Wohnungsnot und steigende Mieten: Häuserkampf in Rom

In Italiens Hauptstadt ist die Wohnungsnot besonders groß. Mehr als 10.000 Menschen leben deshalb in besetzten Häusern.

Zwei Häuser in Rom, eines ist mit buntem Graffito bemalt

Das Paradies ist anderswo: Das prekäre Viertel San Basilio Foto: Zucchi/Insidefoto/Ropi

ROM taz | Das Maklerbüro im Viale Ionio in Rom, zehn Kilometer nördlich raus aus dem Stadtzentrum, hat ein reiches Angebot im Schaufenster. Mieten? Kaufen? Kein Problem. Für 149.000 Euro kann man eine Drei-Zimmer-Wohnung erwerben, der Bau – wohl aus den 60er Jahren – sieht eher bescheiden aus, die Fotos von den Zimmern versprechen alles andere als Luxus.

Gleich ums Eck findet sich schon der nächste Makler, 50 Meter weiter noch einer. So ist es eigentlich überall in Rom. An Angebot herrscht wahrlich kein Mangel, wohl kaum eine europäische Metropole dürfte eine solche Dichte an Wohnungsvermittlern erreichen. Dazu noch hängen an zahlreichen Gebäuden Pappschilder, „Zu vermieten“, „Zu verkaufen“.

Für römische Verhältnisse sind die Preise hier günstig, in gehobenen Vierteln wie Parioli sind für 200 Quadratmeter gerne auch 1,5 Millionen Euro fällig, und im Zentrum werden 50-m²-Wohnungen für 1500 Euro Kaltmiete angeboten.

Doch dann ist da noch dieses andere Büro im Stadtviertel Tufello: Im Souterrain eines jener Sozialwohnungsbauten, die hier direkt nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden. „La casa è un diritto“, „Es gibt ein Recht auf Wohnung“ heißt es auf dem Wandgemälde direkt neben dem Eingang. Die linke Basisgewerkschaft USB ist hier mit ihrer Mietervereinigung ASIA (Vereinigung der Mieter und Sozialmieter) präsent, und an Kundschaft herrscht kein Mangel. Denn trotz des reichlichen Angebots auf dem Markt leben in Rom zehntausende Menschen, die sich dieses Angebot nicht leisten können.

Die pure Not

Eine Wohnung sicher und bezahlbar. Ein Ort, wo man sich geborgen und wohl fühlt, zu Hause eben. So elementar verorten wir den überstrapazierten, ideologisierten Begriff Heimat. In der taz-Serie "Wohnen ist Heimat" fragen wir: Welche Modelle, Visionen, Projekte gibt es? Was können die Städte, was kann die Politik tun? Wie lassen sich gute und zugleich preiswerte Wohnungen realisieren? Wann sagen wir: Wo ich wohne, ist Heimat?

Menschen zum Beispiel wie Valentina. Die junge Frau, 36 Jahre alt, will wie alle anderen in diesem Text ihren Nachnamen nicht in der Zeitung stehen haben. Sie ist heute bei ASIA vorbeigekommen, weil sie mal wieder Post von der Wohnungsgesellschaft ATER (Territoriale Wohnungsgesellschaft) bekommen hat, die die öffentlichen Sozialwohnungen in der Stadt verwaltet. Valentinas Problem: Sie ist gar keine Mieterin bei ATER, sie hat eine Wohnung besetzt.

Nein, das war keine politische Aktion – es war pure Not. Früher wohnte sie am anderen Ende der Stadt, im Süden, in Centocelle. Ihre Mutter war Inhaberin einer Kaffeebar, und die gesamte Familie – der Vater, der Bruder, die Schwester – arbeiteten dort. Doch dann, nach der Finanzmarktkrise 2008, liefen die Geschäfte schlecht, die Schulden stiegen der Familie über den Kopf, die Bar musste schließen und, schlimmer noch, die mit einer Hypothek belastete Eigentumswohnung der Mutter wurde von der Bank eingezogen.

„Am Ende standen wir alle auf der Straße“, erzählt Valentina. Sie ging zum Stadtbezirksamt, fragte nach Hilfe, für sich, für die Familie, vor allem für die kleine Schwester, die gerade Mutter geworden war, noch minderjährig. „Auf dem Amt sagten sie mir bloß, wir könnten doch in den Obdachlosenunterkünften nächtigen, in diesen Unterkünften, wo abends der Schlafsaal öffnet und man morgens rausgeworfen wird“, empört sich Valentina.

