Zukunft von Hamburgs Bahnverkehr: Neue Schienenwege in die Stadt
In Hamburg soll ein aufwendiger S-Bahn-Tunnel die Gleise zum Hauptbahnhof entlasten. Nun gibt es den Gegenvorschlag von Gleisen entlang der Autobahn.
![Eine rote S-Bahn auf einer Brücke über einem Gewäser mit kleinen Booten Eine rote S-Bahn auf einer Brücke über einem Gewäser mit kleinen Booten](https://taz.de/picture/6276340/14/S-1--1.jpeg)
Der Name für diesen Tunnel ist etwas sperrig, „Verbindungsbahnentlastungstunnel“. Die alte Verbindungsbahn führt viergleisig vom Hauptbahnhof über den Damm zwischen Außen- und Innenalster Richtung Altona. Alle Züge, die nach Kiel, Neumünster, Flensburg oder Westerland fahren, müssen über den Damm. Und ICEs, die in Hamburg-Altona starten, auch. Dieses Nadelöhr zu entlasten, indem die S-Bahn dort wegkommt und unter die Erde gelegt wird, war eine Idee des früheren Verkehrsstaatssekretärs Enak Ferlemann.
Als Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) die Machbarkeitsstudie Ende März im Verkehrsausschuss vorstellte, war von den drohenden Einschränkungen wenig die Rede. Es wirkte so, als könnten die Hamburger jetzt noch über das „Wie“ mitreden, aber nicht über das „Ob“. Klar wäre demnach, dass Hamburgs schönste S-Bahnstrecke mit Alsterblick etwa im Jahr 2040 unter die Erde verschwindet. Offen wäre noch, ob die unterirdischen Haltepunkte entlang der heutigen Strecke Sternschanze und Holstenstraße liegen werden, oder etwas weiter südlich oder nördlich. Für den Bau der einzelnen Bahnhöfe müsste teils wegen des Grundwassers der Boden gefroren werden, was die Sache teuer macht. Die in der Machbarkeitsstudie prognostizierten Kosten hat der Senat für die Veröffentlichung im Transparenzportal geschwärzt.
Es fehlt eine leistungsfähige Mittelachse
Der Bau des neuen S-Bahn-Tunnels würde frühestens 2028 beginnen. Die Bauzeit beträgt mindestens elf Jahre.
Nötig ist der Tunnel, weil für den Deutschlandtakt auf der Verbindungsbahn nach Altona die Fern- und Regionalzüge häufiger fahren sollen. Deshalb sei die S-Bahn im Weg.
Das Alternativ-Konzept führt die Regionalzüge auf Gleisen über die A1 via Neumünster auf einer noch zu bauenden Anbindung an die Flughafen S-Bahn. Dann hätte die S-Bahn oberirdisch Platz.
Um für den Tunnel Platz zu machen, würde eine Röhre des alten Tunnels versetzt. Auch an den U-Bahn-Zugängen müsste gebaut werden.
Doch es gibt nun einen Alternativvorschlag namens „Nordtakt“, der die S-Bahn oben lassen würde, den Norbert Holtz von der Initiative „Klimabahn“ und Holger Busche von der Fachgruppe Mobilität von „Scientists for Future“ ins Gespräch bringen. „Ich vermute, dass der Tunnel statt der mal veranschlagten drei Milliarden eher sieben Milliarden Euro kosten wird“, sagt der Geophysiker Busche. Aber für das gleiche Geld bekäme man an anderer Stelle viel mehr Schienen gebaut.
Zentral dabei: Es soll neue Schienenzugänge in die Metropole geben, und zwar entlang der Autobahnen. Heute gibt es – historisch bedingt, da zu Zeiten dänischer Herrschaft in Holstein entstanden – ins Nachbarland Schleswig-Holstein nur jene eine Gleisstrecke nach Westen über Elmshorn und eine nach Osten über Bad Oldesloe. „Es fehlt eine leistungsfähige Mittelachse aus dem Norden“, sagt Busche.
