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Wohnungsnot in DeutschlandBauen bleibt Luxus

Die Ampelkoalition wollte das Bauen einfacher und günstiger gestalten. Wegen der vorgezogenen Bundestagswahl wird daraus erstmal nichts.

Deutscher Wohnungsbau im Nebel, hier im Kölner Stadtteil Ehrenfeld Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Hamburg taz | Braucht eine Drei-Zimmer-Wohnung 47 Steckdosen? Muss ein Altbau bei einer Sanierung mit einer Trittschalldämmung ausgestattet werden? Braucht man im Badezimmer auch in arktischen Wintern 20 Grad? Das sind Fragen des Wohnkomforts, die in Deutschland heute in der Regel mit Ja beantwortet, angesichts explodierter Baupreise jetzt aber neu überdacht werden.

„Es geht um die Frage, welche baulichen, technischen und funktionalen Standards wünschenswert und realisierbar, welche verzichtbar und über einen gemeinsam zu definierenden Qualitätsmaßstab hinausgehend überflüssig erscheinen“, formuliert die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (Arge) in einer Analyse für das Verbändebündnis Wohnungsbau.

Die Ampelkoalition hat versucht, diese Kosten mit dem Gebäudetyp-E-Gesetz in den Griff zu bekommen. Die Bundesregierung hat es am 6. November beschlossen und inzwischen dem Bundestag zugeleitet. Wegen der vorgezogenen Wahl am 23. Februar wird es der aktuelle Bundestag jedoch nicht mehr verabschieden können, dabei besteht große Einigkeit darüber, dass im Bausektor dringender Reformbedarf herrscht.

Wie die Arge dargestellt hat, stiegen die reinen Baupreise seit 2015 deutlich stärker als die Lebenshaltungskosten, wobei sich diese Entwicklung nach 2020 noch einmal verschärft hat. Auf diese ohnehin im Übermaß gestiegenen Preise hat der Gesetzgeber immer mehr kostspielige Klimaschutzanforderungen gepackt. Dazu kommen noch die Baustandards mit Goldrand.

Stark gestiegene Baukosten

In Zahlen ausgedrückt ist das Bauen zwischen dem Jahr 2000 und Anfang 2024 um 144 Prozent teurer geworden. In dieser Zeit sind die Lebenshaltungskosten nur um knapp 60 Prozent, die reinen Baukosten jedoch um mehr als 100 Prozent gestiegen. 30 weitere Prozent kommen für die erwähnten Klimaschutzvorschriften oben drauf und noch einmal 5 Prozent für die Baustandards.

Das Gebäudetyp-E-Gesetz solle einfaches und innovatives Bauen erleichtern, kündigte der damalige Bundesjustizminister Marco Buschmann an. „Wer möchte, muss auf die Einhaltung von Komfortstandards verzichten können“, sagte der FDP-Politiker. Das geltende Bauvertragsrecht mache solche Vereinbarungen unnötig kompliziert.

„Die Unternehmen haben diese Situation selbst produziert“, sagt der Immobilienrechtsanwalt Roland Hoinka von der Kanzlei Ober­thür und Partner. Denn heute gilt ein Bauwerk als mangelfrei, wenn bei seiner Herstellung die „anerkannten Regeln der Technik“ eingehalten wurden. Dieser Stand der Technik ist jedoch dynamisch und wurde in der Zeit des billigen Geldes von den Baubeteiligten immer weiter nach oben geschraubt. Niemand wollte für einen Mangel verantwortlich gemacht werden, weil er einen anderswo bereits etablierten Standard unterschritten hatte.

Dabei kumulieren sich die Effekte bisweilen auf bizarre Weise: Besserer Schall- und Wärmeschutz nach außen steigert das Lärmempfinden in der Wohnung. Als Konsequenz dämmen die Architekten die Wasserleitungsschächte, was die wiederum so warm macht, dass sich darin Legionellen vermehren können. Folglich müssen getrennte Kalt- und Warmwasserschächte eingezogen werden, was womöglich den Wenderadius eines Rollstuhls im Bad einschränkt, sodass das Bad größer werden muss. „Das potenziert sich immer mehr“, sagte der Architekt Finn Warncke bei einer Anhörung der Hamburgischen Bürgerschaft. „Und das ist unser Alltag.“

Gesetz sollte etwas anspruchsloseres Bauen ermöglichen

Der Gesetzentwurf der Ampelkoalition sah deshalb vor, dass „reine Komfort- und Ausstattungsstandards nur dann vertraglich eingehalten werden müssen, wenn beide Vertragsparteien sich ausdrücklich darauf verständigt haben“. Fachkundige Unternehmer sollen künftig einfacher von den anerkannten Regeln der Technik abweichen können, wenn sie untereinander Verträge schließen. Die Auftraggeber müssen dabei jeweils auf die Abweichungen hingewiesen werden.

