Würzburger Seniorenheim ist Hotspot: Die Hälfte ist infiziert

Dennoch wird die Würzburger Einrichtung nicht evakuiert. Stattdessen werden Corona-Positive auf eigenen Stationen unter Quarantäne gestellt.

Seniorenheim in Würzburg

Ein Seniorenheim in Würzburg Foto: dpa

MÜNCHEN taz | Die Situation in dem Würzburger Seniorenheim St. Nikolaus wird wegen der Corona-Ausbreitung immer schlimmer. Dennoch hat das Gesundheitsamt am Freitag nach Beratungen bis in die Nacht hinein entschieden, Teile des Heims nicht zu evakuieren. Stattdessen setzt man, so sagte der Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CSU) auf einer Pressekonferenz, auf die „Stationskohortierung“. Das bedeutet, dass infizierte und nicht infizierte Bewohner getrennt und auf verschiedene Stationen des Hauses verlegt werden.

Schuchardt ist auf dem Termin deutlich anzumerken, wie ihn die Situation mitnimmt, dennoch spricht er ernst und ruhig. Mittlerweile sind elf der 161 Heimbewohner am Coronavirus verstorben – eine ähnlich drastische Entwicklung gibt es bisher in keinem Alten- und Pflegeeinrichtung in Deutschland. Auch weitere neue Zahlen sind dramatisch: Die Testung der gesamten Bewohner hat laut Schuchardt ergeben: „Grob die Hälfte von St. Nikolaus ist infiziert.“ Auch mehr als ein Drittel des Personals hat sich angesteckt und befindet sich deshalb in Quarantäne.

Gegen eine Evakuierung der Infizierten haben laut Schuchardt mehrere Gründe gesprochen: Es wäre eine große logistische Aufgabe gewesen. Allein der Transport könne bei den hoch betagten und oft dementen Menschen zu Todesfällen führen. Man wollte „kein Sterbehaus schaffen“ und auch keinen „zweiten Hotspot“. Auch hätte eine Teilevakuierung die Lage womöglich noch komplizierter gemacht und Sicherheit nur vorgetäuscht.

Eindringlich beschreibt der OB die Situation: „Wir haben stark demente Bewohner. Die Verweildauer in dem Haus liegt durchschnittlich bei unter einem Jahr.“ Viele haben die höchste Pflegestufe 5. Das entspricht der gesamten Entwicklung in Pflegeheimen: Die Menschen kommen meist erst hoch betagt und in sehr gebrechlichem Zustand in die Einrichtungen und verbringen dort die letzten Monate ihres Lebens. Michael Schwab, Chefarzt für Geriatrie in St. Nikolaus, sagt: „Viele haben ein Lebensalter von 99 Jahren.“

Bundeswehr lehnt Hilfe ab

Alarmierend deutlich wird durch die Berichte der Verantwortlichen, wie schwierig die Bekämpfung der Corona-Ausbreitung in St. Nikolaus ist – und was vielen anderen Pflegeheimen in Deutschland womöglich droht. „Mit diesem Haus stehen wir gerade im Brennglas“, sagt Oberbürgermeister Schuchardt. Wegen der Knappheit etwa konnte man erst jetzt die nötigen Corona-Tests erhalten, um alle Bewohner und Mitarbeiter zu testen. Es herrsche ein „Kampf um Röhrchen“. Die Ergebnisse wurden in Laboren in Erlangen und Oberschleißheim ausgewertet – was nicht der nächste Weg von Würzburg ist. Um die Ausbreitung einzudämmen, sei es nun aber äußerst wichtig, dass „Bewohner und Mitarbeiter weiterhin alle drei Tage konsequent getestet“ würden.

Die Lage sei geprägt von „anhaltendem Personal- und Materialmangel“, so Schuchardt. Den Mitarbeitenden spricht er „Dank und Hochachtung“ aus. Jene, die noch vorhanden sind, würden sieben Tage in der Woche lange Schichten absolvieren. Pflegerinnen und Pfleger sind immer mit Schutzausrüstungen bekleidet. Von den Maltesern hat man vier Helfer bekommen, die dafür sorgen, dass für den Pflegedienst mehr Personal freigestellt werden kann. Eine Anfrage bei der Bundeswehr nach medizinischer Unterstützung wurde mit dem Verweis auf nicht vorhandene Kapazitäten abgelehnt.

Neue und bisher nicht so bekannte positive Erkenntnisse gewinnt der Arzt Michael Schwab aber auch aus dem Geschehen. So haben sechs der zwölf in Krankenhäuser eingewiesenen Bewohner das Virus überlebt. „Sie sind genesen und können zurückverlegt werden.“ Auch stellt er fest, dass viele der positiv auf Covid-19 getesteten alten und gebrechlichen Menschen gar keine Krankheitssymptome entwickeln – entgegen der Annahme, dass es gerade diese Bevölkerungsgruppe generell besonders hart trifft. „Sie sind nicht beeinträchtigt und völlig unauffällig“, so Schwab. Die Aufgabe von St. Nikolaus sieht er nun so: „Wir wollen die bestmögliche Blaupause für andere Pflegeeinrichtungen liefern.“

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