piwik no script img

Zukunft auf den StraßenStädte ohne Autos – wie schön!

Immer weniger junge Menschen wollen ein eigenes Auto. Die Nichtmotorisierten erkämpfen sich öffentlichen Raum zurück.

Autofreie Friedrichstraße in Berlin Foto: Imago

F alls Außerirdische eines der größten zusammenhängenden Bauwerke der Erde – das deutsche Straßennetz mit seinen 830.000 Kilometern Gesamtlänge – analysieren würden, würden sie nie darauf kommen, dass Fußgängerinnen und Radfahrende in diesem System gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer sind.

Wenn selbst die Innenstädte so mit Parkplätzen ausgestattet sind, dass man möglichst bis ins Schaufenster fahren kann. Kein Zufall also, dass sich im Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams der beste Freund des Helden (ein Außerirdischer von Beteigeuze 5) den Erdennamen Ford Prefect gibt, weil er glaubt, bei der vermeintlich dominanten Spezies dadurch nicht weiter aufzufallen.

Als der Roman 1981 in Deutschland erschien, war mein Vater so alt wie ich heute. Ich glaube nicht, dass er in seinem Erwachsenenleben je in einen Zug gestiegen ist; er war passionierter Autofahrer, das Auto stets das Fortbewegungsmittel seiner Wahl.

Ich erinnere mich daran, wie er sich über Spielstraßen echauffierte. Er sah nicht ein, dass er langsamer fahren sollte, weil Kinder auf der Straße Fußball spielen wollten. Die Straße war schließlich für Autos da! Und Autos waren für ihn das Sinnbild für Fortschritt, Selbstständigkeit und Freiheit. Vom ersten Mercedes des reichen Großonkels, über die Schlitten der Amerikaner, die er als Teenager einparken durfte, bis zu seinen eigenen Wagen, die natürlich Fabrikate deutscher Luxushersteller sein mussten.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Auto, Straße, Freiheit. Dieser Dreiklang schien für ihn kein Werbeslogan, sondern eine Selbstverständlichkeit – und offenbar teilen viele Deutsche diese Mentalität: Die Straße gehört den Autos. Alles unter 6 PS wird zwar toleriert, aber durch die StVO so benachteiligt, dass jeder weiß, welchen Platz er in der Hackordnung des Straßenverkehrs einnimmt. Und jetzt kommt die FDP mit der Forderung um die Ecke, es Autofahrern leichter zu machen, die Innenstädte zu erreichen. Tatsächlich, die Partei fordert den Einsatz der „Brötchentaste“ an Parkscheinautomaten, damit Autos für eine Zeit kostenlos abgestellt werden können.

Mehr Platz für Autos, die allein in den letzten zwanzig Jahren im Schnitt 7 cm höher, 10 cm breiter, 20cm länger und 250 kg schwerer geworden sind. Schon werden breitere Straßen und höhere Tiefgaragen gefordert – denn natürlich müssen wir uns der dominanten Spezies auf diesem Planeten anpassen, oder?

Nein, denn das Aussterben der Straßendinosaurier ist eingeläutet. Immer weniger junge Menschen wollen ein eigenes Auto, das 23 Stunden am Tag im öffentlichen Raum vor sich hin rostet; immer weniger machen den Führerschein. Die Nichtmotorisierten erkämpfen sich den öffentlichen Raum zurück.

Bis der Deutschlandtakt dafür sorgen wird, dass 2070 die Bahn pünktlich kommt, werden wir längst ein Land sein, in dem vielfältige Mobilitätskonzepte genutzt werden: Radschnellwege, Carsharing, E-Bikes, E-Roller und nicht zuletzt Flugtaxis, die seit über 100 Jahren auf sich warten lassen.

Sie alle werden mit einem umfassenden ÖPNV-Netz verbunden sein. Und wir werden staunen, wie schön unsere Städte sind, wenn nicht jeder Zentimeter mit Autos vollgeparkt ist. Denn das hat auch mein Vater auf seinen Reisen immer gesucht: Ein Café in der Innenstadt, in dem man ein Glas Wein trinken konnte, ohne dass der Autoverkehr Gespräche und Aussicht verdarb.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • 6G
    676595 (Profil gelöscht)

    Kurz mal beim KBA in die Statistiken schauen. Da gibt es was zur Altersstruktur der Halter. Kaum Veränderungen in den letzten drei Jahren: Bei den unter 40jährigen bleibt die Zahl bei etwas über 9 Mio. Haltern.

    Aus diesen KBA-Statistiken könnte eine Artikelserie entstehen, vielleicht auch mit öko-psychologischen Folgerungen. Und weil es in Deutschland so viele Ranglisten-Junkies gibt, könnten die Statistiken (und Trends) mal wirklich populär-wissenschaftlich durchleuchtet werden, auch europaweit vergleichend, oder weltweit. Dann wird die Verlogenheit hinsichtlich der ökologischen Verantwortung und angestrebter Vorbildhaftigkeit Deutschlands u. U. schnell entlarvt.

  • „Bis der Deutschlandtakt dafür sorgen wird, dass 2070 die Bahn pünktlich kommt …“

    Sehr witzig! Wenn der Deutschlandtakt erst 2070 kommt, wäre er sowas von verspätet, dass er überhaupt nicht kommt, weil längst schon ausgefallen. Und damit taucht er in der DB-Verspätungsstatistik auch gar nicht erst auf – gilt im Bahnverständnis nicht als verspätet, sondern theoretisch als pünktlich. Bahnlogik eben.

    Worauf man sich heute öfters verlassen kann, ist, dass man bei Verspätung seines ICEs den Anschluss-ICE noch gut erreicht, weil der auch nicht pünktlich ist. Selbstheilungskräfte im Bahnsystem?! Gewissermaßen …