piwik no script img

Wutrede im EU-ParlamentAusbruch mit Geschmäckle

Der belgische Abgeordnete Guy Verhofstadt greift Tsipras an und begeistert die Netzgemeinde. Doch seine Kritik ist verlogen.

Mit erhobenem Zeigefinger: Der EU-Abgeordnete Verhofstadt schimpft mit Tsipras. Foto: Vincent Kessler, reuters

Berlin taz | Guy Verhofstadt ist wütend. Als Alexis Tsipras am Mittwoch im EU-Parlament zu Gast war, redete sich der belgische Abgeordnete in Rage und schleuderte dem Regierungschef aus Griechenland entgegen: „Wie wollen Sie in Erinnerung bleiben? Als Wahlunfall, der sein Volk ärmer machte, oder als wahrhaft revolutionärer Reformer?“

Der Mitschnitt seiner siebenminütigen Brandrede verbreitete sich rasant – allein auf YouTube wurde das Video in weniger als zwei Tagen über 600.000 Mal angesehen.

Zentraler Vorwurf des Belgiers: Syriza betreibe in gleichem Maße Klientelpolitik wie ihre Vorgängerregierungen. Diese zu beenden, ist Verhofstadts erste Forderung an Tsipras, er lässt vier weitere folgen: Die Regierung müsse den öffentliche Sektor schrumpfen, Banken privatisieren, Märkte öffnen und Privilegien abschaffen.

Nichts Überraschendes, schaut man sich den politischen Hintergrund des 62-Jährigen an. Verhofstadt ist Vorsitzender der Allianz der Liberalen und Demokraten, der viertgrößten Fraktion im Europäischen Parlament. Dort hat er seit 2009 ein Mandat, davor war er von 1999 an neun Jahre lang belgischer Premierminister.

Verhofstadt hat Interesse an Privatisierungen

Interessanter im aktuellen Kontext aber sind seine Nebentätigkeiten, mit denen er monatlich mehrere 10.000 Euro verdienen soll. Die Plattform Krautreporter fand heraus, dass Verhofstadt unter anderem im Aufsichtsrat eines Unternehmens sitzt, das an Privatisierungen (auch in Griechenland) verdienen würde.

Konkret geht es um die Holding Sofina, die Anteile am französischen Energiekonzern Engie im Wert von 154 Millionen Euro hält. Verhofstadt und seine Fraktion setzten sich Anfang des Jahres für eine Liberalisierung des europäischen Energiemarktes ein, von dem Engie direkt profitieren würde. Der Europapolitiker muss sich damit genau das vorwerfen lassen, was er in seiner Rede angreift: Klientelismus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

26 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Und was genau hat Ihre Antwort jetzt mit meinem Post zu tun? Ich hatte lediglich angemerkt und begründet, dass es im Zusammenhang mit der Situation in Griechenland hanebüchen ist, auf Korruptionsfälle im deutschen Gesundheitswesen hinzuweisen. Niemand bezweifelt, dass Griechenland schon um der Menschen Willen dringend Hilfen braucht und auch bekommen soll. Die jeweilige griechische Regierung muss aber akzeptieren, dass diejenigen Länder, die die riesigen Finanzlücken Griechenlands schließen sollen, ihre Hilfen mit Erwartungen und Bedingungen verknüpfen. Die Regierungschefs der Geberländer sind keine neoliberale Despoten, sondern demokratisch legitimierte Volksvertreter. Das scheint mir bei der einen oder anderen Diskussion und Argumentation ein wenig unterzugehen.

  • ist dann wohl ansichtssache. sie stehen vielleicht auch aufs kasperletheater, ich mehr auf sachliche auseinandersetzung. dass die regierung tsipras nichts gemacht haette, ist eben die argumentation der bild. leider ist die ganze geschichte etwas komplexer. die griechische regierung wurde zu reformen erpresst. ich stelle mir demokratie anders vor.

    wenn herr verhofstadt meint, tsipras schlafwandle in den grexit, so ist das natuerlich schon infam, einem ministerpraesidenten untaetigkeit und ignoranz vorzuwerfen. wer sollte denn die miserable ausgangsposition besser kennen, als tsipras selbst und die griechen? das griechische kabinett stand nach 10 tagen, so weit mal zur arbeitsmoral. in belgien kam es ueber ein jahr lang zu keiner regierungsbildung. das zum thema erstmal vor der eigenen haustuer kehren. ueber den ton brauch ich auch nichts mehr zu sagen. irgendwann schon wird herrn verhofstadt die schamesroete ins gesicht steigen.

