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Zivilgesellschaft in der KlimakriseWandel ohne Panikmodus

Forscher*innen warnen vor den katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels. Alles muss sich radikal ändern – nur wie?

Vom Klima künstlich abgekoppelt: Treibhaus in Singapore Foto: Douglas Sanchez / Unsplash

Hamburg taz | Der Klimawandel ist bereits spürbar: Hitze, Trockenheit, Sturmfluten. Trotzdem kommt der notwendige gesellschaftliche Wandel nur schleppend in Gang. Wie kann so eine sozialökologische Transformation funktionieren? Damit sich neue gesellschaftliche Normen durchsetzen – etwa die, dass Wirtschaftswachstum nicht alles ist –, braucht es ständige Impulse. Solche Triebfedern können technologische Fortschritte, ökologische Veränderungen oder soziale Bewegungen sein.

Disruptionen dieser Art stellten das bisherige „Welt- und Selbstverhältnis“ infrage, sagt der Erziehungswissenschaftler Hans-Christoph Koller von der Uni Hamburg. Soll daraus ein kollektiver Wandel werden, braucht es Raum zum Experimentieren – und das möglichst nicht im Panikmodus. Dann nämlich verfallen Menschen in ihre eingespielten Muster: „Man kann sich das vorstellen wie eine Wohnungsbesichtigung. Ich ziehe nur aus meiner alten Wohnung aus, wenn ich meine neue schon gesehen und mir überlegt habe, wie es da sein wird“, erklärt Klimaökonom Herrmann Held von der Uni Hamburg.

In dieser Testphase können Wissenschaft und Unternehmen Szenarien liefern, die in Modellprojekten ausprobiert werden – und die Politik muss den Rahmen bieten. „Es braucht Toleranz dafür, dass man sich auch mal irrt. Ein gesellschaftlicher Lernprozess mit Irrwegen und Nachjustierungen“, sagt Katharina Umpfenbach, Politikwissenschaftlerin am Ecologic Institut in Berlin.

Politik und Wirtschaft kann man dabei nicht blind vertrauen: „Die Zivilgesellschaft ist die einzige Akteurin, die langfristiges Interesse, im Sinne einer Zeitspanne von ein bis zwei Generationen, am Klimaschutz hat“, sagt Held. „Alle anderen Akteure sind abhängig: Politiker*innen von Wahlen, Unternehmen von Regulation.“

Hoffnung liegt auf der Zivilgesellschaft

Auf der politischen Ebene ist die Zivilgesellschaft der Gegenpol zum Lobbydruck. Bürger*innen kennen ihre Stadt am besten und wissen, was dort funktioniert. Als 2015 viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, bauten sich vor Ort schnell Hilfsnetzwerke auf. Ehrenamtsstrukturen müssen auch jetzt in Planungsprozesse für Extremwettereignisse und Stadtentwicklung eingebunden werden.

Politiker*innen müssen die Bürger*innen also motivieren, Dinge aktiv voranzutreiben, und Macht abgeben. Transformation kann überall starten – im Sportverein, der Kirche, aber sie kann auch über Bürger*innenräte oder runde Tische organisiert werden.

Die Gesellschaft muss den Wandel mittragen: Für diese „gesellschaftliche Trägerschaft“ müssen Kosten und Nutzen in der Bevölkerung breit verteilt sein. Das bedeutet auch, dass die Privilegien der aktuellen Systemprofiteure hinterfragt werden müssen, dass es Umverteilung geben muss.

Wird eine Umweltschutzregelung verabschiedet, muss gleichzeitig über Sozialpolitik für diejenigen etwas verbessert werden, die sonst hinten runter fallen. „Der heutige Individualverkehr ist nicht nur eine technische, sondern auch eine soziale Frage – wie kommen Leute zur Arbeit, was würde das für eine neue Mobilität bedeuten?“, sagt der Soziologe Stefan Aykut von der Uni Hamburg.

Eine gute gesellschaftliche Vorbereitung verringert auch den Widerstand. „Man muss sich darum kümmern, nicht ganze Bevölkerungsgruppen abzuhängen, aber 100 Prozent Zustimmung wird man nicht in jedem Punkt bekommen können“, sagt Politologin Umpfenbach.

Nur zusammen sind wir stark

Die gute Nachricht: 50 Prozent Zustimmung reichen aus. „Wenn sich nach fünf Jahren die Zustimmungswerte für die Maßnahme nicht verbessert haben, muss man es ändern. Oft steigt die Zustimmung aber, wenn es erst mal gemacht wurde, weil man die Vorteile spürt“, erklärt Kommunikationswissenschaftlerin Katharina Kleinen-von Königslöw von der Uni Hamburg.

Ausreichende Zustimmungswerte für die Transformation haben wir erreicht. Es braucht nun Austausch über den emotionalen Umgang mit dem Wandel, über gemeinsame Werte: Solidarität, Verantwortungsübernahme, Gerechtigkeit.

In Krisen sind wir nur stark, wenn wir zusammenhalten: „Gesellschaftliche Mitgestaltung braucht Solidarität, Gefühlstoleranz, Selbstreflexion und Mut zum Handeln“, sagt die Psychologin Lea Dohm aus Stadthagen. Schließlich muss der Testballon es zur neuen Normalität schaffen. Die Wissenschaft kann Empfehlungen zu den politischen Instrumenten geben. Komplett planen kann man so eine Transformation nicht – nur langfristige Ziele setzen.

