Wohnungsvermittlung für Gewaltopfer: „Das macht die Frauen fertig“

Frauen aus Frauenhäusern haben in Berlin wenig Chancen auf eine Wohnung. Manche gehen sogar zurück zum prügelnden Partner, erzählt eine Vermittlerin.

Frau sitzt in einem Zimmer im Frauenhaus

Auch in den Berliner Frauenhäusern sind die Plätze knapp Foto: dpa

taz: Frau Höfner, Ihr Verein sucht Wohnungen für Frauen, die häusliche Gewalt erfahren haben. Im Moment sicher kein leichter Job …

Selina Höfner: Wir sind dem Wohnungsmarkt ausgeliefert, er bestimmt alles, indirekt auch über die Schicksale und Perspektiven dieser Frauen. Normalerweise würde ich nach einer passenden Wohnung für die jeweilige Frau suchen. Inzwischen ziehen wir jede Wohnung in Betracht, die überhaupt bezahlbar ist. Ich muss allen Frauen, die bei uns angemeldet sind, sagen: Es wird schwer.

Wie kommen die Frauen zu Ihnen?

In der Regel melden die Frauenhäuser oder Beratungsstellen die Frauen bei uns an, nachdem sie sich stabilisiert haben und die bürokratischen Fragen geklärt sind. Die eigene Wohnung ist dann ein entscheidender Schritt in ein gewaltfreies, selbstbestimmtes Leben.

Selina Höfner, 27, ist Sozialarbeiterin und arbeitet seit dreieinhalb Jahren bei der Hestia e.V.-Wohnungs­vermittlung.

Wie lange brauchen Sie, um eine Wohnung für die Frauen zu finden?

Wir haben eine durchschnittliche Dauer von 120 Tagen, bis wir einen Mietvertrag haben. Aber das variiert stark. Seit anderthalb Jahren haben wir zum Beispiel eine Frau in der Vermittlung, die aus Angst vor ihrem Mann vom Balkon gesprungen und seitdem querschnittsgelähmt ist. Sie bräuchte eine barrierefreie Wohnung, aber da ist quasi kein Angebot da. Eine Frau mit sechs Kindern ist seit zwei Jahren bei uns angemeldet. Bei mehr als drei Kindern wird es generell schwer.

Wo sind diese Frauen jetzt?

Die Frau mit den sechs Kindern war in zwei Frauenhäusern und ist schließlich zum Partner zurückgegangen. Das passiert leider immer wieder und ist besonders dramatisch. Die Frau im Rollstuhl ist anderweitig untergebracht.

Gewalt Jede vierte Frau erlebt statistisch gesehen in ihrem Leben häusliche Gewalt. 2018 gab es laut Berliner Kriminalstatistik 15.665 Opfer häuslicher Gewalt. Hilfesuchende Frauen können sich an die BIG-Hotline (täglich von 8–23 Uhr unter 030-6 11 03 00), direkt an Schutzeinrichtungen, die Polizei oder Beratungsstellen wenden.

Schutzplätze Doch die Beraterinnen beklagen: es gibt zu wenig Schutzplätze. So konnte die BIG-Hotline in manchen Monaten nur ein Drittel der hilfesuchenden Frauen direkt an ein Frauenhaus oder eine Zufluchtswohnung vermitteln. 301 Plätze gibt es aktuell in sechs Frauenhäusern. Entsprechend dem 2018 in Kraft getretenen Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) sollte Berlin aber deutlich mehr Schutzplätze für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder vorhalten.

Vermittlung Die Hestia Wohnungsvermittlung ist die einzige ihrer Art in Berlin. Im ersten Halbjahr 2019 konnte der Verein an 131 Frauen und deren 145 Kinder Wohnungen vermitteln. 130 Anträge blieben offen. (mah)

Was macht es besonders schwer, für Frauen aus Frauenhäusern eine Wohnung zu finden?

