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„Wrapped“-Marketingkampagne von SpotifyNicht einwickeln lassen!

Die „Wrapped“-Kampagne ist kein Grund zur Freude. Spotify macht damit aus kollektivem Musikgenuss individualisierte Playlists ohne Kontext.

Die Beerdigung von Genres: Spotify Wrapped in London Foto: Vuk Valcic/imago

„The Internet Will Break My Heart“ heißt die neue Single von Chris Imler. Veröffentlicht am Black Friday. Auch so ein Tag, an dem das Internet Herz brechen kann. Verkürzte Kapitalismuskritik hier, penetrante Rabattlockangebote dort.

Ähnlich verhält es sich mit einem weiteren inoffiziellen Feiertag, an dem ein schwedischer Internetstreamingdienst alles, wirklich alles aus den Daten rausholt, die man ihm so gibt. Sollte man den „Spotify Wrapped-Day“ überhaupt feiern?

Während die einen diese Marketing-Kampagne euphorisch in Social Media teilen, merken andere – vor allem Musiker:innen, wie schwindend gering Einkünfte sind, die sie aus Streaming generieren. Kritik an diesem Geschäftsmodell ist manchen Use­r:In­nen zwar bekannt, aber sie dringt nicht bis zu jenen durch, für die Musikhören bedeutet, sich von irgendeiner seelenlos zusammengestellten Playlist à la „Indie Brandneu“, oder „Songs to Test ­Headphones With“ berieseln zu lassen.

Unliebsamer Persönlichkeitstest

Was Spotify aus passivem Hörverhalten auswertet, liest sich auch nicht, als würde sich dort jemand kritisch mit Musik auseinandersetzen. Eher wirkt es wie das Ergebnis eines Persönlichkeitstests: „Pink pilates princess roller skating pop.“

So fasst Spotify die Musikauswahl eines Bekannten zusammen. Scheinbar clever vom Strea­ming­anbieter, die übers Jahr gehörte Musik so zu rubrizieren, dass man dieses krude Ergebnis teilen möchte. Wozu das Teilen aber auf keinen Fall führen wird, ist, dass sich andere im Musikkonsum einzelner Use­r:In­nen wieder erkennen. Es forciert lediglich die komplette Individualisierung von Hörverhalten. Durch KI-generierte Befindlichkeitszusammenfassungen werden somit Genres beerdigt.

Auch das ist praktisch für Streaminganbieter: Musik durch das Weglassen von Hintergrund jeder Geschichte zu berauben und sich so vor allem die Hoheit darüber zu sichern, sie zu empfehlen. Denn sollte man sich nun auf die Suche danach machen wollen, aus welchen Genres und Bands sich beispielsweise „Pink Pilates Princess Roller Skating Pop“ entwickelt hat, man wäre heillos überfordert.

Es bleibt immer weniger hängen

Was mir dabei wirklich das Herz bricht? Man kann noch nicht mal darauf verweisen, Künst­le­r:in­nen mit dem Kauf von Tickets zu unterstützen, auch bei Konzerten bleibt zunehmend – vor allem bei kleineren Bands – weniger hängen.

Außerdem: Mu­si­ke­r:in­nen, die sich extra bei Spotify bedanken, auf deren Playlists gelandet zu sein. Das ist, als würden sich schlecht bezahlte Untergebene bei ihrem Chef für einen Obstkorb bedanken, den er ihnen zur Verfügung gestellt hat. Oder will wer für solch Geste freiwillig unbezahlte Überstunden machen?

Zum Schluss bleibt festzuhalten: Songs wie „The Internet Will Break My Heart“ von Chris Imler sind nicht mithilfe eines Streaming-Algorithmus zu entdecken. „Wrap Yourself“, Spotify!

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16 Kommentare

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  • spotify ist nur die bisher letzte Eskalationsstufe bei der hemmungslosen Ausbeutung von Musikern. Es war schon immer und ist nach wie vor so, dass Musiker - die Leute, die den Content produzieren - am wenigsten dafür bekamen und sich alle anderen in der Verwertungskette fürstlich bedienen, seien es die Label, der Handel, die Veranstalter, die Verwertungsgesellschaften wie GEMA und mittlerweile Streamingplattformen wie spotify. Da bleiben nur noch Krümel übrig, wenn überhaupt.

