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Zoff um Palästina-T-Shirt in HamburgStreit im Programmkino

Beim Screening eines Dokumentarfilms in Hamburg muss sich İbrahim Arslan, ein Überlebender der Anschläge von Mölln, gegen den Vorwurf des Rassismus wehren.

İbrahim Arslan organisiert seit Jahren das Gedenken an den Anschlag von Möllnvon 1992, bei dem Mitglieder siener Familie starben Foto: Marcus Brandt/dpa

Hamburg taz | Eigentlich sollte es an diesem Abend um etwas anderes gehen. Am Ende bleibt dieses Video. Knapp eineinhalb Minuten ist es lang. Aus der mittleren Reihe gefilmt, zeigt es die Bühne eines Programmkinos in Hamburg-Ottensen.

Man sieht den Geschäftsführer des Kinos, einen weißen Mann, wie er erst dem Überlebenden eines rassistischen Brandanschlags Rassismus vorwirft und dann dem Sohn einer Schoah-Überlebenden das Mikro wegnimmt und mit ihm über Israel diskutiert.

Es geht auf Instagram viral. Menschen rufen zum Boykott des Kinos auf. Hier zeigt ein Deutscher, wie deutsches Erinnern geht, schreibt Mohamed Amjahid im Freitag.

Das Video zeigt nur einen kleinen Ausschnitt eines Abends, an dem es eigentlich um den Dokumentarfilm „Die Möllner Briefe“ (2025) gehen sollte, der von der verhinderten Solidarität nach dem rassistischen Brandanschlag in Mölln 1992 handelt. Für ein Podium nach der Vorführung ist İbrahim Arslan gekommen, der als Kind den Anschlag überlebte, drei Verwandte verlor, sich sein Leben lang gegen Rassismus und Antisemitismus engagiert und Protagonist des Films ist.

Rassismus aus Deutschland

Das Video zeigt den Beginn der Veranstaltung. Man sieht Matthias Elwardt, den Kinoleiter, der Arslan gegenübersteht und ihn um zwei Köpfe überragt. „Ich verstehe nicht, wir zeigen heute einen antirassistischen Film“, sagt er in ein Mikro, Arslan hat keins. „Ja, von einer Familie, die von Ihrem Rassismus betroffen ist“, ruft der, „von Ihrem, aus Ihrem Land!“ Man versteht ihn ohne Verstärkung kaum.

„Ja, aber das ist doch nicht so, dass man jetzt sagen kann, man macht selber Rassismus“, sagt Elwardt laut über das Mikro. Das Publikum buht, Leute rufen: „Bullshit!“ Arslan bedankt sich.

Dann ruft Elwardt Richtung Saal: „Wir sind in dem Land, in dem es den Holocaust gegeben hat. Ich kann doch nicht auf die Bühne jemanden stellen, der sagt, Juden dürfen kein Land haben. Wir sind in Deutschland und haben eine Verpflichtung“, er hebt den Zeigefinger, „Es gibt ein Recht von jüdischen Menschen, das gibt es!“ Er erntet Rufe und Pfiffe.

Was ist passiert? Noch bevor sie auf die Bühne gehen, spricht Elwardt İbrahim Arslan auf sein T-Shirt an. Darauf zu sehen ist der Umriss dessen, was heute Israel, Gaza und das Westjordanland sind, in den Farben der palästinensischen Flagge. Er habe das Symbol als Wunsch der Vertreibung der Juden aus Israel gelesen, sagt Elwardt später.

Er habe das Shirt als Zeichen der Solidarität mit einer von Völkermord betroffenen Bevölkerung getragen, sagt Ars­lan. Elwardt habe ihn aufgefordert, es auszuziehen. Um das öffentlich zu machen, ist er auf die Bühne gegangen. Später, vor der Diskussion zum Film, entschuldigte er sich sogar für die Szene. Im Gegensatz zu Elwardt.

Der Sohn von Esther Bejarano

Im Video nimmt Arslan Elwardt irgendwann das Mikro ab und reicht es einem Mann, der vor der Bühne steht. „Guten Tag“, sagt der. „Ich bin der Sohn von Esther Bejarano, allen bekannt?“ Zustimmung aus dem Publikum, dem die 2021 verstorbene Antifaschistin und Schoah-Überlebende ein Begriff ist. „Und ich hab überhaupt nichts gegen dieses T-Shirt!“ İbrahim Arslan nickt und hebt die Faust, Applaus.

„Das ist so diskriminierend gewesen für İbrahim“, sagt Joram Bejarano später der taz, „das hab ich mitbekommen, und dann bin ich nach vorne gegangen und hab gesagt, dass ich Jude bin und die israelische Regierung kritisch sehe.“

Matthias Elwardt entschuldigt sich zwei Tage später für seine „Fehlreaktion“. Alle Kinoeinnahmen des Films will er an Arslans Organisation „re­claim&­remember“ spenden. Der Film „Die Möllner Briefe“ läuft seit 25. 9. in den Kinos.

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