Wutrede im EU-Parlament: Ausbruch mit Geschmäckle
Der belgische Abgeordnete Guy Verhofstadt greift Tsipras an und begeistert die Netzgemeinde. Doch seine Kritik ist verlogen.
Der Mitschnitt seiner siebenminütigen Brandrede verbreitete sich rasant – allein auf YouTube wurde das Video in weniger als zwei Tagen über 600.000 Mal angesehen.
Zentraler Vorwurf des Belgiers: Syriza betreibe in gleichem Maße Klientelpolitik wie ihre Vorgängerregierungen. Diese zu beenden, ist Verhofstadts erste Forderung an Tsipras, er lässt vier weitere folgen: Die Regierung müsse den öffentliche Sektor schrumpfen, Banken privatisieren, Märkte öffnen und Privilegien abschaffen.
Nichts Überraschendes, schaut man sich den politischen Hintergrund des 62-Jährigen an. Verhofstadt ist Vorsitzender der Allianz der Liberalen und Demokraten, der viertgrößten Fraktion im Europäischen Parlament. Dort hat er seit 2009 ein Mandat, davor war er von 1999 an neun Jahre lang belgischer Premierminister.
Verhofstadt hat Interesse an Privatisierungen
Interessanter im aktuellen Kontext aber sind seine Nebentätigkeiten, mit denen er monatlich mehrere 10.000 Euro verdienen soll. Die Plattform Krautreporter fand heraus, dass Verhofstadt unter anderem im Aufsichtsrat eines Unternehmens sitzt, das an Privatisierungen (auch in Griechenland) verdienen würde.
Konkret geht es um die Holding Sofina, die Anteile am französischen Energiekonzern Engie im Wert von 154 Millionen Euro hält. Verhofstadt und seine Fraktion setzten sich Anfang des Jahres für eine Liberalisierung des europäischen Energiemarktes ein, von dem Engie direkt profitieren würde. Der Europapolitiker muss sich damit genau das vorwerfen lassen, was er in seiner Rede angreift: Klientelismus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau