Zukunft der Galeries Lafayette Berlin: Das Zentrum als Labor und Salon
Berlin muss entscheiden, was aus dem Kaufhaus Galeries Lafayette wird. Kommt hier die Zentralbibliothek rein? Oder eher Büros?
Die sensationellen Eclairs mit Kaffeecremefüllung gibt es immer noch. Sie kosten 4,50 Euro, schmecken – im Bewusstsein des letzten Males genossen – besonders cremig und werden, auch wenn drum herum längst Abbau herrscht, weiterhin mit einer sonnenbankgebräunten Arroganz verkauft, für deren Beschreibung Marcel Proust ein Dutzend Seiten gebraucht hätte.
Ansonsten sieht es in den Galeries Lafayette, die einst mit so grandiosen Träumen von Flair und Glamour, Mode und Luxus starteten, nach gehobener Resterampe aus. An ein paar Handtaschen- und Parfümerieständen ist noch Sale. Bei Modemarken wie Tiger of Sweden oder Armani gähnen leere Regale. Die Berliner Dependance der Kaufhauskette wird Ende Juli endgültig schließen. Und die Frage ist jetzt, was aus diesem spektakulären Bau mit seiner Glasfassade und seinen Lichtkegeln werden soll. Deshalb sind wir hier.
Vielleicht war es sowieso keine allzu tragfähige Idee, gehobene französische Lebensart ins Berliner Zentrum zu hieven. Wenn chinesische oder japanische Touristen nach Europa reisen, um sie zu suchen, fliegen sie eh gleich nach Paris. Aber das ist es ja nicht nur, Stichwort Internetshopping. Ohne in billige Konsumkritik verfallen zu wollen, kann einem außerdem auffallen, dass Shopping so lebenserfüllend halt doch nicht ist.
Hier ist nicht einfach nur ein internationaler Kaufhauskonzern mit einer Filiale gescheitert. Vielmehr kann man an diesem Ort den letzten Zuckungen des Konzeptes zusehen, die Innenstädte vor allem durch Shopping beleben zu wollen.
Die Berliner Zentralbibliothek als geeigneter Nachfolger
Doch es gibt ja auch eine Alternative. Sie klang zunächst ein bisschen crazy, aber nahm immer realistischere Gestalt an und beschäftigt inzwischen längst nicht nur die Bibliotheks- und Stadtplanungs-Bubbles. Diese Idee besteht darin, die Berliner Zentralbibliothek, abgekürzt ZLB, die bislang auf zwei zu enge und sowieso renovierungsbedürftige Gebäude verteilt ist, hier unterzubringen.
Das wäre ein gewaltiges Vorhaben mit einiger Strahlkraft über die Hauptstadt hinaus. Es geht um Kosten von, Stand derzeit, knapp 600 Millionen Euro, um Bestände von 3,5 Millionen Medien, um eine Fläche von 35.000 Quadratmetern und vor allem um Besucherzahlen im siebenstelligen Bereich. 1,5 Millionen Menschen drängeln sich derzeit jährlich durch die Standorte der ZLB. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass sich diese Zahl bei einem State-of-the-Art-Gebäude in attraktiver Lage verdoppeln wird.
Drei Millionen Besucher jährlich. Menschen, jung, alt, arm, reich, männlich, weiblich, divers, lesehungrig oder einfach auf der Suche nach Ablenkung, die einen guten Grund haben, ins Zentrum zu fahren und dort Zeit zu verbringen. Man kann tatsächlich den Eindruck gewinnen, dass sich hier nicht nur die Zukunft der ZLB und ihrer Besucher*innen entscheidet, sondern auch die Zukunft des Zentrums von Berlin und, wenn man den Modellcharakter der Hauptstadt hinzurechnet, die Zukunft der Innenstädte insgesamt.
Widerstände und Geldmangel
Die Entscheidung muss in diesen Wochen fallen. Es herrscht Zeitdruck. Und Geldmangel. Und Widerstände gibt es auch.
Die Unterstützung für das Vorhaben in der Kulturszene ist überwältigend. Eine Petition „Jahrhundertchance für Berlin – ZLB in die Friedrichstraße“ haben über 15.000 Menschen unterschrieben, darunter eigentlich alle Kulturmanager der Hauptstadt. Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) hat die Idee begeistert aufgegriffen und redet von einem „Ort nicht nur der Bildung, sondern des Seins, der nicht fragt, wo man herkommt und wann man wieder etwas bestellen will“. Solche Orte braucht die moderne Gesellschaft wirklich.