Danilo, Hausbesetzer

„Wir haben immer wieder angeboten, Miete zu zahlen, aber die lassen uns einfach nicht“

Zusammen mit anderen Familien besetzten sie 2010 ein leerstehendes Gebäude, sie wurden umgehend rausgeräumt, doch wenigstens brachte die Stadt sie notdürftig unter: in einem Wohncontainer auf einem Campingplatz am Stadtrand. Ein Jahr später erfuhr sie dann von jener seit fast einem Jahr leerstehenden Sozialwohnung der ATER. Sie brach die Tür auf, besetzte die Wohnung zusammen mit ihrer Schwester samt deren Baby.

20.000 Euro Strafe

Ihren Wohnsitz hat sie jetzt offiziell dort. „Doch als die Stadtpolizei vorbei kam, um meinen Wohnsitz zu prüfen, wie es in Italien üblich ist, haben sie mir gleich eine Geldbuße von 20.000 Euro aufgebrummt, wegen illegaler Besetzung“, fügt Valentina mit sarkastischem Lächeln hinzu. „Ich kann in Rom schon keine normale Miete zahlen – doch sie wollen diesen Batzen Geld!“

Die Buße hat sie nicht gezahlt, jeden Monat aber führt sie 173 Euro an die ATER ab, für 45 Quadratmeter Wohnfläche, den erhöhten Mietsatz für Besetzer. „Für den Staat bin und bleibe ich einfach eine Gesetzesbrecherin“, bilanziert sie, „aber was soll ich machen?“

Valentina hat zwar einen festen Job, sie ist Verkäuferin in einem Supermarkt. Doch der beschäftigt sie nur Teilzeit, am Ende bleiben 600 Euro netto, „damit finde ich in Rom auf dem freien Markt nie eine Wohnung“.

Für Politik hat sich Valentina früher nie groß interessiert. Doch mittlerweile geht sie zu jeder Wohnungsräumung. „Wir können da nicht viel machen, die Polizisten ziehen ihre Knüppel, die sprühen Pfefferspray, aber wenigstens unsere Solidarität wollen wir zeigen“.

Ein Schlüssel für Zehntausende Euro

So wie ihr ging es auch Apollonia Polidori, einer 68-jährigen alten Dame, die in ihrem Leben Alte und Menschen mit Behinderung gepflegt hat, dann als Hausmeisterin an Schulen arbeitete, fast immer mit prekären Verträgen. Das Resultat: Sie hat heute eine Rente von gut 700 Euro.

In Rom geht damit gar nichts auf dem Wohnungsmarkt. Auch sie hörte von einer Sozialwohnung. Der alte Mann, der sie bewohnte, war gerade verstorben. Apollonia will nicht bestätigen, dass sie die Wohnung gleichsam vom Sohn, übrigens einem Polizisten, „gekauft“ hat, „ich habe nichts schriftliches“.

Aber das ist durchaus das übliche Verfahren in Rom: Die städtischen Sozialwohnungen werden von dem, der die Schlüssel hat, für etwa 15.000 bis 20.000 Euro auf einem natürlich völlig irregulären Markt angeboten.

Eine Familie in Winterkleidung steht in einer brachen Gegend

Zurück auf der Straße: Hausbesetzerin nach ihrem Rausschmiss, Rom im Winter 2012 Foto: Tersigni/Eidon/Ropi

„Ich habe nichts schriftliches, also sage ich nicht, dass ich gekauft habe“, verteidigt sie sich, „sonst handele ich mir noch eine Verleumdungsklage ein“. Apollonia zahlt für ihre Zwei-Raum-Wohnung die erhöhte Miete von 200 Euro monatlich als „Besetzerin“, aber laufend gehen ihr Räumungsbescheide zu, nachts schläft sie schlecht, sie klagt über Panikattacken, weil sie Angst hat, dass eines Tages die Polizei wirklich vor der Tür steht, um sie rauszuwerfen.

Schlecht verwaltet, nach unklaren Kriterien vergeben

Immer wieder passiert das im Stadtviertel. Nicht dass sie den regulären Weg nicht probiert hätte: Schon vor Jahren hat sie den Antrag auf eine Sozialwohnung gestellt – doch eine Antwort gab es nie.

„In Italien läuft alles falsch“, bilanziert sie. Wohngeld oder ähnliches? Fehlanzeige. Wer nichts hat, ist angeschmiert. „In Deutschland oder anderen Ländern nördlich der Alpen wäre ich nicht so übel dran“, glaubt Apollonia.

