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ZDF-Film über WhistleblowerDer Preis der „Menschengeschichten“

Daniel Harrich will zeigen: Whistleblower zu sein ist nicht einfach. Leider verschenkt er diesmal das Potenzial des Themas.

Gestreckte Medikamente sparen Kosten – und gefährden Leben Foto: Walter Harrich/ZDF

Daniel Harrich ist ein echter Tausendsassa. Mit dem investigativen Spielfilm hat er sich bei den Öffentlich-Rechtlichen sein eigenes Genre geschaffen. Der Spielfilm ist Harrich dabei nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Er will aufklären. Über miese Waffengeschäfte der Firma Heckler & Koch in Mexiko etwa („Meister des Todes“) oder über die Praxis des Panschens, Streckens und Fälschens von Medikamenten („Gift“). Oder eben darüber, was es heißt, Whistleblower zu sein („Die Wahrheit und ihr Preis. Whistle­blower packen aus“).

Themen, für die ARD und ZDF im Dokuformat keinen Prime­time­sendeplatz um 20.15 Uhr übrighätten – dieser ist den Royals, Tiefkühlhähnchen oder anderem Getier vorbehalten. Die Doku können sie hinterher immer noch zeigen und das dann „Themenabend“ nennen. In der bekömmlichen Spielfilmverpackung geht es dann aber eben doch.

Das jüngste Double Feature aus Spielfilm und Doku à la Harrich (mit Heiner Lauterbach) lief Mitte Mai in der ARD und beklagte das zynische Geschäftsmodell der Pillenpanscher. Zu Harrichs Geschäftsmodell gehört die Mehrfachverwertung seiner Recherchen, die stets auch als Sachbuch erscheinen.

Als Rechercheur ist er auf die Mithilfe von Insidern angewiesen, von denen Cineasten seit „All the President’s Men“/„Die Unbestechlichen“ und alle anderen seit Edward Snowden wissen, dass sie Whistleblower heißen. Und hat nicht Laura Poitras mit ihrem Edward-Snowden-Dokumentarfilm „Citizenfour“ den Oscar gewonnen? Was lag da näher, als mit den Quellen der Pharma-Geschichte gleich noch eine kleine Doku zum Thema Whistleblowing zu machen? Oder besser: Was hätte näher gelegen?

Kronzeuge oder Whistleblower?

Denn leider verschenkt Daniel Harrich diesmal sein Thema. In der Kürze des halbstündigen Films bleibt er nur an der – rührigen, menschelnden – Oberfläche. Da ist zum einen der inzwischen entlassene kaufmännische Leiter einer Apotheke in Bottrop, deren Inhaber die Krankenkassen mit gestreckten Krebsmedikamenten um 56 Millionen Euro – 50.000 Euro pro Woche – betrogen haben soll (und seine Kunden möglicherweise um ihr Leben). Dem Kaufmann ist die Differenz zwischen den Mengen der eingekauften Wirkstoffe und der verkauften Medikamente aufgefallen. Wie aber konnte der Apotheker auch nur einen Moment lang annehmen, dass sein Buchhalter nicht darauf kommen würde? Zu dieser nächstliegenden aller Fragen erfährt der Zuschauer: nichts.

Zum anderen ist da der ehemalige Pharmagroßhändler, der mit seinem Auspacken über das Geschäft mit gefälschten Medikamenten („Holmsland-Affäre“) den Krankenkassen geholfen haben will, „dreistellige Millionenbeträge per anno“ einzusparen – und der jetzt selbst ohne Krankenversicherung dasteht. Und gegen den wegen seiner Beteiligung an den Geschäften dazu noch ermittelt wurde. Er wurde also, anders als Edward Snowden, nicht ­justiziell verfolgt, weil er ausgepackt hatte – sondern weil das, was er zu sagen hatte, auch ihn selbst belastete.

Der Film

37°: „Die Wahrheit und ihr Preis. Whistleblower packen aus“, ZDF, 24.10., 22.15 Uhr.

Das ist ein Unterschied, und zwar der zwischen einem Whistle­blower und einem Kronzeugen. Oder ist die Wortwahl lediglich eine Frage der sprachlichen Mode?

Solchen doch interessanten Fragen geht Daniel Harrich nicht nach. Mit allzu vielen, allzu sachlichen Details will er den Zuschauer nicht behelligen. Vielmehr beschränkt er sich darauf, seine „Nestbeschmutzer“ und ihre Ehefrauen von den existenziellen sozialen und wirtschaftlichen Folgen ihres Handelns erzählen zu lassen. Die könnte man sich allerdings auch denken – und würde sich dabei weniger wie ein Voyeur vorkommen. Es mag mit dem Konzept der „37°“-Reihe des ZDF zu tun haben: Wer einschaltet, was der Sender „Menschengeschichten“ nennt, sollte sich vielleicht nicht wundern. Mit – investigativem – Journalismus hat das aber nicht mehr viel zu tun.

„Man hat den Mantel des Schweigens über alles geworfen“, sagt der Pharmagroßhändler. Wer aber ist „man“? Dazu hätte man als Zuschauer schon gern Genaueres erfahren.

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1 Kommentar

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  • Ja, das hätte mich auch interessiert: "Wie packt man als Whistleblower aus ohne dabei zwangsläufig sein Leben zu zerstören?" Muss man ein Einzelkämpfer sein? Oder kann man sich Unterstützung holen? Aber wo und wie? Noch ist für zu viele die moralische Richtschnur das Gebot vom "Schweigen ist Gold!". Ist es typisch für unsere angstbesetzte Kultur (Nur nicht auffallen!), dass es für "Whistleblower" keinen positiv besetzten Begriff gibt? Der "Nestbeschmutzer" kann es ja nicht sein! Für mich ist das traurige Fazit des Films: Mund halten und das Berufsfeld wechseln. Aber wollen wir das wirklich immer noch?