Sohn von Esther Bejarano über Erinnerung: „Noch kein Rezept gegen Nazis“

Braucht auch das Gedenken ans Allerschlimmste zwischendurch etwas Spaß? Joram Bejarano über Erinnern, Humor – und seine Mutter.

Microphone Mafia: Esther Bejarano auf der Bühne

Stand mit über 90 Jahren noch auf der Bühne: Esther Bejarano Foto: Timm Schamberger/dpa

taz: Herr Bejarano, Ihre Mutter, die 2021 verstorbene Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano, hat sich zeitlebens gegen das Schweigen und für das Erinnern eingesetzt. Aus Ihrer eigenen Erfahrung: Was hilft dabei, sich aktiv zu erinnern?

Joram Bejarano: Man braucht die Erzählung. Emotionen sind natürlich auch wichtig, aber die sind automatisch im Raum, weil wir von solch schrecklichen Ereignissen berichten. Zu Beginn sind die meisten sehr bedrückt, später dann erleichtert.

Wann setzt diese Erleichterung ein?

Bei manchen Menschen überhaupt nicht. Aber bei vielen setzt sie ein, wenn wir Musik machen: Musik hilft, um zwischen Menschen zu vermitteln. So laden wir die Leute ein, dass sie mitmachen und fröhlich sind. Wir sagen immer: Diese Arbeit darf auch ein witziges Gesicht haben.

Was meinen Sie damit genau?

Wir machen Späße zwischendurch und erzählen Anekdoten von unserem Projekt ­„Bejarano Microphone Mafia“. Das ist sehr auflockernd für das Publikum. Wir brauchen auch den Humor dabei, damit die Menschen das Ganze aufsaugen können. Wer verspannt ist, ist nicht empfänglich. Ich möchte aber mit den Menschen ins Gespräch kommen.

geboren 1952 in Kfar Saba (Israel), ist Komponist und Musiker. Er lebt in Hamburg.

Gehen Sie bei Ihren Auftritten auch auf aktuelle Geschehnisse ein?

Auf jeden Fall. Je nachdem, was in der Welt passiert, greifen wir das auf. Nach wie vor beschäftigt mich zum Beispiel die Situation der vielen Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. Darüber schweigt man gerade, aber das Sterben geht weiter. Das muss man immer wieder laut sagen. Nach unseren Auftritten hören wir oft von den Leuten: „Ich werde mich jetzt engagieren!“ Deswegen: Man darf nicht schweigen, man muss laut sein.

Ihre Mutter war ja selbst immer wieder mit auf der Bühne, sie hat mitgesungen und aus Ihrer Biografie vorgelesen. Wie treten Sie jetzt auf, wo sie nicht mehr dabei sein kann?

Ich lese aus ihrem Buch, kommentiere ihre Geschichten und erzähle Anekdoten. Das trägt auch zur Auflockerung bei. Aber es macht natürlich einen Unterschied, ob ich aus dem Buch meiner Mutter lese oder ob sie selbst es tut. Es war eindrucksvoller bei ihr. Ich bin weiter weg als sie, weil ich kein Zeitzeuge bin. Und ich kann diese Position nicht in Vertretung einnehmen. Aber ich möchte mit dem Projekt an meine Mutter erinnern, an das, was sie erlebt hat, an ihre Arbeit als Aktivistin. Wir machen das auch mit der Musik, indem wir ihre Stimme vom Band trällern lassen (lacht). Man hört dann die Lieder – und wir begleiten sie live musikalisch dazu.

Kommt das beim Publikum an?

Das ist vor allem bei den älteren Zuschauern beliebt, die Esther jahrzehntelang kannten und begleiteten. Ich habe auch schon mal über ein Hologramm meiner Mutter nachgedacht Manchmal habe ich das Gefühl: Oh, das wäre jetzt witzig, wenn sie hier stünde. Auch wenn es nur ein Spaß wäre, die Zuschauer würden es verstehen, glaube ich. Aber wir belassen es bei der Stimme vom Band. Die ist sehr lebendig.

Wie tragen wir Geschichte weiter, wie erinnern wir, wenn die letzten Zeitzeugen gestorben sein werden?

Die Schule ist ein sehr wichtiger Ort. Bei unserer Arbeit mit Schülern ziehen wir Parallelen zur heutigen Zeit. Das hilft, um die Geschichte anschaulicher zu machen. Allgemein braucht man unbedingt Orte des Begehens – damit die Geschichte möglichst nahbar wird.

Feierstunde zum 77. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Festrede: Joram Bejarano, musikalische Begleitung: Joram Bejarano & Kutlu Yurtseven (Microphone Mafia):

Donnerstag, 27. Januar 2022, 18 Uhr, als kostenloser Livestream auf Youtube. Anmeldung nötig, Details unter www.kampnagel.de

Und wie verhindert man, dass Gedenken zur ritualisierten Pose verkommt?

Indem man solidarisch und rücksichtsvoll handelt. Man darf sich selbst immer wieder fragen: Wie kann ich etwas beitragen? Da müsste die Konsequenz sein, dass man sich einbringt, politisiert, vielleicht sogar in eine Partei eintritt, um zu verwirklichen, woran man glaubt. Hauptsache, die Menschen bleiben wach. Ich bin mir völlig im Klaren darüber, dass es noch genug Nazis gibt in diesem Land. Dagegen habe ich alleine auch noch kein Rezept. Es geht eben nur mit der Masse.

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