Auch Michelangelo Giglio von der ASIA-USB sieht das so. Geradezu endemisch sei die Wohnungsnot in Rom, seit Jahrzehnten schon, führt er aus. Häuserkämpfe gab es schon vor Jahrzehnten, und es war in Rom nicht die Studentenbewegung, sondern das Proletariat der Stadt, das ganze Wohnblocks besetzte. Gerade einmal 3 Prozent des gesamten Wohnungsbestands seien öffentlich bereit gestellte Sozialwohnungen.

In Rom gibt es etwa 75.000, „schlecht instandgehalten, schlecht verwaltet, nach unklaren Kriterien zugeteilt“. Die Folge: ein Achtel, um die 10.000 Wohnungen, sind von Menschen besetzt, die ihre vier Wände nicht zugeteilt bekommen, sondern sie sich einfach genommen haben.

Mitten im In-Viertel

Hier im Tufello, erzählt Giglio, finden sich um die 10.000 Wohnungen in staatlichem Besitz. Schon Mussolini fing mit deren Bau an, dann ging es unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg weiter. Doch immer blieb der öffentliche Wohnungsbau der Tropfen auf den heißen Stein, „Rom war und ist das Eldorado der privaten Großunternehmer im Bausektor, die sich hier eine goldene Nase verdient haben, auch weil der Staat sich vornehm beiseite hielt“, befindet der Gewerkschafter.

12.000 Familien seien auf der Warteliste für öffentliche Sozialwohnungen, faktisch aber könne man mit 50.000 kalkulieren, denn schon bei einem kleinen Formfehler im Antrag sei man raus. Und habe dann die Wahl, sich damit abzufinden, womöglich auf der Straße zu stehen – oder zum „Delinquente“ zu werden, zum Gesetzesbrecher.

Als Delinquenti sehen sich auch die Menschen eingeordnet, die in dem großen Komplex an der Via del Porto Fluviale, der Hafenstraße, im Stadtviertel Ostiense hausen. Nur zwei U-Bahn-Stationen sind es vom Kolosseum, Ostiense hat sich zum In-Viertel entwickelt, doch das ist nicht der Grund, warum die gut 150 Personen des „Porto Fluviale“ hier Quartier genommen haben.

Heute ist die komplette Fassade des Palazzo von einem Mega-Mural verziert, der kaum noch erahnen lässt, dass hier früher einmal die italienische Luftwaffe ein Lager unterhielt. 65 Familien leben heute hier, sie stammen aus Marokko, aus Kolumbien, aus Italien, Tunesien, Pakistan, Rumänien oder Algerien.

Erst die Not, dann die Politik

Und sie haben alle eines gemein: Bezahlbaren Wohnraum fanden sie nicht in Rom. Am Dienstagabend treffen sie sich zur Assemblea, zur Hausversammlung im großen Saal im Erdbeschoss. Wohl 60 der Besetzer sind da, sie bilden einen Querschnitt durch das multiethnische Rom: Frauen mit Kopftuch sitzen neben Indigenen aus Peru oder Ecuador und Italienern, die meisten sind zwischen 40 und 50 Jahren alt.

Schon an ihrem Look wird deutlich: Hier trifft sich nicht die alternative Szene, Piercings, Rastalocken, violett gefärbte Haare sucht man vergebens. Hier sind nicht Leute beisammen, für die Hausbesetzung ein politischer Akt ist. Eher schon ist es umgekehrt.

Emanuela zum Beispiel, mit ihren 39 Jahren eine der Jüngeren, streicht ihr langes pechschwarzes Haar zurück, während sie erklärt, in ihrer Schulzeit und auch danach habe sie sich politisch nie engagiert. Sie lebte einfach das ganz gewöhnliche Leben einer Frau, die sich in Rom mit niedrigem Einkommen durchschlagen muss. Seit sie 19 war, arbeitete Emanuela mehrere Jahre als Kellnerin in einer Kneipe, später dann als Verkäuferin.

Valentina, Hausbesetzerin

„Auf dem Amt sagten sie mir, wir könnten doch im Obdachlosenheim nächtigen“

„Immer wurde ich schwarz bezahlt“, erzählt Emanuela, und wenn 1000 Euro zusammenkamen, war es viel. „Mit einem solchen Einkommen findest du in Rom nie und nimmer eine Wohnung, bei mir reichte es immer nur für ein Zimmer“. Bis vor elf Jahren teilte sie sich eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit einer Frau, zahlte dafür 375 Euro Monatsmiete, „doch die warf mich dann raus, weil sie an meinem Freund Anstoß nahm, der war nämlich schwarz, und das fand sie einfach skandalös“, berichtet sie.

