Zeugenvernehmung im NSU-Prozess: Die Spur der Mordwaffe

Schon 2006 meldete sich beim BKA ein Tippgeber, der entscheidende Infos zur Tatwaffe hatte. Dort glaubte man ihm nicht. Jetzt sagt der mutmaßliche Importeur aus.

Die Tatwaffe aus Tschechien wurde im Brandschutt in Zwickau gefunden. Bild: dpa

HAMBURG taz | Im Saal A 101 des Münchner Oberlandesgerichts könnte am Dienstag großes Schweigen herrschen. Als einzigen Zeugen hat der Strafsenat für den 134. Verhandlungstag im NSU-Prozess Jürgen L. geladen, einen früheren Freund und Jugendhaft-Kollegen von Uwe Böhnhardt. Er soll aussagen, woher die Česká 83, Kaliber 7,56 mm Browning, stammte – jene Waffe mit Schalldämpfer, die die Rechtsterroristen laut Anklage nutzten, um neun Menschen zu töten.

Jürgen L. war schon mal im vergangenen November geladen, wollte damals aber keine Aussage machen, um sich nicht den Vorwurf der Beihilfe zu der Mordserie einzuhandeln. Dabei wäre seine Aussage spannend. Denn wenige Aspekte der NSU-Affäre illustrieren so deutlich das Versagen der Ermittlungsbehörden wie die vergebliche Suche nach der Česká.

Mit einer eigenen Ermittlergruppe, der „EG Česká“, hatte das BKA der Waffe nachgespürt. Sie war an jedem Tatort der Mordserie benutzt worden: zuerst 2000 bei der Erschießung Enver Simseks in Nürnberg, zuletzt 2006 bei Halit Yozgat in Kassel.

Auf seiner Suche landete das BKA 2007 in der Schweiz. Ein Jahr zuvor hatte sich der Deutsche Lothar M. beim BKA gemeldet und auf den Schweizer „Generalimporteur“ der Česká verwiesen, die Firma Jan Luxik. Für den Schalldämpfer verwies er auf die Firma Schläfli & Zbinden. Ganze 15 Mal soll sich Lothar M. 2006 und 2007 beim BKA gemeldet haben, heißt es im Abschlussbericht des NSU-Bundestagsuntersuchungsausschusses – wegen „der hohen Belohnung“.

Die Ermittler sahen in dem Tippgeber allerdings nur einen Verschwörungstheoretiker. In einem BKA-Vermerk vom 6. August 2006 heißt es: „vermutlich ein Spinner“. 2007 überprüfte die Behörde dann doch die Hinweise des „Spinners“ – und landete einen Volltreffer: Über Luxik und Schläfli & Zbinden kamen sie auf den Schweizer Waffenhändler Anton G.

Ermittler streiten Fehler ab

In Vernehmungen stritt Anton G. den Kauf zwar ab, doch Firmenunterlagen belegen ihn. Das BKA hielt die Ausflüchte von Anton G. für „nicht glaubwürdig“, ernsthaft weiterermittelt wurde aber wohl nicht. Dabei verfügte Anton G. auch über „familiäre Beziehungen nach Ostdeutschland“, wie der NSU-Ausschuss festhielt. Vor dem Gremium wiegelte ein Ermittler der „EG Česká“ jedoch ab: Auch dieser Spur sei man gefolgt, ergebnislos. „Fehler haben wir keine gemacht“, so sein Fazit.

Doch hätte das BKA genauer in Anton G.s Umfeld ermittelt, wäre es dort auf dessen Freund Hans-Ulrich M. aus Jena gestoßen, der Waffen verschob. Über diesen und einen Mittelsmann landete die Česká schließlich bei Jürgen L., der die Waffe an den Inhaber des Jenaer Szeneladens Madley lieferte. Dort erwarb sie Carsten S., jetzt Mitangeklagter im NSU-Prozess, für 2.500 DM samt Schalldämpfer und brachte sie dem NSU-Trio. Mit diesem Wissen hätte das BKA das Untergrundleben des NSU eventuell beenden können – gut vier Jahre vor dessen Auffliegen und noch vor dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter.

Unterdessen deutet sich an, dass der NSU-Prozess länger dauern dürfte als ursprünglich geplant. Am Montag verschickte das Münchner Gericht an die Prozessbeteiligten eine Liste mit Terminen bis Ende Juni 2015. Eine Sprecherin sprach von vorsorglichen „Vorratsterminen“. Ursprünglich sollte der Prozess in diesem Jahr beendet werden. Er begann im Mai 2013.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.