    ich denke, die weisheit ´hochmut kommt vor dem fall´ wird auch in belgien gueltig sein.

    siehe auch parteikollege und seine weltanschauung der´spaetroemischen dekadenz´

  • "…Zentraler Vorwurf des Belgiers: Syriza betreibe in gleichem Maße Klientelpolitik …"

     

    In der Sache natürlich ein enden wollendes Gelächter -

    Aber Belgien ist bekanntlich a Kongo

    die - Staat gewordene Klientelpolitik -

    Geradezu die Inkarnation mit der kleinsten Schnittmenge.

    Da wußte jemand - wovon er sprach.

  • Was haben youtube-Fernsehgucker mit Netzgemeinde zu tun?

     

    Wie wärs, wenn all die Oberlehrer erst mal bei sich zu Hause anfangen und dort belegen, dass die tollen Tipps funktionieren, bevor sie sie anderen aufdrücken? Ach so, funktionieren tun die, nur nicht zum Vorteil der Belehrten. Na dann - weiter so, ihr kriegt dieses Europa schon kaputt. Aber ehrlich gesagt, so eins brauchen wir auch nicht.

  • "Die Regierung müsse den öffentlichen Sektor schrumpfen, Banken privatisieren, Märkte öffnen und Privilegien abschaffen."

     

    In den Punkten 1, 3 und 4 stimme (nicht nur ich vermutlich) ich Herrn Verhofstadt zu und bin sicher, dass auch Herr Tsipras hier übereinstimmt. Aber zusammen mit dem aufschlussreichen Hintergrund des "Wutredenvorsitzenden" ergibt sich nicht nur ein Geschmäckle, sondern auch ein Verdächtle. Vor allem aber stellt sich eine fundamentale Sinnfrage, was demnach dann besser laufe, wenn eine mögliche Kontrollfunktion abgeschaltet wird.

     

    Davon abgesehen haben bisher alle Privatisierungen Kostensteigerungen mit sich gebracht. Vor allem hier in Deutschland können sehr sehr viele unerfreuliche Lieder davon gesungen werden. Früher waren unsere "Bankbeamten" vor allem eines, nämlich korrekt und die Gebühren amtlich, nicht willkürlich (natürlich vollkommen korrekt durchkalkuliert, nur nicht transparent!)

  • Wenn man inhaltlich dem nichts entgegenzusetzen hat, was jemand sagt, dann diskreditiert man eben die Person.

     

    Im Übrigen: wie recht Verhofstadt mit seiner Rede hatte, macht das verlinkte Interview deutlich:

    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/schriftsteller-petros-markaris-erklaert-griechenland-13694486.html

    • @Per Nachname:

      Das Interview ist nicht überzeugend. Herr Markaris steht wunderbar über allem - wie ein Deutscher. Daß er Varoufakis nicht mag kommt auch zum Ausdruck - einsichtige Gründe nennt er nicht.- Inhaltlich hat Guy Verhofstadt einfach nichts zu bieten: es ist eine wüste Tirade. - In Resteuropa geht es im übrigen korrupt genug zu - man nehme z.B. das deutsche Gesundheitswesen - dieses Geschimpfe über die Zustände in Griechenland geht nur noch auf die Nerven.

      • @Ulrich Frank:

        Danke!

      • @Ulrich Frank:

        Bei allem Respekt: Ihre Argumentation geht fehl. Natürlich gibt es auch in anderen Ländern Missstände, das ist nicht der Punkt. Der entscheidende Unterscheid ist der, dass diese Missstände nicht zu Lasten anderer Länder gehen. Kein Grieche und auch kein anderer Europäer ist von der Korruption im deutschen Gesundheitswesen betroffen. Es ist aber etwas ganz anderes, wenn für Missstände bzw. deren Nicht-Beseitigung in einem Staat die Steuerzahler anderer Länder zur Kasse gebeten werden. Ich sage das ganz wertfrei, weil ich selbst ein Gegner der Austeritätspolitik bin. Ich bin aber Demokrat genug, um zu verstehen, dass man Mittel für Maßnahmen nicht bedingungslos bekommt, wenn sie von den Menschen in anderen Ländern zur Verfügung gestellt werden müssen.

