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Zweite Coronawelle in NepalAus dem Tiefschlaf erwacht

Die zweite Welle der Pandemie trifft Nepal mit voller Wucht. Lange wollte Premier Oli das nicht wahrhaben. Nun bittet er das Ausland um Hilfe.

Die Sauerstoffflaschen wurden wieder aufgefüllt, um sie bei der Behandlung einsetzen zu können Foto: Navesh Chitrakar/reuters

Mumbai taz | Um in Nepal einen weiteren Aufnahmestopp in Krankenhäusern zu vermeiden, haben Politiker darum gebeten, leere Sauerstoffflaschen von Bergexpeditionen auf den Mount Everest zurückzubringen. Sie sollen wieder aufgefüllt werden und so Erkrankten das Atmen ermöglichen.

Doch es mangelt noch an vielem mehr in der Himalaya-Region. Seit dem nepalesischen Neujahr Mitte April leidet das Land unter dem raschen Anstieg von Covid-19-Infektionen. Viele Bekannte von Anish Manandhar, Restaurant-Besitzer und Bewohner der Hauptstadt Kathmandu, sind bereits erkrankt, Eltern von Freunden verstorben. Über urbane Zentren wurde eine Ausgangssperre verhängt, der internationale Flugverkehr eingeschränkt.

Manandhar befindet sich derzeit mit Verdacht auf Covid-19 und leichten Symptomen in Quarantäne. Einen Grund für den gefährlichen Anstieg sieht er in der offenen nepalesischen Grenze zu Indien, die schwierig zu kontrollieren sei.

Nepal hatte sich während der wichtigen, kurzen Saison zur Besteigung des höchsten Berges der Welt von April bis Mai ebenfalls für Touristen aus aller Welt geöffnet. Auch Manandhars Restaurant war vor dem Lockdown in der Hauptstadt geöffnet.

Verspäteter Hilferuf

„Ich habe Angst vor dem Virus, aber viele hatten keine andere Wahl, um zu überleben“, sagt er. 

Inzwischen ist klar: Nicht nur die britische Coronavirus-Variante B.1.1.7, sondern auch die Mutante B.1.617 aus Indien hat sich in Nepal verbreitet. Letztere wurde von der WHO-Corona-Expertin Maria Van Kerkhove als ansteckender und womöglich auch resistenter gegen Antikörper bezeichnet.

Im Februar hatte der nepalesische Arzt Anup Subedi noch vor neuen Mutationen gewarnt. Doch die Regierung schien sich im Corona-Tiefschlaf zu befinden. Noch am Wochenende hatte Nepals Regierungschef KP Sharma Oli von der Kommunistischen Partei-Marxisten-Leninisten (CPN-ML) verkündet, die Situation sei unter Kontrolle.

Doch überfüllte Krankenhäuser und Krematorien ließen sich nicht mehr verheimlichen. Oli ruderte öffentlich zurück und bat im Guardian um humanitäre Hilfe. „Die steigende Zahl der Infektionen stellt eine ernsthafte Herausforderung dar“, gab er zu und versicherte, dass Test- und Behandlungseinrichtungen ausgebaut würden.

Doch wie viel glaubt die Bevölkerung ihrem Premier noch? Zu Beginn der Woche verlor Oli bereits eine von ihm initiierte Vertrauensabstimmung im Parlament. Zuvor hatte er versucht, Neuwahlen auszurufen. Es scheint, als habe er nun mit seinem Hilferuf den Ernst der Lage erkannt.

Vakzine aus China

Diese Erkenntnis kommt spät. Denn die politischen Querelen sind beim Kampf gegen Corona nur eins von mehreren Hindernissen. Beobachter sagen, es sei Zeit für seinen Rücktritt. Anzeichen dafür gibt es aber trotz der jüngsten Niederlage nicht. 


Bisher wurden 413.111 Infektionen und über 4.000 Todesfälle in Nepal registriert. Doch die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Azamt Ulla, Delegationsleiter der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) in Nepal, nannte die zweite Welle „sehr tödlich“. In den vergangenen Wochen sei die Covid-19-Rate um das 50-fache gestiegen. Lag sie im März bei 100 Neuinfektionen am Tag, erreiche sie nun über 8.000 bei einer Bevölkerung von 29 Millionen Menschen.

„Die Infektionen und Todesfälle sind auf die Bevölkerung umgerechnet auf hohem Niveau. Zwar haben wir noch nicht solche Zustände wie in Indien. Aber wir nähern uns dem an. Die Fälle steigen sprunghaft an“, sagt Ulla. Deshalb sei internationale Unterstützung notwendig, betont er gegenüber der taz.

Aus dem Nachbarland Indien hatte Nepal zunächst Impfstoffe bezogen. Seitdem Indien jedoch selbst schwer unter der zweiten Welle leidet, wurde die Ausfuhr ausgesetzt. Nun liefert China Vakzine.

Seitdem Ausgangsbeschränkungen eingeführt wurden, sind viele Wanderarbeiter in ihre Dörfer zurückgekehrt und haben das Virus womöglich mitgebracht. Anish Manandhar glaubt, dass der Druck von Medizinern geholfen habe, dass die Beschränkungen verlängert wurden. Doch er fragt sich, wie die Regierung der Bevölkerung helfen werde.

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