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Zementwerk will klimaneutral produzierenOb das geht?

Ein Zementwerk in Schleswig-Holstein will klimaneutral produzieren. Umweltverbände warnen, der Energie- und Wasserverbrauch vervielfache sich dann.

Das Zementwerk in Lägerdorf würde künftig gerne klimaneutral produzieren. Ob das auch klappt, ist fraglich Foto: dpa | Christian Charisius

Hamburg taz | Bislang gelangen jährlich über eine Million Tonnen CO₂ aus dem Zementwerk im schleswig-holsteinischen Lägerdorf in die Atmosphäre. Das soll sich künftig ändern: Der schweizerische Baustoffproduzent Holcim möchte sein Werk bis 2028 zu einer der weltweit ersten CO₂-neutralen Produktionsstätten umwandeln.

Zum ersten Spatenstich reiste eigens Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an – dabei ist das Projekt bei Umweltverbänden durchaus umstritten. Denn durch die neue Anlage wird der Wasser- und Energieverbrauch des Zementwerks deutlich steigen. Für BUND-Experte Lothar Wittorf „lenkt die Spatenstich-Feier nur von massiven Umweltproblemen ab“.

Die Zementindustrie ist mit weltweit 8 Prozent der CO₂-Emissionen eine der klimaschädlichsten Industriebranchen, kein Wunder also, dass Bundeswirtschaftsminister Habeck von einem „Musterbeispiel für die grüne Transformation“ sprach. Holcim möchte die CO₂-Neutralitätmit dem Einsatz eines neuen Ofenprototyps bei der Zementproduktion erreichen. Die Kosten werden auf 500 bis 600 Millionen veranschlagt, die EU übernimmt 109,6 Millionen Euro.

Bislang wird der Drehofen im Werk Lägerdorf mit Umgebungsluft erhitzt, um aus Kreide Zement zu produzieren. Die Krux daran ist: Während der Herstellung werden große Mengen an unreinem CO₂ und anderen Gasen frei, die die Umwelt belasten. Der neue „Ofen 12“ soll mit reinem Sauerstoff betrieben werden, sodass während der Zementproduktion sehr reines CO₂ entsteht, das dann abgeschieden, aufbereitet und schließlich in der Industrie als Rohstoff weiterverwendet werden kann. „Damit werden die rund 1,2 Millionen Tonnen CO₂, die heute jährlich in Lägerdorf emittiert werden, in Zukunft nicht mehr in die Atmosphäre entweichen“, erklärt Sven Weidner, Leiter des Projekts in Lägerdorf.

Zement und Emissionen

Die deutsche Zementindustrie produzierte 2021 rund 35 Millionen Tonnen des Baustoffes und machte 3,1 Milliarden Euro Umsatz – damit verwaltet Deutschland den größten Zementmarkt Europas.

Das Zementwerk in Lägerdorf produziert seit fast 160 Jahren.

Es verursacht jährlich sechs bis sieben Prozent der CO2-Emissionen in Schleswig-Holstein und rangiert auf Platz zwei der größten CO2-Verursacher des Bundeslandes.

Doch Um­welt­schüt­ze­r*in­nen weisen immer wieder darauf hin, dass der Innovation auch einige Belastungen für die Umwelt gegenüberstünden: „Es wäre ein großer Fortschritt, wenn die Zementproduktion frei von Emissionen sein würde“, sagt Marc Ehlers, der Vorstand der Bürgerinitiative BIAD. „Es sind die Randerscheinungen, die uns zu schaffen machen. Wenn beispielsweise geklärt ist, wo das CO₂ landet und wie hoch der Wasser- und Stromverbrauch ist, sind wir offen für den Ofen 12.“

Ein zentrales Problem beim Umbau ist nämlich, dass die neue Technologie den Gesamtenergiebedarf des Zementwerks verdreifacht. Zwar wird der Strom größtenteils aus Offshore-Windkraft gewonnen und ist damit grün, doch um den steigenden Energiebedarf decken zu können, möchte Holcim den bestehenden Windpark um sechs Anlagen erweitern. Dafür müsste dann wiederum Landschaftsfläche weichen.

Auch der Kühlwasserbedarf wird sich um das 15-Fache erhöhen. Woher das Wasser kommen soll, ist derzeit offen. Der BUND kritisiert weiter, dass der geplante Kreideabbau, mit dem Holcim seine Rohstoffversorgung für die nächsten 100 Jahre sichern wolle, Wald und Wiesen auf ehemaligen Moorböden vernichtet. Der BUND fordert daher klimawirksame Ausgleichsmaßnahmen.

