Zukunft der Altenpflege: Das hausgemachte Pflegedesaster
Eine steigende Zahl von Pflegebedürftigen, weniger Fachkräfte, niedrigere Renten und kaum Wohnraum: Deutschland droht eine dramatische Pflegekrise.
E rinnern Sie sich noch an die Geschichten über glückliche ältere Menschen, die von einer polnischen Pflegekraft, meist einer Frau, rund um die Uhr versorgt wurden? Die Polin wohnte mit im Haus oder in der großzügigen Wohnung und umsorgte den alten Menschen liebevoll. Diese Geschichten gibt es heute immer noch, aber man hört von vielen Menschen mittlerweile eher Klagen über das Pflegedesaster: kein bezahlbarer Heimplatz zu finden, zu wenig und überlastetes Personal. Die Pflegekrise indes deutete sich bereits vor 20 Jahren an.
Jetzt steuert diese Krise in eine offensichtliche Ausweglosigkeit: Eine steigende Zahl von Pflegebedürftigen, die zudem immer älter werden und intensiver denn je betreut werden müssen trifft auf eine sinkende Zahl von Pflegekräften, die noch mehr zu tun haben und alsbald an ihre physischen und psychischen Grenzen geraten. Hinzu kommen höhere Kosten durch gestiegene Energie-, Lebensmittel- und Betreuungspreise. Ein Mix, der, wie Pflegeökonom:innen sagen, ein „Heimsterben in Deutschland“ bewirkt.
Allein in diesem Jahr gingen rund 200 Pflegeeinrichtungen in die Insolvenz, im vergangenen Jahr waren es mehr als doppelt so viele. Da wundert es kaum, dass die Stimmung bei den Gepflegten, vor allem aber beim Pflegepersonal laut des Care Klima-Index des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos auf dem Tiefpunkt angelangt ist.
Es dürfte noch dramatischer werden: Aus den aktuell etwa 5 Millionen Pflegebedürftigen werden 2030 schon 5,75 Millionen, im Jahr 2050 könnten es 7,25 Millionen sein. Gleichzeitig fehlen dem Kölner Institut der deutschen Wirtschaft zufolge bis 2035 rund 307.000 Pflegekräfte. Was tun?
Wer soll das bezahlen?
Die gängige Antwort lautet meist: mehr Geld. Woher aber soll das kommen? Vom Staat, der für Gesundheitswesen, Bildung, Verkehr, Sozialleistungen ohnehin schon mehr als früher ausgibt? Von den Arbeitnehmer:innen, die dann noch weniger Netto vom Brutto haben? Zum Vergleich: Eine private polnische Pflegerin kostet zwischen 2.000 und 3.000 Euro monatlich, das können sich nur reichere alte Menschen leisten. Für einen Pflegeheimplatz müssen Gepflegte heute trotz Pflegekassenzuschuss durchschnittlich 2.400 Euro selbst bezahlen. Aber wie, wenn die Durchschnittsrente bei den künftigen Senior:innen nur rund 1.300 bis 1.400 Euro beträgt?
Und wer pflegt dann all die Alten, die mehr sein werden als die Jungen? Schon jetzt geht es nicht ohne eingewanderte Fachkräfte. Aber jene, die beispielsweise in den Philippinen einen Pflege-Bachelor und einen Deutschkurs gemacht haben und von Deutschland gezielt angeworben worden sind, verlassen das Land meist nach wenigen Jahren wieder. Sie fühlen sich hier kaum integriert und noch weniger wertgeschätzt.
Zugewanderte Fachkräfte müssen aber auch irgendwo wohnen, doch es mangelt schon jetzt an bezahlbarem Wohnraum. Ein Drama steht uns bevor – allerdings ein hausgemachtes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren