Enteignungen in Ostjerusalem: Streetart gegen das Wegschauen
Im Stadtteil Silwan zeigt sich der Nahostkonflikt im Kleinen. Palästinenser*innen kämpfen für ihre Häuser, eine jüdische Künstlerin unterstützt sie.
Silwan taz | „Habibti! Kifeeek?“ – „Liebes! Wie geht es dir?“ Die Kleine springt auf Laura Rosner zu und wirft sich in ihre Arme. Eine Kinderschar umringt die junge Frau mit den knallrot gefärbten Haaren und dem großen Tattoo auf dem Oberarm. Alle wollen ein Stückchen „Lou“ abbekommen, wie die jüdische Aktivistin und Künstlerin aus Pittsburgh liebevoll genannt wird. Mit ihr verständigt man sich mit Gesten, Gelächter und Fetzen auf Arabisch, hier im palästinensischen Viertel Batan al-Hawa im Ostjerusalemer Stadtteil Silwan.
„Das ist meine Familie. Nirgendwo auf der Welt habe ich in den letzten zwei Jahren so viel Zuneigung erfahren wie hier“, sagt Rosner. „Aber was wir tun, ist auch gefährlich.“ Im dicht besiedelten Viertel Batan al-Hawa mit seinen engen Gassen, Feigenbäumen und abgemagerten Straßenkatzen ist an jeder Ecke politische Kunst zu sehen. Sie wird von vielen als Provokation empfunden.
Während Laura Rosner spricht, liegt die mutmaßliche Gefahr direkt hinter ihr: ein Paar überdimensionaler Augen als Teil eines farbenprächtigen Mauergemäldes, das sich über mehrere Häuserwände erstreckt. Dem eindringlichen Blick kann sich niemand entziehen.
Im Gemeinschaftsprojekt „I witness Silwan“, das die Künstlerin gemeinsam mit palästinensischen Kolleg:innen leitet, sind mittlerweile etwa zwanzig solcher Gemälde entstanden. Ziel des Projekts: Die Zwangsräumung palästinensischer Häuser, gegen die die Bewohner:innen Silwans seit Jahren kämpfen, sichtbar machen.
Silwan soll „rejudaisiert“ werden
Der Stadtteil Silwan stellt heute so etwas wie eine Miniaturversion des israelisch-palästinensischen Territorialkonflikts dar. Um 1800 vor Christus wurde hier Jerusalem gegründet. Der Tempelberg, der sowohl Juden als auch Muslimen als heilig gilt, liegt nur einen Katzensprung entfernt. Vor den antiken Stadtmauern Jerusalems erstreckt sich die Davidstadt: die beliebte Touristenattraktion zieht jährlich Hunderttausende Besucher:innen an.
Seit zwei Jahrzehnten erheben nun ideologisch motivierte jüdische Siedler:innen Anspruch auf Silwan
Archäolog:innen graben hier seit Jahren nach Überresten des Palasts von König David. Die politisch umstrittenen Ausgrabungen, die von ideologisch motivierten Siedler:innen in Zusammenarbeit mit israelischen Regierungsbehörden vorangetrieben werden, sollen beweisen, dass Silwan die Wiege des jüdischen Jerusalems ist.
Bei der Staatsgründung 1948 kam Silwan zunächst unter jordanische Kontrolle. 1967, knapp 20 Jahre später, besetzte Israel Ostjerusalem. Seit zwei Jahrzehnten erheben nun ideologisch motivierte jüdische Siedler:innen Anspruch auf Silwan: Sie wollen Häuser, die vor 1948 von Juden bewohnt wurden, gerichtlich zurückgewinnen.
Legitimiert wird dies durch ein Gesetz, das Israel 1970 verabschiedet hat. Hunderte Siedler:innen haben sich inmitten palästinensischer Wohnviertel einquartiert. Silwan soll durch Gebäude, Schilder, Tourismus und Sicherheitskräfte „rejudaisiert“ werden.