Aber auch der Kreideabbau selbst belastet die Umwelt und die umliegenden Gewässer in Lägerdorf stark: Unterhalb der Kreide liegt ein Salzstock, der mit zunehmender Abbautiefe den Salzgehalt in der Kreide und im Grubenwasser erhöht. Das salzhaltige Wasser wurde bislang über einen Kanal abgeleitet. In Zukunft soll das Wasser auf direktem Wege in die benachbarte Stör gelangen. Nach dem massenhaften Fischsterben in der Oder ist die Sorge groß, dass dadurch das ökologische Gleichgewicht des Flusses bedroht wird.

„Wir wehren uns dagegen, dass nach unseren Berechnungen zukünftig knapp 8.000 Tonnen Salz in die Stör geleitet werden sollen“, erklärt Ehlers von der Bürgerinitiative BIAD. „Deswegen klagen wir auch vor dem Verwaltungsgericht.“ Sollte die Initiative vor Gericht recht bekommen, hätte Holcim in Zukunft große Schwierigkeiten, die Zementproduktion fortzuführen – denn ohne Entsalzungsanlage ist der Kreideabbau nicht möglich. Das Projekt des Zementwerks als klimaneutral zu bezeichnen, hält Ole Eggers vom BUND daher auch für einen „Etikettenschwindel.“

Dass in Lägerdorf echte Klimaneutralität kein unmittelbar bevorstehendes Szenario ist, bestätigte auch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). „Wir werden natürlich auf CO₂auch in Zukunft nicht verzichten können“, sagte er. Ebenso könne nicht jeder CO₂-Ausstoßverhindert werden.

Daher plädierte er neben der Speicherung von Kohlenstoffdioxid auch für die weitere Nutzung des Klimagases. Um das CO₂, welches auch im Werk von Holcim abgeschieden werden soll, weiter nutzen zu können, brauche es jedoch eine vernünftige Infrastruktur und da stünden noch einige Aufgaben vor Land und Bund.

Für Marc Ehlers von BIAD gehen die zu erledigenden Aufgaben noch weiter: „Bisher liegt noch nicht mal eine Baugenehmigung vor – nach unseren Einschätzungen soll durch den Spatenstich das Commitment der Politik erzwungen werden.“

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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Forschung seit Jahrzehnten am Karlsruher KIT:



    Verbesserung im Baubereich durch IngenieurInnen mit Innovationskraft und Anwendungsinitiativen



    /



    www.kit.edu/kit/pi_2009_140.php



    /



    idw-online.de/de/news812638

  • Innovative Idee, ein Unternehmen, das bereit ist zu investieren, erste Schritte um dies in der Praxis zu erproben…und schon wieder melden sich Bedenkenträger, die in kleinteiliger Diskussion den Blick auf den Klimawandel verlieren.

  • Ich finde den headliner schon Klasse. Ein Bauprojekt ankündigen und fragen: "Ob das geht?"



    Klar geht das, einen Flughafen kriegen wir ja auch ruck zuck in die Landschaft genagelt.

  • Man kann auch gegen alles sein.



    Neue Wohnungen gibt es halbwegs bezahlbar nicht ohne Zement, außer wir ziehen wieder auf die Bäume.



    Dürfte sich aber von alleine erledigen, denn diesen Zement will keiner kaufen, bei dem was er kosten wird.

  • Selbst Lesern ohne akademischen Hintergrund dürfte klar sein, dass "klimaneutral" bedeutet: Pro Zeiteinheit wird mindestens soviel CO2 gebunden wie entsteht.



    Wohlgemerkt: Wie durch den Umwandlungsprozess an sich und durch den Energieverbrauch entsteht.

    CO2 irgendwohin zu verpressen oder zu lagern oder sonst was ist natürlich totaler Beschiss. Dann haben wir nämlich in ein paar Jährchen nicht nur ein Plastikproblem überall sondern auch ein CO2-Lager-Problem überall.

    Wieviel Hektar Pflanzenfläche bzw Wald braucht es denn um die Menge an CO2 zu binden ?

    Bei "wald.de" findet sich :



    Der deutsche Wald “speichert” pro Hektar 5,4 Tonnen CO2 .



    D.h. um 1 200 000 t CO2 zu binden müssen jährlich rund 220 000 Hektar Wald aufwachsen.



    Also rund 450 000 Fußballfelder.



    Jedes Jahr.

    Ein Hektar sind 100m x 100m also 0,01 Quadratkilometer.



    Hamburg ist 755 Quadratkilometer groß.

    Also muss jedes Jahr ein Wald mit einer Fläche ca dreimal so groß wie Hambug wachsen.



    Jedes Jahr.

    • @Bolzkopf:

      Danke für dieses vorstellbare Beispiel. Es macht mich betroffen und ratlos....

    • @Bolzkopf:

      "CO2 irgendwohin zu verpressen oder zu lagern oder sonst was ist natürlich totaler Beschiss. Dann haben wir nämlich in ein paar Jährchen nicht nur ein Plastikproblem überall sondern auch ein CO2-Lager-Problem überall."