Außerdem sollen Sicherheit und Eignung des Gebäudes dauerhaft gewährleistet sein. Zu dem Entwurf gibt es eine Umsetzungsleitlinie des Bundesbauministeriums. Buschmann schätzte das Sparpotenzial unter Berufung auf Fachleute auf acht Milliarden Euro im Jahr.

Um das Bauen zusätzlich zu beschleunigen, hat sich das Bündnis bezahlbares Wohnen, das Bundesbauministerin Klara Geywitz 2022 aus den Akteuren des Wohnungsbaus schmiedete, weitere Vereinfachungen zum Ziel gesetzt. Dazu gehören Typgenehmigungen für Bauten, die dann mit stark reduziertem Verwaltungsaufwand in Serie überall gebaut werden können. Die am Bündnis beteiligten Länder haben eine vereinfachte Musterbauordnung beschlossen, an der sich alle orientieren sollen, sodass es die Baufirmen leichter haben. Überdies sollen Genehmigungen vereinfacht werden und der Top-Energiesparstandard Kfw 40 vorerst nicht Pflicht sein.

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16 Kommentare

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  • Witz des Tages



    "Wegen der vorgezogenen Bundestagswahl wird daraus erstmal nichts. "



    Wegen der paar Monate wird das jetzt nichts? Ich würde mal sagen, die haben 3 Jahre lang geschlafen beim Wohnungsbau. Aber daran war ja bestimmt wieder Corona, Putin und die FDP schuld.

  • Nicht zu vergessen: Der Overkill bei der Energieeffizienz. Immer dickere Wände und dreifachverglaste Fenster sind nicht nur teuer und ressourcenintensiv, sondern sie haben weitere kostenträchtige Wirkungen in Form von aufwändigen Lüftungssystemen sowie von zusätzlichem Wartungsaufwand und Stromverbrauch. Dabei wird immer wieder festgestellt, dass ab einem bestimmten Dämmstandard die Zusatzkosten in keinem Verhältnis mehr zum Zusatznutzen steht, wenn es letzteren denn überhaupt noch gibt. Dennoch wurden die Anforderungen in den letzten Jahren ohen Sinn und Verstand immer weiter hochgeschraubt. Die Krönung ist dabei, dass sehr viele in ihren supergedämmten Häusern weiterhin im Winter stets mit offenem Fenster schlafen und damit den ganzen technischen Aufwand ad absurdum führen. Anstatt immer mehr Dämmung zu verlangen, wäre es daher wahrscheinlich zielführender, die Menschen über effizientes Heizen und Lüften aufzuklären. Da steckt vermutlich deutlich mehr Einsparpotenzial.

  • "Die Ampelkoalition wollte das Bauen einfacher und günstiger gestalten. Wegen der vorgezogenen Bundestagswahl wird daraus erstmal nichts."



    Entschuldigung aber diese Einleitung ist irreführend - die Ampel hat in 3 Jahren das Thema nicht vorangebracht.



    Die Ampel brach ja nicht mitten im Tatendrang auseinander - und der Wahlkampf hätte spätestens zu Ostern begonnen, man kennt das von allen Regierungen vorher, im letzten halben Jahr geht nicht mehr viel...



    Das also WEGEN der vorgezogenen Bundestagswahl nichts mehr daraus wird halte ich für eine ziemlich kühne These - die Ampel lieferte in den 3 Jahren sehr wenig Ansätze die vermuten lassen, dass in den letzten Monaten hier noch eine Änderung erreicht worden wäre

  • Das „Mietenproblem“ hat eine Menge Ursachen (durch jahrzehntelange Versäumnisse der Vorgängerregierungen).

    Allein gesetzliche Bestimmungen, die das Vorkaufsrecht von Gemeinden beim Erwerb von Altbestand aushebeln, sind oft genug hochgradig schädlich!

    Und wenn ich an die vielen Käufe mit Schwarzgeld oder „Waschgeld“ denke, …. Da werden 2,80€ für Brötchen mit Karte bezahlt (Schwachsinn hoch3) und Immobilien gehen mit Bargeld über den Tisch.

    Und warum Menschen in anderen Ländern viel häufiger Wohneigentümer sind als in D , sollte auch mal zum Nachdenken anregen (u.a. keine Grunderwerbssteuer für‘s erste selbstgenutzte).

  • Wenn man für eine Steckdose mal von 100 Eur Kosten ausgeht, mach selbst 47 davon weniger als 1% bei Kaufpreis aus.....richtig bemerkbar machen sich 19% Umsatzsteuer, 5% bis 6,5% (außerhalb von Bayern) Grunderwerbsteuer und die künstliche Verknappung von Bauland durch fehlende Neuerschließung.