Was Sie tun können? „Erst Bürger*in sein und dann Konsument*in“, sagt Umpfenbach. Politisches Handeln ist das Wichtigste – wählen, sich aufstellen lassen, demonstrieren, sich in Konsultationsprozesse einbringen, Veränderungen mittragen. Fehlt ein Radweg, um mit dem Rad zu pendeln? Setzen Sie sich dafür ein. Nehmen Sie Anliegen aus dem Privaten mit in Ihre anderen Lebensumfelder, sprechen Sie mit Abgeordneten oder Ihrer Chef*in. Kleinteiliger Wandel kann durch eine Bewegung hochskaliert werden. Transformation geht nur zusammen.

Katharina van Bronswijk ist Psychologische Psychotherapeutin und bei Psychologists for Future aktiv.

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4 Kommentare

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  • Viele Buzzwords aber keine klare Linien, sondern Inkohärenz und Widersprüche.



    Da werden mit Disruption und Transformation völlig konträre Ansätze durcheinander geworfen, aber immerhin hört es sich cool an.



    Dann wird die Notwendigkeit eines schnellen und kompletten Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft konstatiert aber als Weg dorthin für zivilgesellschaftliches Grass-Roots-Klein-Klein geworben, nur um dann zu erklären, dass 50% für eine Mehrheitsentscheidung ja ausreichen und dabei zu übersehen, dass Demokratie eben nicht die Diktatur der Mehrheit meint.



    Immerhin den zitierten Allgemeinplätzen, ganze Bevölkerungsgruppen abhängen ist schlecht, Toleranz ist gut, Engagement auch, wird man schwerlich widersprechen können.

  • Zitat: „Die Zivilgesellschaft ist die einzige Akteurin, die langfristiges Interesse [...] am Klimaschutz hat [...] Alle anderen Akteure sind abhängig: Politiker*innen von Wahlen, Unternehmen von Regulation.“

    Es fällt dreierlei auf:



    a) Die „Zivilgesellschaft“ existiert nicht unabhängig von Wirtschaft und Politik.



    b) Unternehmen sind weniger von Regulation abhängig, als vielmehr vom Prinzip Wachstum.



    c) Politiker orientieren sich weniger an Wahlen, als vielmehr an dem, was Lobbyisten über die Folgen politischen Handelns sagen.

    Es ist offenbar nicht so ganz leicht, „erst Bürger*in [zu] sein und dann Konsument*in“ bzw. Wählerin. Noch schwerer aber scheint es zu sein, entsprechend verantwortungsbewusst zu handeln. Nehmen wir nur mal Katharina van Bronswijk und Herrmann Held:

    Als ausgebildete Psychologische Psychotherapeutin könnte die Autorin wissen, dass und wieso Wähler*innen/Konsument*innen auf Werbung und Ideologie genau so stark ansprechen, wie Politiker*innen auf Lobbyist*innen. Womöglich könnte sie ihren Mitmenschen auch erklären, dass und warum die einen wie die anderen so selten bereit sind, sich von ihren Privilegien zu trennen. Wieso setzen Menschen statt dessen alle verfügbaren Mittel ein, um eine „Umverteilung“ zu ihren Ungunsten zu verhindern? Und zwar selbst dann noch, wenn sie genau wissen, das die befürchteten Nachteile eher gefühlt und kurzfristig sind, als real und nachhaltig? Vor allem aber: Was kann jede*r Einzelne tun gegen die Angststörung?

    Statt ihr eventuelles Herrschaftswissen also zu teilen, etwa mit Herrmann Held, der nicht weniger Teil der „Zivilgesellschaft“ ist als sie und die taz-Leser*innen, der sich aber aus der Pflicht nimmt, interviewt Katharina van Bronswijk Personen, die Aufgabenzuweisung der billigsten und folgenlosesten Art betreiben (Who the fuck is „die Zivilgesellschaft?). So wird das nichts.

    Das scheint mir der Haken an jeder Autorität und aller Pädagogik zu sein: Fordern ist leicht. Vorbild sein nicht.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Forscher können nur warnen, sie treffen aber keine politischen Entscheidungen.

    Leider haben in unserem System die Lobbyisten enormen Einfluss, wie man bei den Bauern sieht.



    So wird das nicht!

    Um eine Klimakatastrophe abzuwenden, benötigen wir die besten Köpfe und tatkräftige Politiker, die z.B. Bolsonaro so die Hölle heiß machen, dass der kein Bein mehr auf den Boden bekommt.



    Das geht am besten durch Wirtschaftssanktionen über die EU. Wenn sich die EU als handlungsunfähig erweist, dann eben im Alleingang.



    Wurde ja bei den Flüchtlingen seinerzeit auch so gemacht. Allein der Wille ist entscheidend und wie man so ein Thema dem Wahlvolk kommuniziert.

  • Ich vermisse in der Diskussion besonders eine "for Future" - Gruppe.



    Nämlich "Politicans for future".

    Aber darauf zu hoffen wäre blauaügig und fatal.

    Denn aktuell (und spätestens seit dem Dieselskandal) wissen wir dass Politiker nichts gegen die globale Körperverletzung unternehmen.



    Ja, Körperverletzung. Denn durch die Umweltschäden erkranken ja bereits jetzt Tausende. Auch hierzulande.