Warten auf die Räumungsklage
Wenige Meter von der Siedlerenklave Beit Jonathan entfernt lebt Zuhair al-Radschabi. Der 50-jährige Gemeindevorsteher von Batan al-Hawa und vierfache Familienvater wartet auf die Gerichtsentscheidung über die Räumungsklage gegen seine Familie. Über 80 palästinensischen Familien geht es derzeit genauso. Abgerissen werden Häuser, die ohne Baugenehmigung gebaut wurden. Gleichzeitig haben Palästinenser:innen kaum eine Chance auf eine solche Genehmigung.
Als wir vor al-Radschabis bunt bemaltem Haus stehen, hält er den Kaufvertrag von damals in der Hand. Seine Familie kaufte ihr Grundstück 1966, kurz vor der israelischen Eroberung von Silwan. Die Vorbesitzer:innen seien Palästinenser:innen gewesen, beteuert er. Dann zieht al-Radschabi eine Karte des Viertels aus seiner Tasche, auf der die bereits geräumten Häuser in Silwan markiert sind – sein eigenes könnte das nächste sein.
Vor al-Radschabis Haus hängt eine Überwachungskamera, die Beweise für die Übergriffe der Siedler:innen liefern soll, denen seine Familie permanent ausgesetzt sei. Erst vor wenigen Wochen sei er in Folge eines Konflikts auf dem Polizeirevier brutal zusammengeschlagen worden, sagt er.
Auch al-Radschabis Verbündete wie die jüdische Künstlerin Laura Rosner riskieren im Kampf gegen den Versuch, Palästinenser:innen aus ihren Häusern zu vertreiben, ihre eigene Sicherheit. „Als Jüdin kann ich nicht schweigen, wenn ich solche Ungerechtigkeit erlebe“, sagt sie.
Bevor wir gehen, setzt uns al-Radschabi noch das palästinensische Reisgericht Maqluba vor, das nach der Zubereitung mit Fleisch und Gemüse „auf den Kopf gestellt“ serviert wird. „Niemand macht es so gut wie meine Frau“, verkündet er stolz.
Leser*innenkommentare
Günter
Allow me to brief you a little in terms of antisemitism, when I put you a quote by Tuvia Tenenbom:
www.youtube.com/watch?v=ogoKPg3TYHk
Quote on min 33:00
„The Israel I left at two tribes [after 30 years]. The Arab and the Jew. The Israel I've come back to at three tribes. The Arab the Jew and the Europeans. Now this European, most European some American also. And this was shocking. They have come to Israel for one reason only. Mostly subconscious, they don't even know they are doing this, to find a Jew doing wrong and to destabilize the state of Israel. And that is frightening. They call themselves people of peace and love. They call themselves peacemakers. Some of them say they have come to teach Israel, the Jews democracy which is frightening (the germans come to teach Israel democracy) and all they are doing ist spending every free moment of their waking hours trying to catch a Jew doing something wrong, and then they can send it to the World.“
End of quote
So you can see, nothing has changed. But what I am shocked by the most, just after the Holocaust the Germans continues. The mindset of Germans cannot be altered whatever happens even after this kind of horror.
tomás zerolo
@KHALED CHAABOUTÉ, @PAPALUCAS: Ihre beiden Kommentare kommen mir infantil und ziemlich vernagelt vor.
Schwierige Konflikte werden nicht von Maximalisten (auf wessen "Seite" auch immer) gelöst.
Khaled Chaabouté
So protestiert US-jüdische Spätpubertät gegen ihre Elterngeneration und generiert nebenher ordentlich Instagram-Clicks.
Hans aus Jena
@Khaled Chaabouté Ist Ihre Antwort jetzt Antisemitismus? Wie kommen Sie dazu, als Deutscher eine Jüdin abzuwerten, nur weil Ihnen ihre Position nicht passt?
Henriette Bimmelbahn
@Hans aus Jena ???Sehr komische Argumentation. Es gibt in der jüdischen Gemeinschaft ein überaus breites und vielfältiges Meinungsspektrum, von ganz links bis ganz rechts und selbstverständlich alles dazwischen. Wenn also Jude A recht hat und eine Jüdin B eine dazu komplett kontäre Meinung äußert, vielleicht noch in fragwürdiger Weise MUSS eine/r von beiden unrecht haben. Juden sind beide. Und jetzt?
