochen später räumte die Polizei das Gebäude. Während die Be­set­ze­r*in­nen versuchten, den Abriss zu verhindern, mobilisierte die Initiative die Stadtgesellschaft.

„Das aufgeklärte Bürgertum in Frankfurt ist unglaublich stark“, ist Konrad Götz überzeugt, der gegenüber der Druckerei wohnt. „Ich bin der Meinung, hier lässt sich die Mitte diskursiv aktivieren. Das hat mit der Tradition der Kritischen Theorie zu tun.“ Es gab Unterschriftenlisten, mehrere Museen wurden kontaktiert, die sich ebenfalls für den Erhalt einsetzten. „Wir von der Initiative haben für die Besetzung auch flammende Statements gehalten“, ergänzt Cordula Kähler, die vor ihrer Pensionierung als Restauratorin im Skulpturenmuseum Liebieghaus arbeitete.

Nach einer weiteren Besetzung im Winter 2023 und einigem Hin und Her wurde schließlich beschlossen, dass die Schirn temporär in die Dondorf-Druckerei ziehen wird. „Die Druckerei hat eine besondere Atmosphäre, trotz des vorherigen Leerstands ist sie ein lebendiger Ort, der den Menschen viel bedeutet“, hebt Schirn-Direktor Sebastian Baden hervor. „Auf dem Gelände haben wir die Möglichkeit, zwei Ausstellungen parallel zu zeigen.“

Er verspricht ein offenes Foyer, ein Café und Aufenthaltsmöglichkeiten im Innenhof. Das Kollektiv Die Druckerei, das aus ehemaligen Be­set­ze­r*in­nen besteht, ist weniger begeistert von der Zwischennutzung. „Wir sind froh, dass Dondorf erhalten bleibt“, sagt Jule, die nur ihren Vornamen preisgeben möchte. „Wir haben die Druckerei aber besetzt, um dort einen selbstverwalteten, unkommerziellen Begegnungsort zu schaffen. Dafür steht die Schirn nicht. Sie ist eine Kunstinstitution, die als Museum natürlich kein niedrigschwelliges Angebot schafft, mit dem möglichst viele Menschen Zugang zu Kunst und Kultur haben.“

Kostenfreie und kostengünstige Angebote

Auf diese Vorwürfe angesprochen, betont Baden, man müsse den „spezifischen Kontext“ betrachten. Die Schirn habe den öffentlichen Auftrag, international wahrgenommene, hochkarätige Ausstellungen anzubieten. Geld spiele dabei auch eine Rolle. „Wir haben einen hohen Eigenfinanzierungsteil. Das heißt, die Schirn muss verantwortungsvoll und wirtschaftlich agieren.“ Es sei ihnen aber wichtig, „ein offenes Haus zu sein, Kultur zugänglich zu machen, Barrieren abzubauen“. Deswegen richte sich das Programm „an die Breite der Bedürfnisse unseres vielfältigen Publikums“. Neben den Ausstellungen, auf die Eintritt erhoben wird, soll es auch kostenfreie und kostengünstige Angebote geben.

Dass einst besetzte Häuser später kommerziell genutzt werden, ohne Beteiligung der ursprünglichen Be­set­ze­r*in­nen, ist ein klassisches Merkmal von Gentrifizierung. Historisch und global lassen sich unzählige Beispiele dafür finden. In New York etwa nutzten Künst­le­r*in­nen in den 1960ern und 1970ern leerstehende Industriebauten in SoHo als Lofts, Ausstellungsräume und Partylocations; heute reihen sich in dem Viertel hochpreisige Boutiquen und Geschäfte von Louis Vuitton und Stella McCartney aneinander. Ein paar Schritte entfernt geschah im East Village in den 1980er-Jahren Vergleichbares, als Künst­le­r*in­nen Erdgeschosswohnungen in abbruchreifen Gebäuden zu kleinen Galerien umfunktionierten. Wie sehr solch informelle Orte für Kunst die Stadtaufwertung ankurbeln, darauf wies schon in den 1970ern der US-amerikanische Geograf Neil Smith prominent hin.