    Außer den ganz großen kann niemand von Musik leben wegen diesem mafiösen Makler-/Zwischenhändler-/Trittbrettfahrer-Konstrukt namens Musikindustrie. Selbst die ganz großen haben durchweg jahrelange Rechtsstreits mit "ihrem" Label geführt, weil das Gegenüber eine üble Mafia ist, und haben in der Konsequenz oftmals eigene Labels gegründet.

    Dem Apparat etwas entgegenzusetzen ist schwierig. In Deutschland hat die GEMA bisher das Monopol, mit Auswüchsen, dass man für eigene Kompositionen an die GEMA Lizenzen zahlen muss, wenn man sie selbst verwertet, zb auf einer Webseite. Zumindest hier gibt es bald eine brauchbare Alternative: www.c3s.cc/

  • Sehr richtiger und wichtiger Artikel, allerdings mit einem kleinen Fehler. Durch die angeblich "super-individuellen" Playlists stärkt Spotify mitnichten den individuellen Geschmack, sondern schafft diesen komplett ab. In fast allen dieser Playlists sind die selben 100 Songs von den selben Künstlern. Spotify schafft Genres ab zugunsten von Tiktok-Buzzwords. Songvorschläge von der KI sind immer dieselben Songs von den meistgehörten Künstlern. Persönlicher Geschmack oder sogar die Kunst der Musik wird komplett redundant gemacht von Spotify.

  • Die schlechte Bezahlung von Spotify liegt m.E. nicht wirklich an Spotify, Spotify bezahlt ~80 % seiner Einnahmen für die Rechte an den Songs, es sind die Plattenlabels, die dieses Geld eher nicht an die Künstler'innen verteilen. Und das ist so seit dem es die Musikindustrie gibt. Und hier wird das Urheberrecht zum Weg, den Künstler'innen wirklich jegliche Rechte zu nehmen.

    • @tehabe:

      Das stimmt so nicht ganz. Plattenlabels bekommen erstmal das Geld zurück, dass sie den Künstlern als Vorschuss ausbezahlen, um überhaupt aufzunehmen und die Musik zu vermarkten. Je mehr Vorschuss, desto höher die Rückzahlung. Es ist ein Kredit am Ende. Spotify zahlt auch Labels extrem wenig, weshalb diese auch immer weniger Risiko eingehen und immer die Gleiche Musik veröffentlichen

  • Ich nutze Spotify fast täglich, sogar mit Abo. Aber ich habe keine Ahnung, was diese im Artikel/Kommentar erwähnte „Wrapped-Kampagne“ genau ist und was die spezifische Kritik hieran nun sein soll.

    • @Kawabunga:

      Wenn Sie auf Ihre Startseite von Spotify gehen, müsste Ihnen "Es ist Zeit für Dein 2034 Wrapped" gezeigt werden.

      Mit einem sich bewegenden rosaroten Muster.

      Sie bekommen eine Zusammenfassung Ihres Hörverhaltens im vergangenen Jahr.

      Das kann man witzig finden. Oder ignorieren.

      Die Kritk im Artikel diesbezüglich erschließt sich mir nicht so richtig.

      Natürlich ist das die komplette Individualisierung. Was auch sonst ...

      Wo bei einer solchen Spiegelung meines eigenen Verhaltens eine kritische Auseinandersetzung mit Musik herkommen soll, habe ich nicht verstanden.

      Dass sich andere in meiner Nutzung wiedererkennen, wäre nun auch kein Anliegen von mir.

      Ist nicht jede digital zusammengestellte Playlist seelenlos?

      Nun käme ich aber auch nicht auf die Idee, sowas in Social Media zu teilen.

      Zu Schallplattenzeiten wusste man im Regelfall durch das Cover auch nichts zum Hintergrund oder der Geschichte eines Liedes.

    • @Kawabunga:

      Entweder hat es mit Datenschutzgründen zu tun, siehe den Beitrag auf Netzpolitik.org

      Oder es hat damit zu tun, dass Kampagnen eines Unternehmens unser Leben beeinflussen sollen. Wie, wenn wir so etwas brauchen müssen, um uns als Mensch zu definieren. Wer diesem Trend nicht mitmache und seine Ergebnisse nicht auf Social Media teile, sei kein normaler Mensch.

