Zweifel an Extremismus-Studie: Verwirrung um rechte Zahlen
Die Studie über wachsenden Rechtsextremismus unter männlichen 15-Jährigen hat viele aufgeschreckt. Doch es gibt Zweifel, ob die Zahlen des Kriminologen Pfeiffer korrekt sind.
![](https://taz.de/picture/358153/14/rechtsextreme_B.jpg)
Noch wissen viele Rechtsextremismus-Experten nicht, wie sie die Zahlen der am Dienstag vorgestellten Studie des umstrittenen Kriminologen Christian Pfeiffer genau bewerten sollen. Mächtig eingeschlagen hat sie trotzdem: Nun ist ein Streit über die Befunde entbrannt.
Insgesamt 45.000 Schüler aus 61 repräsentativ ausgewählten Landkreisen hat das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) unter Pfeiffers Leitung in den vergangenen zwei Jahren befragt. Das Ergebnis dieser Studie ist erschütternd. Ihr nach stuft sich jeder fünfte Junge in der neunten Klasse als "sehr ausländerfeindlich" ein. Jeder 20. männliche Neuntklässler gab an, einer Kameradschaft oder einer anderen rechtsextremen Mitgliedschaft anzugehören. Das sind fast 5 Prozent aller 15-jährigen Jungen. In absoluten Zahlen ausgedrückt wären das allein in dieser Altersgruppe insgesamt rund 20.000 organisierte Rechtsextremisten. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), der am Montag zusammen mit Pfeiffer die Ergebnisse vorgestellt hatte, nannte diese Befunde "erschreckend".
Es ist die erste Studie, die in einem so großen Umfang 15-Jährige zu diesem Thema befragt. Zugleich wirft diese Studie zentrale Fragen auf. Denn die Zahlen übertreffen bei weitem die Angaben der Verfassungsschützer. Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht bisher von etwa 31.000 Rechtsextremisten aus. Wenn angeblich 20.000 Neuntklässler einer rechtsextremen Gruppierung angehören, dann kann es kaum insgesamt nur 30.000 Rechtsextremisten geben. Oder aber Pfeiffers Studie ist falsch.
Die Verfassungsschützer können bislang keine Antwort liefern: "Wir kennen diese Studie auch erst seit Dienstag", sagte ein Verfassungsschutzmitarbeiter, der namentlich nicht zitiert werden möchte. Zugleich weist er darauf hin, dass seine Behörde andere Erhebungsinstrumente nutzt. "Wir dürfen nur solche Gruppen ins Visier nehmen, die zielgerichtet und politisch aktiv anstreben, die freiheitlich demokratische Grundordnung außer Kraft zu setzen." So sei zum Beispiel eine "Saufgemeinschaft Germania" für Verfassungsschützer nicht Gegenstand der Beobachtung, während dies bei der "Kameradschaft Germania" der Fall sei. Die Kategorien seien gänzlich andere, so der Verfassungsschutzmitarbeiter.
Die stellvertretende Sprecherin des Bundesinnenministeriums, Gabriele Hermani, bekräftigt, dass sich die Zahlen der Studie nicht mit denen des Verfassungsschutzes vergleichen lassen. "In der Studie wurde nicht der Organisationsgrad von Jugendlichen in rechten Gruppierungen abgefragt, sondern das subjektive Zugehörigkeitsgefühl, ihre Affinität zur rechten Szene." Das im Verfassungsschutzbericht des Bundes veröffentlichte Personenpotenzial hingegen umfasse die Personen, bei denen sich eine Zugehörigkeit zu rechtsextremistischen Organisationen objektiv feststellen lässt. Eberhard Seidel, Geschäftsführer der Initiative "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage", widerspricht: "In der Studie vom Kriminologischen Forschungsinstitut ist nicht von Affinität die Rede, sondern ganz klar von Mitgliedschaft in Organisationen." Welche Befunde besser taugen, das rechtsextreme Potenzial in Deutschland quantitativ zu bemessen, bleibt offen.
Die Polizeigewerkschaft nimmt Pfeiffers Studie ernst: Der Rückzug von Staat und Gesellschaft aus einer aktiven Jugendarbeit sei für rechte Gruppierungen besonders in ländlichen Regionen "ein gefundenes Fressen", sagte ihr Vorsitzender, Konrad Freiberg. Daher müsse mehr in die gesellschaftliche Infrastruktur investiert werden.
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