Schwanger auf der Campingliege

Da war Emanuela schon im vierten Monat schwanger. Eine Woche musste sie im Auto schlafen, anschließend konnte sie auf einer Campingliege im Lagerraum des Ladens nächtigen, in dem sie arbeitete. Eine Kollegin erzählte nahm sie für einige Wochen in ihrer Wohnung in einem besetzten Haus auf – und die kam so in Kontakt mit dem „Koordinationsrat Kampf für Wohnungen“, der auch die Besetzung der alten Kaserne am Porto Fluviale organisiert hatte, und zog schließlich dort ein.

Einigermaßen eng sei ihre Wohnung, klagt sie. Mit dem Freund, der elfjährigen Tochter und dem neunjährigen Sohn bewohnt sie 45 Quadratmeter. Doch Emanuela hat die Mega-WG als alternative Lebensform entdeckt, „und für die Kinder ist es einfach ein Paradies, der große Hof, die anderen Kinder, aber auch die vielen Erwachsenen als Ansprechpartner, die Feste, die Zirkusgruppe, die regelmäßig im großen Saal übt“, sagt sie mit strahlenden Augen.

Einer der wenigen, die von vornherein politisch aktiv waren, ist dagegen Danilo. 2001 war der 42-Jährige schon in Genua bei den Massenprotesten gegen den G8-Gipfel in Genua dabei, 2003 dann nahm er an der Besetzung des Porto Fluviale teil. Danilo berichtet, dass die meisten hier schon seit Jahren wohnen, die Fluktuation ist minimal, „deshalb haben wir in den letzten Jahren praktisch keine neuen Personen aufgenommen“.

Wie die anderen auch wünscht er sich Verhandlungen mit der Stadt, um das Nutzungsrecht am Gebäude zu erhalten. „Wir haben auch immer wieder angeboten, Miete zu zahlen, einen fairen Preis auf dem Niveau der Sozialmieten, aber die wollen uns einfach nicht zahlen lassen“, sagt er mit einem ironischen Lächeln. Die gegenwärtige Stadtregierung unter der Fünf-Sterne-Bürgermeister Virginia Raggi mauere noch stärker als ihre Vorgänger, „für die sind wir Gesetzesbrecher, Punkt, und wir sollen raus“.

Räumen, statt Abhilfe schaffen

Die Zahl der Menschen, die in Rom in besetzten Objekten, in früheren Hotels oder Bürogebäuden leben, wird auf 10 bis 12.000 geschätzt, über 100 Gebäude quer durchs Stadtgebiet werden so genutzt. Doch statt neue Sozialwohnungen zu errichten, lässt die Stadt jetzt räumen.

Nach seinem Job gefragt, lächelt Danilo verlegen. Als Verwalter von B&B-Apartments ist er tätig, er händigt Touristen die Schlüssel aus, kümmert sich ums Frühstück, „und natürlich wirke ich so an der Gentrifizierung mit, an der Verdrängung der Wohnbevölkerung, die ich ja hier bekämpfe“.

Danilo schüttelt den Kopf. Eigentlich müsse es in Rom gar keine Wohnungsnot geben, „wenn die Stadt endlich begreifen würde, dass Projekte wie unseres ungenutzte Gebäude in Wohnraum verwandeln können, ließe das Problem sich binnen zwei, drei Jahren lösen“.

Das meint auch Enrique. Mit seiner sanften Stimme wirkt der kleine Mittvierziger aus Peru ganz gewiss nicht wie ein Straßenkämpfer, doch er gehörte vor 15 Jahren zu den Besetzern der ersten Stunde. Sein Geld verdient er mit Goldschmiedearbeiten, im Erdgeschoss bildet er in einer Werkstätte Jugendliche aus. Der Kurs ist gratis, genauso wie die Zirkusschule, demnächst sollen noch eine Näh- und eine Fahrradwerkstatt hinzukommen.

Diese Projekte könnten auch endlich die Abschottung des Porto Fluviale gegenüber dem Stadtviertel aufzubrechen, fügt Danilo hinzu, „bisher waren wir isoliert, standen allein, aber wir können hier in Rom nur etwas ändern, wenn Beispiele wie unseres nach außen ausstrahlen“.

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