      Mündigkeiten und Unabhängigkeiten werden zunehmend als unnötig betrachtet.

      Der Vergleich mit Black Friday finde ich auch passend. Kaufe dir etwas, weil es ist doch Black Friday!!!!

      Nein, ich kaufe nichts.

  • Mmh, selber habe ich hier kein Problem. Und das Zelebrieren irgendwelcher Was-Auch-Immer-Days war mir schon immer reichlich egal. Also was soll's? Ein paar Spotify-Vorschläge zu dem was ich mir dort so bisher gehört habe, fand ich sogar gut. Und „Pink Pilates Princess Roller Skating Pop“ erscheint mir eher wie zufällig zusammengerührte Buchstabensuppe. Man muss sich ja nicht alles zu Gemüte führen. :-)

  • Spotify schafft es nach zähen Jahren erst seit kurzen profitabel zu sein.

    Sind es wirklich Spotify und die anderen Streaming Anbieter die verantwortlich sind dafür dass die Künstler zu wenig an den Plattformen verdienen? Oder sind es die Plattenlabels und Distributers die sich ein zu großen Stück vom Kuchen abschneiden und so nicht genug für die Künstler übrig bleibt?

    • @Jens Baron:

      Die Frage ist ja auch, ob es wirklich so wenig ist....wenn die Titel weltweit abgerufen werden, kommt bei den Stars schon einiges zusammen.

  • War das mit der schlechten Bezahlung von Musikern nicht immer schon so?



    In den goldenen 60ern waren es die Plattenlabel, die Neulinge über den Tisch zogen. Zu Zeiten Mozarts waren es die verrückten Eltern, die sich ihre Wunderkinder heranzogen. Reich wurden immer schon nur wenige Glückspilze, die zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Markter geraten sind.



    Die besten Künstler waren noch nie automatisch auch die, die am besten bezahlt wurden.



    Das muss man nicht gutheißen, bloß weil es immer so war. Doch Spotifiy macht hier nicht wirklich etwas neues.

    • @Herma Huhn:

      Doch SPOTIFY macht etwas neues. Mit einer neuen Regelung werden Musiktitel erst ab 1000 klicks im Jahr bezahlt. Damit fallen ca. 40.000.000 euro an (von "kleinen Fischen". www.amazona.de/com...eld-zu-verdienen/) die an die SPOTIFY Musiker umverteilt werden, die 1000 stream im Jahr erreichen (pro titel !!) Ich mache seit ca. 40 Jahren Musik und solch schlechte Bedingungen gab es noch nie.

      • @nnoiz:

        Ernsthaft? Habe das Gefühl, dass Musiker'innen seit immer zwischen Labels, Handel und GEMA zerrieben werden. Ich würde mir ja wünschen, wenn ich meine Abogebühren an einen Streamingdienst bezahle, dass dieses Geld dann an die Leute ausbezahlt wird, die ich dort höre aber dem ich ja nicht so.

    • @Herma Huhn:

      Erstaunlich, die heutigen Sauereien mit vergangenen zu rechtfertigen. Also muss auch der Lieferandofahrer ruhig sein, der Amazon-Lagerarbeiter uvm. Kapitalismus ist eben so, kann man nichts machen. Klingt ein bißchen wie Kapitulation.

  • Man kann auch alles kritisch sehen.



    Ich findˋs witzig. Bin jedes Jahr selber überrascht was denn so meine Top-Hits waren.



    Vermutlich verdienen die Musiker, die sich bedanken genug oder es ist Ihnen egal. Müssen sie selber wissen.

    „…seelenlos zusammengestellten Playlist à la „Indie Brandneu“, oder „Songs to Test ­Headphones With …“



    Da findet man immer wieder mal Songs auf die man sonst nicht gekommen wäre. Ich zumindest.

    Und was ist an individualisiertem Hörverhalten so schlimm?



    Das ist ja auch MEINE Playlist und die muss keinem anderen gefallen.

    • @kiwitt:

      Ich würde sagen, wer sich bedankt sind vor allem die, die durch Spotify und die Aufnahme in Playlisten mit "ähnlicher" Musik überhaupt erst Aufmerksamkeit bekommen.