Dafür schlägt er vor, ab Neumünster entlang der direkt auf Hamburg zuführenden Autobahn A7 Schienen zu bauen, die dann durch wenig bebautes Gebiet entlang der Flughafen-Zubringerautobahn „Zeppelinstraße“ mit dem S-Bahnhof am Flughafen verbunden werden. Von dort könnte eine Regionalbahn weiter Richtung Süden die Alster östlich umfahren und entlang der S-Bahnhöfe Ohlsdorf und Barmbek über die heutige Güterbahn in Richtung Elbbrücken und Harburg führen, von wo es nach Bremen und Hannover ginge.
„Der hochbelastete Hauptbahnhof muss dann von vielen Regionalbahnen nicht mehr angefahren werden“, sagt Busche. Gleichzeitig könne jeder Fahrgast auf den Stationen im Stadtgebiet in eine S- oder U-Bahn umsteigen. Sein Plan bringe eine dramatische Fahrzeitverkürzung, ohne dass schneller gefahren werden muss. „Heute ist der Hauptbahnhof das schwarze Loch. Alles muss da rein und von da wieder zurück verteilt werden.“
Autobahn-Gleise für Güterverkehr
Auch für das Gebiet östlich von Hamburg schlägt Busche vor, eine Autobahn mit zwei Gleisen zu versehen, und zwar die A1 von Bad Oldesloe bis zum Güterbahnhof Maschen. Die Strecke solle teilweise sowieso um zwei Fahrspuren verbreitert werden. „Dann können die dort auch Schienen bauen“, sagt er. Auf der Linie könnte auch ein Regionalzug die Gemeinden Glinde und Barsbüttel erreichen. Ab Bad Oldesloe führt heute schon eine Bahnstrecke weiter nach Neumünster, die Schleswig-Holstein elektrifizieren und zweigleisig ausbauen will.
Holtz und Busche gehören der bundesweiten „Klimabahn-Initiative“ an, die eine Verdreifachung des Schienenverkehrs bis 2030 erreichen will. In einem Appell vom Oktober 2021 fordern Verkehrswissenschaftler unter dem Motto „Takt vor Tempo“ mehr Schienenverkehr für mittlere Entfernungen zwischen 15 und 250 Kilometern. Denn diese Strecken werden heute noch am häufigsten mit dem Auto gefahren und bieten das größte Potential für Verlagerung. „Wir müssen die Bahn so ausbauen, dass die Züge mit nicht mehr als zehn Minuten Abstand fahren“, sagt Busche. Das gelte auch für die Strecke Hamburg und Lübeck.
Mehr Lärmschutz als Nebeneffekt
Für sein Konzept habe er bestehende Ideen aufgegriffen. So plant Schleswig-Holstein, die A 23 im Westen Hamburgs von Itzehoe bis Horst mit Schienen zu versehen. Und da mit dem bei Neubau vorgeschrieben Lärmschutz der Bahn auch der Autobahnlärm gedämmt würde, hofft Busche auf die Akzeptanz der Anwohner.
Mit dem Bau des Tunnels würden Stadtteile wie das Schanzenviertel, die um diese Bahnhöfe herum gewachsen sind, ihren oberirdischen S-Bahnhof verlieren. „Das ist für die Menschen im Alltag eine grobe Verschlechterung“, sagt Holtz. Er und Busche wollen nun bei Grünen und SPD für ihr Konzept werben, in der Erwartung, dass noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.
Die Linke-Verkehrspolitikerin Heike Sudmann würde eine solche Diskussion begrüßen. „Der Senat und die DB wollen tarnen und tricksen“, sagt sie. Es ärgere sie, dass die Einschränkungen im Ausschuss nicht offen benannt wurden. „Ich erwarte bei so einer wichtigen Entscheidung, dass vorher wirklich alle Alternativen ergebnisoffen geprüft werden“.
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