      Allein das Wegsperren von CO2 ist sicher keine dauerhafte Lösung, weil natürlich immer das Risiko besteht, dass es (zumindest zum Teil) wieder freigesetzt wird.

      Aber es gibt mittlerweile auch dieses Verfahren (Quelle: CORDIS Forschungsergebnisse der EU):

      cordis.europa.eu/a...dioxide-storage/de

      Zitat aus der Quelle:

      "Bei der konventionellen Methode der CO2-Speicherung wird das Kohlenstoffdioxid tief in die Erdkruste injiziert. Doch bei dieser Methode besteht das Risiko, dass das Gas zurück in die Atmosphäre entweicht. Die am EU-finanzierten Projekt CARBFIX (...) beteiligten Forscher speicherten das gasförmige CO2 nicht etwa in leeren Gasreservoirs, sondern injizierten in Wasser gelöstes Kohlendioxid in reaktives Basaltgestein. (...) Ist das Gas in Wasser gelöst, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es in die Atmosphäre entweicht, geringer. Dank der Reaktion mit dem Basaltgestein wird das CO2 sehr viel schneller in Carbonate umgewandelt, die mehrere Millionen Jahre stabil bestehen bleiben werden (...) Diese Technologie hat das Potenzial, mehr als 80 % des injizierten Kohlendioxids innerhalb eines Jahres erfolgreich in Minerale umzuwandeln."

      In Island läuft bereits seit einigen Jahren eine (funktionierende!) Pilotanlage.

      • @Al Dente:

        Super Idee.

        Kurz gesagt: Wir machen künstliches Mineralwasser. Witzig.

        Es ist ein Naturgesetz, dass für die Bindung von Kohlenstoff genau soviel Energie aufgebracht werden muss wie durch die Umsetzung des Kohlenstoffs vorher an Energie nutzbar wurde.

        Ein Nullsummenspiel.



        Ein Naturgesetz.



        Kein Ausweg.

        Außer CO2 einsparen, einsparen, einsparen

        • @Bolzkopf:

          Da wir alternativ gewonnenen Strom vermutlich noch lange nicht zuverlässig und in ausreichenden Mengen speichern können, habe wir immer wieder Zeiten mit Stromüberschüssen, die dann z. B. zur Abschaltung von Windrädern führen. Zumindest diese Stromüberschüsse kann man für derartige Verfahren gewinnbringend nutzen (übrigens auch zur Erzeugung von grünem Wasserstoff).

  • "Das Zementwerk Lägerdorf will künftig klimaneutral produzieren. Umweltverbände warnen, dass sich dadurch der Energie- und Wasserverbrauch vervielfacht."



    Ja mei, einen Tod muss man immer sterben 🤷‍♂️



    Grüner Zement ist genauso eine Wunschvorstellung wie grüner Stahl - da brauchts immer gleichermaßen mathematisches Geschick und den Willen zur Verrenkung um sich das 'grün' zu rechnen.



    Was Beton und Stahl tatsächlich sofort grüner machen würde wäre sie radikal durch Bambus, Holz und andere Naturprodukte zu ersetzen - da wo es halt möglich ist. Autobahnbrücken und ICE Trassen werden auch zukünftig nicht grün zu bauen sein, aber vom Einfamilienhaus bis zu Hochhäusern, von der Turnhalle bis zum Einkaufszentrum 🤷‍♂️ - geht alles mit Holz und sieht auch noch besser aus 👍



    Bspw: www.detail.de/de_d...ntrum-in-groningen



    und



    www.floornature.de...us-der-welt-14548/

  • Schon wieder so ein Projekt, das die Klima-Debatte so fragwürdig macht: Wofür brauchen 'wir' noch Großprojekte, bei denen Unmengen an Zement und Beton benötigt werden ? Ist nicht eine Frage aus der Klimakatastrophe noch (nicht) aktuell: Was benötigt die Menschheit, um noch überleben zu können, wo lässt sich sparen, wieviel viel zu Gigantisches, Überflüssiges soll noch zur Profitschinderei herhalten müssen ? Mit seiner Präsenz überall dort, wo große Unternehmungen eigentlich ausgebremst werden müssten, um nachhaltige Arbeitsplätze zu erhalten, macht sich Habeck zum Büttel genau derer, die die Klimakatastrophe mit verursacht haben. Und ob es letzten Endes überhaupt gelingt, das in Lägerdorf per Pipeline nach Brunsbüttel geleitete CO² wirklich aus der Atmosphäre herauszuhalten, ist auch noch ein nicht kalkuliertes Wagnis, genauso, wie wir die Folgen einer Versalzung, die überall dort, wo weiter industrialisiert wird, entsteht, beherrschen können. Greenwashing oder nur Aktionismus ?