        • @kme-martin:

          nein, man bekommt die hilfen, nicht weil man sie bekommen kann, sondern weil man sie bekommen muss. griechenland steht am abgrund, wer wofuer jetzt verantwortlich ist, ist zweitrangig. es geht bei der griechenlandkrise auch nicht mehr um geld, es geht darum, eine humanitaere katastrophe in europa abzuwenden, und auch eine soziale und poiltische, die folgen koennte. dass tsipras kein vertrauen geschenkt wird und von den institutionen erpresst wird, ist eine gesamteuropaeische politische krise immensen ausmasses.

          der ganze wirtschaftsklimbim drumherum ist nur folklore.

  • Hallo,

     

    ich fand die Rede auch gut und glaubwürdig. Wie traurig ist es denn den Redner dadurch diskreditieren zu wollen, dass er eventuell Geld mit Privatisierungen verdient?! Was ist daran verwerflich?

     

    Verwerflich ist Klientenpolitik, wie es auch Syriza weiter betreibt: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-syriza-regierung-fuehrt-vetternwirtschaft-fort-a-1032576.html

    • @Helge Schneider:

      Staatsschulden von Belgien beim Amtsantritt von Guy Verhofstadt pro Einwohner:

      27.440,57 €

      Am Ende seiner Amtszeit:

      30.706,54 €

       

      Schuldenstand Griechenland 2014 pro EW:

      29.081,31 €

       

      Jemand, der so wirtschaftet wie Verhofstadt ist natürlich sehr glaubwürdig. Zumindest spart Belgien bei Kosten für Justiz und Altersvorsorge. Die Familie Dutroux, der während Verhofstadts Regierungszeit der Prozeß gemacht wurde, ist schon wieder frei und Demente und schon 15jährige dürfen dort aktive "Sterbehilfe" bekommen. Menschen, die in ihrem eigenen Staat solche Probleme verursachen, finden Sie also "glaubwürdig".

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Helge Schneider:

      Ungeachtet dessen, dass ich Herrn Verhofstadt NICHT zustimme, halte ich ihn für einen Pharisäer, der Wasser predigt und Wein trinkt.

       

      Was ist an diesem Widerspruch so besonders, dass sich 600.000 bei youtube seine Brandrede anhören? Gehen den Griechenhetzern die Luft aus, dass sie nach Nachschub aus Brüssel gieren?

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @Helge Schneider:

      "Wie traurig ist es denn den Redner dadurch diskreditieren zu wollen, dass er eventuell Geld mit Privatisierungen verdient?! Was ist daran verwerflich?"

       

      Auch dann nicht, wenn Häfen, Flughäfen, Gas und Vermögen der griechischen Treuhand privatisiert werden sollten und er irgendwie dabei sein will? Kommen Sie...

       

      Man kann sehr wohl glaubwürdig reden und hintenrum ein auf Eigennutz bedachtes Arschloch sein. Politiker sind auch nur Menschen.

      • @10236 (Profil gelöscht):

        Erst einmal sitzt er ja nur im Aufsichtsrat. Die Privatisierung hatte in seiner Rede einen ganz kleinen Teil. Er hat sicher in seiner Rede hauptsächlich über die Unwilligkeit zu Reformen aufgeregt. Natürlich kann man da etwas andichten. Ich gehe davon aber nicht aus.

        • 1G
          10236 (Profil gelöscht)
          @Helge Schneider:

          "Die Privatisierung hatte in seiner Rede einen ganz kleinen Teil."

           

          Im Reformpapier nicht. Das weiß er. Er weiß auch, dass es ein package ist.

           

          "Erst einmal sitzt er ja nur im Aufsichtsrat."

           

          Wohl nicht als Arbeitnehmervertreter. Ein gewisses Interesse an der "reformorientierten" Entwicklung in GR dürfte er wohl nicht nur als besorgter Bürger Europas und Vertreter der belgischen Steuerzahler haben.

