Zwangsräumungen in Ostjerusalem: Gericht sucht fraglichen Ausgleich
Im Viertel Sheikh Jarrah sollen palästinensische Familien in ihren Häusern bleiben dürfen. Siedler:innen sollen rechtliche Vermieter werden.
Was wie ein Kompromiss klingt, wurde eher wie ein Ultimatum vorgetragen. Das Ziel der Richter:innen: Sich selbst davor zu drücken, in einer politisch höchst brisanten Angelegenheit Stellung zu beziehen, und stattdessen die Parteien unter Druck zu setzen.
Im Mai war das strategisch wichtige Viertel, das Ostjerusalem mit der Altstadt verbindet, zum internationalen Solidaritätssymbol mit Palästinenser:innen geworden. Die drohende Ausweisung zugunsten von Siedler:innen sorgte weltweit für Aufmerksamkeit. Als Proteste gegen die Zwangsräumungen und israelische Polizeigewalt in der Altstadt Jerusalems eskalierten, kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Israel und militanten Kräften im Gazastreifen. Bei den 11-tägigen Gefechten fanden 260 Palästinenser:innen und 13 Israelis den Tod.
Der nun vorgelegte Gerichtsbeschluss verlangt von den vier Familien – insgesamt 70 Menschen – die seit den 1950er Jahren in ihren Häusern leben, die israelische Siedlerorganisation Nahalat Shimon als rechtlichen Vermieter anzuerkennen. Im Gegenzug sollen die Familien einen Sonderstatus von „geschützten Mieter:innen“ erhalten, der sie auf unbestimmte Zeit vor Zwangsräumungen bewahren würde.
„Praktische Lösungen finden“
Während der Anwalt von Nahalat Shimon den Vorschlag ablehnte und eine Anerkennung des jüdischen Eigentumsrechts einforderte, erklärten sich die palästinensischen Familien kompromissbereit, verweigerten aber die Ansprüche der Siedler. Schließlich forderten die Richter:innen die palästinensische Seite auf, innerhalb einer Woche eine Personenliste mit den Namen derjenigen Bewohner:innen vorzulegen, die einen Anspruch auf Sonderstatus hätten. Viele der Anwesenden im Gerichtssaal hatten Mühe, den Argumenten auf Hebräisch zu folgen – ihr eigenes Schicksal wurde ohne offizielle Übersetzung verkündet.
Richter Isaac Amit
„Wir müssen uns von einer Prinzipienebene entfernen und praktische Lösungen finden. Die Menschen müssen hier weiterleben“, erklärte Richter Isaac Amit. Insgesamt sind allein in Sheikh Jarrah 75 Familien von einer Räumung bedroht.
Haim Silberstein, Präsident der Siedlerorganisation Keep Jerusalem, hofft auf einen endgültigen Gerichtsentscheid zugunsten der Siedler:innen. Die Etablierung einer starken jüdischen Mehrheit in Vierteln wie Sheikh Jarrah sei „wichtig für die Demokratie und die jüdische Heimat“.
Um die Asymmetrie in dem Immobilienstreit zu verstehen, muss man zur Staatsgründung Israels 1948 zurückkehren: Damals kam Sheikh Jarrah zunächst unter jordanische Kontrolle. Palästinensische Flüchtlinge, die das Viertel besiedelten, zahlten zunächst unter jordanischer Herrschaft Miete an einen „Generalverwalter“. Im Sechstagekrieg 1967, knapp 20 Jahre später, besetzte Israel Ostjerusalem. Für das Gerichtsverfahren reichten die betroffenen Familien Dokumente ein, aus denen hervorgeht, dass die jordanische Regierung noch vor 1967 versucht hatte, ihnen das Eigentum der Häuser zu übertragen – diese Dokumente sollten ihnen als Rechtsgrundlage dienen. Bisher bezogen sich die Richter:innen jedoch nicht darauf.
Seit Jahren wollen jüdische Siedler:innen Häuser, die vor 1948 von Juden bewohnt wurden, gerichtlich zurückgewinnen. Legitimiert wird dies durch ein Gesetz, das Israel 1970 verabschiedet hat und Jüdinnen und Juden berechtigt, Grundstücke zurückzuerhalten, die sie im Krieg von 1948 verloren haben. Palästinenser:innen, von denen 1948 etwa 700.000 zu Flüchtlingen wurden und die ihre Häuser verloren, bleibt ein solches Gesetz verwehrt.
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