piwik no script img

Zu Ehren des Komponisten MoondogDurch Hamburg mit dem Mondmobil

Zum Kampnagel-Festival fuhren Thies Mynther, Veit Sprenger und Tobias Euler durch Hamburger Kieze. Ihre „Moon Machine“ ist eine Hommage.

Nicht mit dem Batmobil, sondern der „Moon Machine“ durch Hamburgs Straßen Foto: Peter Hönnemann

Da steht es, unter den Bäumen der Moorweide, in Wurfweite des Hamburger Dammtorbahnhofs. Ein seltsames Gefährt auf vier Rädern, ein überdimensionierter Leierkasten, mit Anleihen an persische Sänften und jamaikanische Soundsystems.

Darauf zwei Männern in langen schwarzen Roben, die an die minimalistische Kluft der Bauhaus-Künstler erinnert. Beide bedienen Keyboards und Laptops. Der mit dem kahlen Schädel loopt ein sanftes Fender-Rhodes-Motiv, der mit dem Pferdeschwanz singt lautmalerisch die Melodie des „Bird’s Lament“ dazu.

Eine unglaubliche Komposition im Stile einer barocken Chaconne, im Original kaum zwei Minuten lang: unruhige Perkussion, Bläser und Streicher, die sich hymnisch umtänzeln, ein süchtig machendes Thema. Vor mehr als 50 Jahren schrieb es der US-Amerikaner Louis Thomas Hardin. Hardin war jahrzehntelang ein Straßenmusiker, der seine Instrumente selbst baute und Stücke schuf, die selbst Leonard Bernstein zum Staunen brachten.

Als Moondog wurde er weit über die Straßen Manhattans hinaus bekannt, ehe er Anfang der siebziger Jahre von dort verschwand. Und ausgerechnet in Westdeutschland wieder auftauchte. Auf einmal stand der blinde Musiker in den Fußgängerzonen von Hannover und Recklinghausen. Und hier: auf einer Wiese am Hamburger Dammtor.

Mit Rauschebart, gehörntem Helm und Speer

Da, wo einst der zwei Meter große Moondog stand, mit Rauschebart, Lederumhang, gehörntem Helm und einem Speer in der Hand, parkt nun die „Moon Machine“. Die „interventionistische Musikmaschine“ ziert Hörner links und rechts und am Heck neben dem Speaker eine von Moondog-Porträts eingerahmte Sanduhr; überall hängen Instrumente. Bunte Sonnenschirme schützen die Performer notdürftig vor dem langsam einsetzenden Regen.

Der Zug setzt sich in Bewegung. „No love, no hate, just parade“, ruft Thies Mynther, der Mann mit dem kahlen Schädel, ins Mikrofon. Die „Moon Machine“ hat der Komponist gemeinsam mit dem Theatermacher Veit Sprenger und dem bildenden Künstler Tobias Euler entwickelt. Während Mynther und Sprenger musizieren, muss Euler, in Shorts und Basecap, das Gefährt wie einen Bollerwagen ziehen. Der Dieselgenerator reicht gerade mal aus, um die Technik mit Strom zu versorgen.

Ziel der Parade: das Außengelände einer ehemaligen Maschinenfabrik in Hamburg-Winterhude. Die Kulturfabrik Kampnagel zollt bei ihrem diesjährigen Sommerfestival dem vor 21 Jahren verstorbenen Moondog Tribut.

Mynther ist auf Kampnagel schon mit Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow aufgetreten. Er hat mit Die Sterne, Bernd Begemann, Superpunk und Tellavision performt – also eigentlich mit allen Hamburger Rockbands von Bedeutung. Kurz vor der Parade schwärmt Mynther von den humorvollen Texten und den Kompositionstechniken Moondogs.

Eine „Kunstgebung“ für den Mondhund

„Er ist ja auch wegen Bach nach Deutschland gekommen. Dessen Kunst der Fuge hat ihn genauso beeinflusst wie die Rhythmen der Blackfoot-Ureinwohner, die er als Kind erlebte.“

Die Parade überquert den Mittelweg und erreicht die Außenalster. „Wortspiele mit Kunst sind ja eigentlich verboten. Aber was wir hier machen, ist eine Kunstgebung“, erklärt Veit Sprengler. Der Zug ist ordentlich als Demonstration angemeldet, die 50-Teilnehmer-Grenze wird knapp unterschritten. Das Blaulicht vorweg lenkt die Aufmerksamkeit auf den bunten Holzwagen. „Dies ist kein Batmobil, dies ist die Moon Machine!“, skandiert Sprengler.

Eine Gruppe Abiturienten mit Bierkästen und Polohemden wartet mit offenen Mündern darauf, die Straße überqueren zu können. Kurz vor der Krugkoppelbrücke: Tankstopp, der Generator wird befüllt. Es geht an Villen vorbei, die Moondog auch mit hunderttausend Jahren Straßenmusik nicht hätte bezahlen können. Während sie performen, rührt Sprengler für sich und Mynther einen Matcha-Tee an.

Die Moon Machine ist im „Avant-Garden“ von Kampnagel angekommen. Nach kurzer Pause beginnt ein weiteres Set. „Er hat selbst Instrumente erfunden, also wollten wir das auch“, sagt Mynther über den stets mit einer selbst gebauten Trimba-Trommel bewaffneten Moondog. Die zwei Miniklaviere am Bug der Moon Machine werden bespielt, der Klang ist nun Dub-artig.

Die automatisierten Shaker shaken, die mechanische Flöte flötet. Der Nieselregen tropft unaufhörlich, die Plastikstühle sind fest im Boden verankert und der Sound ist zu leise. Mynther und Sprengler singen ein wenig schief. Aber der Gin Tonic beginnt zu wirken, die Lichterketten funkeln, die Musiker remixen „Bird’s Lament“ und alles ist gut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!