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Zaun um den Görlitzer ParkMalen nach Zahlen

Hanno Fleckenstein
Kommentar von Hanno Fleckenstein

Nachts im Görli werden mehr Straftaten erfasst. Doch der Statistik ist nicht zu trauen. Polizei und Senat rechnen sich den Park absichtlich gruselig.

Wo die Polizei kontrolliert, da wird es kriminell: Einsatz im Görli im März 2024 Foto: Emmanuele Contini/imago

A ls Regierender Bürgermeister hat man es manchmal einfach schwer. Man würde so gern sinnvolle Entscheidungen treffen, alles anders machen, vielleicht sogar menschenfreundliche Politik. Aber was muss, das muss nun einmal, und da kann sich auch der mächtigste Mann Berlins nicht den nüchternen Sachzwängen widersetzen.

So zumindest klingt es, wenn Kai Wegner beklagt, ihm seien beim Thema Görli-Zaun schlichtweg die Hände gebunden: „Mir wäre am liebsten, ich müsste den Zaun gar nicht bauen“, seufzte der CDU-Politiker Anfang der Woche bei einem Bürgerdialog in Kreuzberg.

Doch anscheinend muss er. Schließlich habe die Polizei ihm empfohlen, die Kreuzberger Grünfläche einzuzäunen und nachts abzuschließen. „Und das machen wir jetzt“, sagte Wegner.

Auf den ersten Blick geben ihm die neuen Zahlen zur Kriminalität im Görli recht. Denn sie zeigen zwar, dass insgesamt im Park weniger Straftaten verübt werden als noch im Vorjahr. Bei Nacht aber sind es doppelt so viele wie noch 2024. Ist der Görli also nachts gefährlicher geworden?

Wo die Polizei kontrolliert, wird es kriminell

Spoiler: Nein, das lässt sich so nicht belegen. Was die Zahlen aber wieder einmal demonstrieren: Der Görli ist und bleibt ein Politikum – und die Polizei ein politischer Akteur, dessen Statistiken keine objektiven Fakten darstellen. Die Einsatzstrategie der Polizei produziert die Daten, die den Park nachts gefährlich erscheinen lassen.

Wie funktioniert das? Zunächst einmal ist bemerkenswert, dass die Polizei im bisherigen Jahr 2024 deutlich – fast ein Drittel – weniger Einsatzstunden für den Görlitzer Park und den Wrangelkiez aufgewendet hat. Kein Wunder, schließlich war und ist in Berlin eine Menge los, wie etwa die Fußball-EM im Sommer und die regelmäßigen Nahost-Demos.

Gleichermaßen sind auch die im Görlitzer Park erfassten Straftaten um ein Drittel gesunken. 909 waren es von Januar bis September, im gleichen Zeitraum 2023 waren es noch 1.351 gewesen. Das ist kein Wunder, schließlich führt weniger Polizeipräsenz zumeist auch zu weniger registrierten Delikten in Kriminalstatistiken.

Hinzu kommt, dass mit der Teillegalisierung von Cannabis die erfassten Drogen-Vergehen im Görli drastisch eingebrochen sind: um mehr als 40 Prozent sind Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und das Gesetz zu neuen psychoaktiven Stoffen zurückgegangen.

Massiver Anstieg gegen den allgemeinen Trend

Zwei Gründe also, die den allgemeinen Rückgang der Kriminalität im Park gut erklären. Aber wie kann es dann sein, dass die nächtlichen Straftaten so massiv zugenommen haben? 669 Delikte hat die Polizei von Januar bis September in den Nachtstunden von 22 bis 6 Uhr registriert – also fast drei Viertel aller Taten, die bislang dieses Jahr im Görli dokumentiert wurden. Im selben Zeitraum im Vorjahr waren es bloß 339 nächtliche Straftaten, bei einem viel größeren Gesamtaufkommen.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Denn zum größten Teil handelt es sich bei den Straftaten im Görli um sogenannte Kontrolldelikte, die nur auffliegen, wenn die Polizei Menschen kontrolliert: Drogendelikte und Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz.

Der Verdacht liegt nahe, dass die Polizei sich noch stärker als bisher darauf konzentriert, nachts im Park zu patrouillieren – obwohl die Einsatzstunden insgesamt deutlich zurückgefahren wurden. Polizei und Senat betreiben hier also Malen nach Zahlen; es entsteht ein Grusel-Bild vom Görli, Zaun und nächtliche Schließung scheinen alternativlos.

Noch im Frühjahr hatte Kai Wegner einfach mit völlig falschen Zahlen zum Arbeitsaufwand der Polizei argumentiert, um die Notwendigkeit des Zauns zu untermauern. Peinlich, als Innensenatorin Iris Spranger später einräumen musste, dass ihr Chef komplett übertrieben hatte.

Der Zaun bleibt ein Irrweg

Praktisch also, wenn jetzt eine korrekt erhobene und schwer zu interpretierende Statistik die Behauptung vom nachts gefährlichen Görlitzer Park untermauert. So kann Wegner vorschieben, ihm bleibe nichts anderes übrig, als die Grünfläche einzugittern und zu verriegeln.

Doch es bleibt ein Irrweg. Denn der Blick auf die Daten verrät auch, dass die Situation in den Kiezen rund um den Görlitzer Park dramatisch ist. Rund um Reichenberger und Wrangelstraße ist die Zahl der Straftaten nahezu gleich hoch geblieben – trotz des Rückgangs der Drogendelikte um mehr als 40 Prozent.

Denn gleichzeitig schnellt die Zahl der Fahrraddiebstähle, Einbrüche und Raubüberfälle in die Höhe. Typische Anzeigedelikte – also unabhängig von mehr oder weniger Polizeikontrollen –, die auf ein massives und weiter wachsendes Problem mit Beschaffungskriminalität hindeuten.

Hinter diesen Zahlen verbergen sich die Schicksale von Menschen, die von Sucht, Armut und Verelendung betroffen sind, von Migrant*innen, denen wegen fehlender Papiere keine Perspektive gewährt wird. Es sind diese Ursachen, die Gesellschaft und Politik angehen müssen. Die Polizei ist dabei keine Hilfe – und der Zaun erst recht nicht.

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Hanno Fleckenstein
Redakteur taz.berlin
Redakteur für Innenpolitik im Berlinteil. Seit 2021 bei der taz, zuerst als freier Mitarbeiter und Text-Chef in den Ressorts Inland, Wirtschaft+Umwelt, Meinung und taz.eins. Hat Politikwissenschaft und Publizistik in Berlin und Maskat (Oman) studiert.
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