Es kommen oft bürokratische Hindernisse zur Wohnungsknappheit dazu: Da warten die Frauen Wochen oder Monate auf den Wohnberechtigungsschein, den sie für eine Sozialwohnung brauchen. Viele Frauen sind auf Arbeitslosengeld II angewiesen. Wenn dann bei einem Umzug ein anderes Jobcenter zuständig ist, dann streiten die sich darum, wer welche Kosten für die Unterkunft übernimmt. Wir hatten jetzt schon mehrfach den Fall, dass eine Frau nach einem Monat die fristlose Kündigung des Vermieters bekommen hat, weil das Jobcenter A gesagt hat, die Kaution müsse das Jobcenter B übernehmen und andersherum. Und dann gibt es noch folgendes Problem: Wir vermitteln ja häufig in das Geschützte Marktsegment der städtischen Wohnungsgesellschaften. Für viele Frauen ist das die einzige Chance – gerade wenn sie hohe Schulden haben. Diese Wohnungen sind aber zunehmend in einem stark renovierungsbedürftigen Zustand.

Was erleben Sie da?

Wenn die Frau Glück hat, muss sie nur malern. Aber es gibt auch Wohnungen, da fehlt der Fußboden, sind Fliesen ausgeschlagen, müssten Lackarbeiten gemacht werden. Nun ist das Geschützte Marktsegment ja nicht nur für unsere Frauen vorgesehen. Wenn ein anderer Bewerber sagt, ich kann das renovieren, dann kriegt halt der die Wohnung. Und selbst wenn eine Frau bereit ist zu renovieren, dann gibt es auch da immer wieder Probleme mit den Jobcentern. Wir reden hier häufig von 1.000 Euro und dann sagen die Jobcenter: Wir bezahlen das nicht, sie können doch nach einer Wohnung suchen, die weniger renovierungsbedürftig ist.

Müssten nicht eigentlich die städtischen Wohnungsgesellschaften die Wohnungen in einem bewohnbaren Zustand anbieten?

Sie müssten, aber wer macht ihnen Druck? Die Wohnungsgesellschaften haben die Ware und damit die Macht. Das ist ein politisches Problem.

Was würden Sie sich für eine Verbesserung der Situation wünschen?

Zuerst einmal braucht es mehr Schutzplätze – vor allem in Frauenhäusern. Laut Istanbul-Konvention (siehe Kasten, d. Red.) müsste Berlin viel mehr Plätze vorhalten. Und dann würde ich mir wünschen, dass sich mehr VermieterInnen, und da appelliere ich vor allem an die Privaten, mit Frauen aus Gewaltsituationen solidarisieren und bezahlbaren Wohnraum anbieten.

Was ist denn in diesem Fall eine bezahlbare Wohnung?

Bei den Frauen, die Leistungen vom Jobcenter bekommen, richten wir uns nach der AV Wohnen. Wir dürfen die Regelsätze um 20 Prozent überschreiten, weil die Frauen von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Für eine Frau mit drei Kindern sind das maximal 815 Euro mit Betriebskosten ohne Heizkosten. Aber die Jobcenter sind zum Teil so streng. Wir hatten kürzlich den Fall, dass wir für eine Frau eine Fünfzimmerwohnung gefunden hatten – ein Glücksfall! Die Grundmiete stimmte sogar, aber die Heizkosten waren 10 Euro zu hoch. Und dann wurde die Kostenübernahme abgelehnt! Klar, das Jobcenter hält sich an die Vorschriften, aber für die Frau bedeutet das, dass sie möglicherweise noch ein Jahr im Frauenhaus ist.

Wie dramatisch ist das für die Frauen?

Es wird natürlich versucht, den Frauenhausaufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, aber das ist nur für den Übergang konzipiert. Meistens hat die Frau mit ihren Kindern ein kleines Zimmer, es ist eng, es sind sehr viele Frauen und traumatisierte Kinder da. So zwischen Tür und Angel zu wohnen, macht die meisten Frauen richtig fertig. Man darf nicht vergessen, dass der Schritt raus aus der Gewaltsituation schon viel Kraft gekostet hat. Es ist der Wunsch der Frauen, so schnell wie möglich ein stabiles Umfeld für sich und ihre Kinder zu bekommen, sich etwas Neues aufzubauen. Wenn das nicht gelingt … Viele Frauen sind wirklich, wirklich verzweifelt.

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