    • @Helge Schneider:

      Hallo Helge Schneider,

      es ist nichts verwerflich am Geld verdienen, aber die Art und Weise, wie sich die Politiker von einem Posten auf den anderen lecken, das ist verwerflich. Das ist Lobbieismus in Reinkultur.

  • Ich muss ehrlich gesagt eingestehen, dass Verhofstadt, trotz wiederlicher Doppelmoral, an ein paar Punkten recht hat. Ich mag Tsipras wirklich, aber an Rüstungsetar festzuhalten und wichtige Steuerreformen zurück zu halten (Immobilliensteuer, besteuerungen der Reeder), sind Punkte denen Tsipras gerade als Vize der Europäischen Linken und Sozialist ein Ende bereiten müsste.

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Sinnvoll wäre gewesen, er hätte gefordert: Klientelpolitik beenden, Vermögende besteuern, eine Vermögensabgabe vornehmen, eine Krankenversicherung für alle, den öffentlichen Sektor effizient strukturieren (insbesondere die Steuerverwaltung), klein- und mittelständische Betriebe fördern, Genossenschaftsbanken nach deutschem Vorbild einführen, da diese die Einzigen waren, die 2008 überwiegend unbeschadet durch die Krisen gekommen sind und die Regionalwirtschaft fördern. Aber diese Forderungen stellt leider niemand an Herrn Tsipras, weder die neoliberalen Institutionen noch die linken Sympathisanten der griechischen Regierung.

  • Dieses rechthaberische Getobe war sehr unerquicklich. /Was/ daran die hohen Klickzahlen auf youtube generiert hat - da möchte man lieber nicht nach den Gründen fragen.

    • @Ulrich Frank:

      Taten > Worte, darauf lief es hinaus. Ist doch auch ok nach 5 Jahren mal die Probleme anzugehen, oder?

       

      Eine Linke Partei die ein Land nach vorne bringt, was will da mehr? In Deutschland sind die Linken nicht Koalitionsfähig im Bund, da kann man sich doch für die Griechen freuen, oder?

      • @lord lord:

        ... und wie lange ist diese griechische Regierung denn nun schon am Ruder?

        Fünf Jahre oder fünf Monate? Und sie schafft es, in der schwierigen Parteienlage auch noch, fast 2/3 aller Wähler hinter sich zu scharen.

         

        Wenn mich diese Regierung überhaupt deja-vu-mäßig an etwas hier erinnert, dann an die Zeiten, als unsere CDU-Regierung sich abwählen ließ, kurz bevor der Karren an die Wand fuhr, und die Opposition das Ruder (und die Verantwortung) übernehmen durfte, dann an allem die Schuld- und ein schlechtes Image - hatte. Sobald der Karren aus dem Dreck war, hatten unsere C-Parteien wieder Oberwasser, um sich frohgemut "mit uns geht es aufwärts" an die Brust zu heften und die eingeleiteten Reform-Erfolge als Erfolge ihrer Regierungsarbeit zu verbuchen und zu vermarkten. Nur war die SPD in ihrer Argumentation viel zu schwach und so zahm, zahm - nicht zu einer klugen Abwehr dieser Strategie in der Lage.

         

        Vermutlich wird es mit dieser griechischen Regierung genau so verlaufen. Es sei denn, sie stellt sich rechtzeitig auf die Hinterbeine und macht richtige Nägel mit den richtigen Köpfen basta - pronto - per favore! (Ach ja, das war nicht griechisch, scusi!)

      • @lord lord:

        Verstehe leider nicht was Sie sagen wollen.

        • @Ulrich Frank:

          Sorry, Ihre Frage wurde wohl zeitlich falsch abgeheftet!

  • wer sich an dieser rede begeistern kann, hat wohl jahrelang nichts anderes ausser bild gelesen. inhaltlich nicht haltbar, formell eine katastrophe. fremdschaemen ist hier ein euphemismus. extrem peinlich, belgischer ´staatsmann´

    • @the real günni:

      Echt jetzt? Ich fand die Rede super. Was war denn daran schlimm? Es wurde Tsipras doch nur klar gemacht endlich mal Taten folgen zu lassen und nicht nur zu reden.

       

      Besser kann man es doch nicht ausdrücken, oder? Tsipras hat es doch auch verstanden und die Griechen bleiben (auch dank amerikanischer Intervention) vermutlich im Euro.