Es geht aber auch anders, wie ein Beispiel aus Rom zeigt. Dort wurde 2009 eine ehemalige Salamifabrik besetzt, die heute Wohnort für 200 Menschen ist und seit 2012 auch ein alternatives Museum beherbergt, mit dem wunderbar sperrigen Namen „Museo dell’Altro e dell’Altrove di Metropoliz“. Die Fabrik war bereits 1978 stillgelegt worden und wurde im Jahr 2003 an einen italienischen Baukonzern verkauft. Zu den rund 100 Erst­be­set­ze­r*in­nen gehörten vor allem Menschen aus Lateinamerika, Afrika sowie Roma; drei Jahre nach der Besetzung wurde von diesem primär aus Künst­le­r*in­nen und Geflüchteten bestehenden Be­woh­ne­r*in­nen­kol­lek­tiv das Museum eröffnet.

Fast nirgendwo wurde der Häuserkampf in den 1970ern so erbittert geführt wie im Westend

Dieses zeigt nicht nur zeitgenössische Kunst, sondern veranstaltet auch Performances und politische Veranstaltungen. Die Stadt Rom hat inzwischen entschieden, diese Besetzung zu legalisieren. Laut aktuellen Plänen soll die Fabrik in einen Gebäudekomplex mit Sozialwohnungen umgewandelt werden, zu denen die jetzigen Be­woh­ne­r*in­nen bevorzugt Zugang erhalten sollen – auch wenn diese klagen, nicht ausreichend genug in den Planungsprozess eingebunden zu sein. In Ljubljana wiederum ist es mit dem Metelkova, einer ehemaligen Kaserne, die seit 1993 besetzt ist, Künst­le­r*in­nen und Be­set­ze­r*in­nen gelungen, auf dem Gelände ein autonom geführtes Kulturzentrum zu etablieren.

Man muss Frankfurt aber gar nicht verlassen, will man auf die Folgen von Besetzungen schauen. Immerhin wurde fast nirgendwo in Westdeutschland der Häuserkampf in den 1970ern so erbittert geführt wie im Westend, dem an Bockenheim angrenzenden Viertel. Heute ist das Westend mit seinen prächtigen Gründerzeit- und Jugendstilvillen das teuerste der Stadt. Schaut man auf diese Entwicklungen, ist die Tatsache, dass nun die Schirn in die Dondorf-Druckerei zieht, wohl die bestmögliche Lösung – weder wird das Gebäude abgerissen noch in Luxusapartments umgewandelt.

Warten auf Unterstützung

Im Kollektiv zeigt man sich dennoch enttäuscht darüber, dass negiert würde, „wie viel Kraft und Arbeit in den Erhalt des Gebäudes geflossen ist, wodurch die Schirn es überhaupt nutzen kann“. Die Initiative wiederum ist erleichtert, dass die „Dauerrangelei“, wie Götz es bezeichnet, vorbei ist und Klarheit herrscht. „Die Schirn wird Standards setzen, hinter denen eine zukünftige Nutzung“ – nach der Schirn wird die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst einziehen – „nicht mehr zurück kann in Hinblick auf Offenheit, lebendige Atmosphäre und Kultur“, so Breder.

Immerhin bei einem Thema kommen die drei Parteien zusammen: Den zweiten Stock dürfen Initiativen und Vereine (darunter auch das Kollektiv) selbst bespielen. Die Initiative Dondorf-Druckerei wünscht sich außerdem einen Gedenkraum, in dem dauerhaft der Geschichte Dondorfs gedacht wird. Auf einer persönlichen Ebene bleiben die Haus­be­set­ze­r*in­nen aber die Verlierer. Denn, wie Jule sagt: „Was uns irritiert zurücklässt, ist, dass die Schirn bald einziehen wird und Partys feiert, während wir vor Gericht sind und Strafbefehle bei uns ankommen. Auf Unterstützung der Schirn warten wir bisher vergeblich.“

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