Puuuh, urteilen Sie über Meinungen, die Juden haben doch einfach genauso, wie über jede andere, ob jetzt als Deutsche/r, oder nicht. Wenn Sie schon derart verquer, verkrampft und verkniffen über einzelne Jüdinnen und Juden schreiben, möchte ich erst gar nicht wissen, was sie über den jüdischen Staat - also sozusagen eine jüdische Anhäufung - zu sagen haben.
Hans aus Jena
@Henriette Bimmelbahn Eben, es gibt eine gewaltige Spannbreite jüdischer Positionen, Denkens und Lebens. Was maßen wir uns Deutsche an, diese zu werten oder wie hier Herr Chaaboute gar zu verurteilen?
Philosemitismus ist lediglich die Kehrseite des Antisemitismus. Auch der Philosemit macht sich lediglich ein Bild, wie und was der "Jude" sein soll, auch wenn es für ihn positiv konotiert ist. Alles was diesen Bild nicht entspricht wird abgelehnt, auch jüdische Menschen selbst, die seinem Anspruch nicht entsprechenen werden degradiert, entwertet, blamed - "US-jüdische Spätpübertät" ist diesem Sinne nicht anders wie die Sprüche vom "jüdischem Finanzkapital", auch wenn er das als "Antideutscher" natürlich anders zu intentieren vorgibt. Da wird wieder sortiert in "gutes" und "schlechtes", gar "antijüdisches" jüdisches Leben, selektiert. Nein, wir Deutschen haben wirklich kein Recht dazu. Widmen wir uns lieber unserer eigenen Verantwortung für (Feind)bilder gegenüber Juden und anderen in unserer "schönen" sogenannten Mitte.
Günter
@Hans aus Jena Und warum ist Hans aus Jena über die Angelegenheiten derer so engagiert, seine Gedanken über die Halbe Welt nach Middle East laufen zu lassen, um den Wenigen, die es geschafft haben den Vernichtungslagern nach Jerusalem zu entfliehen, ihr nacktes Leben zu rettend, hinterherzurufen, wie die Überlebenden Ihr Zusammenleben mit den vielen Bevölkerungsgruppen dort zu gestalten haben?
Hier kann es Ihnen jemand erzählen:
www.zeit.de/sport/...en-deutsche-israel
Hans aus Jena
@Günter Wo ist Ihr Gegenargument? Und wieso engagieren Sie sich so? Und wo lesen Sie, dass ich den "Weningen" etwas vorschreibe (mache ich doch gerade das Gegenteil, wenn ich schreibe, dass wir uns als Deutsche vor Wertungen jüdischen Lebens zurückhalten sollten)? Und können gerade Sie nicht ertragen dass, es wie nun so oft gesagt eine weite Spannbreite jüdischer Meinung gibt? Und woher rührt Ihr Engagement, über das Zusammenleben dort ständig Ihre Meinung abzugeben (Sie schreiben ständig unter allen Artikeln zu Nahost Ihre Meinung, im Gegesatz zu mir, der sich aus genannten Gründen sonst immer zurückhält und üblicherweise nicht kommentiert)? Und woher kommt Ihre Wut auf jüdische Stimmen, die nicht mit Ihrer eigenen Meinung dazu übereinstimmen? Bevor Sie anderen irgend etwas vorwerfen und unterstellen, kehren Sie vor ihrer Haustür. Meine Kritik scheint Sie ja getroffen zu haben.
Günter
@Hans aus Jena Es gibt einen schönen Satz, ich glaube von H.M. Broder, bin mir aber nicht sicher:
"Die Deutschen interessieren sich nur dafür, wer Fußballweltmeister wird und wer Jude ist."
Khaled Chaabouté
@Hans aus Jena Als Antideutscher habe ich für solchen antijüdischen Aktivismus zur Selbstdarstellung wenig Verständnis.
Papalucas
Die einzige Demokratie im nahen Osten