    Da ist auch die eigentliche Problematik, werden Neubauten billiger, dann verliert der Bestand an Wert, und da hat die Hälfte der Bevölkerung (mit Grundbesitz) eine ganz eigene Meinung zu.

  • Bitte nicht an Sicherheit und Lärmschutz sparen - so schafft man sich die "Ghettos" von morgen. Es soll auch z.B. nicht der Lärmschutz eines Hauses entscheidend dafür sein, welche Schule ein Kind besuchen kann, weil es zum Lernen und Schlafen zu laut ist. Die gesundheitlichen Konsequenzen gilt es auch zu fürchten. Das funktioniert nur, wenn alle ganz brav Rücksicht nehmen und alle zur gleichen Zeit schlafen gehen.

    Ich habe den Zusammenhang zwischen Außendämmung und erhöhtem Lärm vorher noch nicht begriffen, aber das erklärt auch was ich gerade erlebe.

  • Noch etwas zum Einsparpotential: Wenn Herr Buschmann von 8 Mrd. Euro redet, sollte man nicht glauben, das sei eine signifikante Summe. Man wird davon in der Realität kaum etwas spüren. Die Mieten für Neubauwohnungen werden deswegen nicht spürbar sinken.

  • Die Antwort ist ja! Eine 3-Zimmerwohnung braucht heutzutage tatsächlich 47 Steckdosen, also ca. 10 pro Raum. Aber ich gebe zu: Im Jahr 1960 brauchte sie das noch nicht.

    • @Aurego:

      Wofür? Ich habe gerade gezählt und bei mir sind 8 Steckdosen in jedem Zimmer, die sind überall und ich ich weiß nicht was ich da reinstecken soll. Außer dort wo meine musikanlage steht, da ist nur Eine, glücklicherweise hat mal jemand einen Mehrfachstecker erfunden.



      47/3 ist knapp über 15.

      • @Jesus:

        Es wird auf überraschen aber eine drei Zimmer Wohnung hat mehr als 3 räume. Zb. Flur, Küche, Bad Toilette , Abstellraum, Balkon. Ja jeder meiner 2 Balkons hat eine Steckdose, was natürlich super ist.

    • @Aurego:

      In Küche und Wohnzimmer bin ich da vielleicht bei ihnen, wobei auch 8 locker reichen würden, es gibt ja schließlich auch Mehrfachsteckdosenleisten, die besitzt jeder.



      In Flur, Bad und Schlafzimmer brauche ich aber niemals 10 Steckdosen, wofür denn das? :D

    • @Aurego:

      Ist das eine Vorschrift?

    • @Aurego:

      Erklären Sie mir mal bitte wofür ich 10 Steckdosen im Bad und Schlafzimmer brauche.

  • "Wegen der vorgezogenen Neuwahlen wird das nichts".



    Zuerst verschärfen sie die Regeln über das GEG nicht nur für Neubau sondern auch Sanierung und "oh Wunder" - das bauen wird teurer - und keiner baut mehr. Auch weil es eben komplett unklar war was in den nächsten Jahren so passiert.



    Unsicherheit ist für Bauherren das letzte was diese brauchten.

    Auch das ein Grund warum die Grünen bitte nicht mehr in die Regierung kommen sollten.

  • der baubooster der bundesregierung war zu keinem zeitpunkt etwas anderes als eine täuschung der öffentlichkeit – er diente dem zweck, einen aktionismus zur vermeintlichen lösung der wohnungsfrage vorzutäuschen, ohne dabei die zarten, über dekaden gepflegten bande zwischen der profitorieniterten immobilienwirtschaft und der spd zu beschädigen.

    ein blick auf die tristesse der meisten neubaugebiete dieser republik wirft die frage auf, zu was für ergebnissen ein "etwas anspruchsloseres Bauen" eigentlich führen soll – "f***kzellen mit fernheizung" zur verwahrung derjenigen, die nach über 30 jahren neoliberalem kahlschlags immer noch nicht reich genug geworden sind um ihren angeblichen traum vom eigenheim erfüllen zu können?

    aber dann immer hübsch mit sachfremder rhetorik die ddr bashen, sobald kappungsgrenzen, wohnungsneubausteuer oder mehr gemeinnützigkeit im wohnungswesen gefordert werden.

    bad news: mit dem ehemaligen blackrock aufsichtsratschef als bundeskanzler wird's noch schlimmer. da kehrt dann wahrscheinlich das etagenklo in den wohnungsneubau zurück...

  • Spannender und informativer Artikel. Vielen Dank!

    Es klingt so, als wäre diese Änderung eine der Wesentlichen gewesen, die man noch hätte durchsetzen müssen. Den das unsere Bauwirtschaft schon jetzt am Boden liegt ist klar. Was das für den Wohnungsmarkt in ein paar Jahren bedeutet leider auch.

    Ohne "billigeres" bauen gibt es nunmal auch keine "billigen" Neuvermietungen.