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) unterstützt das Projekt auch, im Prinzip wenigstens, er muss aber auch den kommenden Sparhaushalt im Blick haben. Und in der SPD hat er einen Koalitionspartner, in dessen Kreisen Skepsis gegenüber dem Projekt herrscht. Ein Argument ist, dass dadurch die Immobilienspekulation angeheizt würde. Berlin müsste das Gebäude dem US-Immobilienkonzern Tishman Speyer abkaufen. Damit würden private Gewinne aus öffentlichen Mitteln generiert.
Motor eines urbanen öffentlichen Lebens
Das Gegenargument, dass ein Neubau noch teurer würde und auch privaten Baufirmen Umsatz brächte, zieht in diesen Kreisen nicht; gegen das Feindbild des Immobilienspekulanten kommt es nicht an. Außerdem scheint Gewerkschaftsnähe keineswegs dazu beizutragen, moderne Konzepte von offenen Bibliotheken zu vertreten, bei denen man nicht nur Bücher ausleihen, sondern sich auch treffen, arbeiten und Kaffee trinken kann.
Hier trauert man offenbar noch überkommenen Konzepten von Bibliotheken als Buchausleihbehörden mit Sonntagsschließung hinterher und scheint deren mögliche Bedeutung als Ort und Motor eines urbanen öffentlichen Lebens noch nicht verstanden zu haben. Dabei können Landmark-Bibliotheken wie etwa in Oslo, die längst zu einem Wohnzimmer der gesamten Stadtgesellschaft geworden sind – mit ihren Begegnungsmöglichkeiten soziales Labor und Salon für alle zugleich –, als Vorbilder dienen.
Zur Sicherheit fahren die Eigentümer des Gebäudes jedenfalls inzwischen eine Doppelplanung. Wenn Berlin sich nicht für den Umzug der ZLB entscheidet, wird das Gebäude in Büroräume aufgeteilt, das ist der Plan B. Wobei es an Büroflächen in Berlin derzeit wahrlich nicht mangelt.
Zur Belebung der Innenstadt würde das auch kaum beitragen, und die große Chance, den üblichen Verlauf der Gentrifizierung einmal umzudrehen, wäre auch vertan. Üblicherweise entdecken und entwickeln Kultur und Künste einen Ort, der dann irgendwann ans Business übergeben werden muss. Aus einem Luxuskaufhaus einen öffentlichen Kulturort mit Anspruch und für alle zu machen wäre mal was anderes.
Sieben Etagen über und vier unter der Erde
Aber kann denn das Gebäude von Jean Nouvel in der Friedrichstraße überhaupt zu einer Landmark-Bibliothek mit Strahlkraft werden? An einem dieser letzten Tage der Galeries Lafayette sind wir mit Volker Heller verabredet, dem Generaldirektor der ZLB. Er führt uns herum, auch durch die nicht öffentlich zugänglichen Etagen des Komplexes.
Sieben Etagen gibt es über der Erde, vier weitere unter der Erde. Volker Heller weist auf die Glaszylinder und Glaskegel hin, die die Etagen durchschneiden und Sonnenlicht nach unten lenken. Sie würden sich gut dazu eignen, die Flächen zu „zonieren“.
„Zonieren“ sagt Volker Heller gleich ein paarmal. Eine moderne Bibliothek brauche unterschiedliche Zonen, sagt er, solche für Gruppenarbeit, für Stillarbeit, für Kontemplation und für Begegnungen. Das alles ließe sich in dem Gebäude gut herstellen.
Magazine unter der Erde möglich
Im Erdgeschoss kann der Übergang zum Außenraum fließend eingerichtet werden, denn die Glasfassade, die vom Kaufhaus derzeit durch Stellwände zugestellt wird, um die Aufmerksamkeit auf die Ware zu lenken, könnte geöffnet werden. Und die unteren Etagen, die jetzt als Tiefgarage dienen, können als Magazine dienen. Sie können die nötige Last tragen, um die in ihrer Summe schweren Bücher aufzunehmen.
Volker Heller hat schon manche Neubaupläne für die ZLB kommen und gehen sehen und setzt jetzt halt auf die Lösung in der Friedrichstraße. Aber er hat auch recht: In dieses Gebäude zu fahren, um Zeitung zu lesen, in Ruhe an seinem Laptop zu arbeiten oder auch nur, wenn einem zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, das wäre großartig.
Ab dem 1. August wird das Gebäude leer stehen. Nach den nötigen Umbauten und dem Umzug könnte dann hier ab Ende 2026 die Innenstadt neu belebt werden, jenseits von Shopping und Tourismus. Die so spektakulären Glaszylinder über mehrere Etagen, die es Volker Heller so angetan haben, würden im Fall der Bürolösung entfernt und die Etagen würden geschlossen werden, um mehr Quadratmeter vermieten zu können. Allein schon das eine Sünde. Büros oder Bibliothek: Entschieden werden muss jetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen