Wohnungslosigkeit im Winter: Krankenhaus schiebt Obdachlosen in die Kälte
Eine Hamburger Notaufnahme stellte einen Obdachlosen vor die Tür. Statt einen Krankentransport zu organisieren, ruft sie den ehrenamtlichen Kältebus.
„Die Idee ist, dass die Menschen in den Winternächten nicht erfrieren“, sagt Christina Pillat-Priess, die das Projekt Kältebus bei der Sozialeinrichtung Cafée mit Herz leitet. „Es war nie die Idee, dass wir Transporte für die Krankenhäuser fahren.“ 44-mal hätten Krankenhäuser in der vergangenen Saison den mit Ehrenamtlichen besetzten Kältebus für solche Touren gerufen. „Wir kosten kein Geld, wir sind da“, sagt Pillat-Priess. „Es ist einfach, das an uns abzudrücken.“ Auf der Strecke bleibe das eigentliche Anliegen des Kältebusses.
Als am ersten November, mit Beginn der neuen Saison, wieder ein Anruf kam, einen kranken oder pflegebedürftigen Menschen aus einem Krankenhaus abzuholen, habe das Team beschlossen, keine derartigen Transporte mehr zu übernehmen, sagt Pillat-Priess. Zum Heidberg-Krankenhaus sei der Bus am vergangenen Donnerstag dann nur gefahren, weil es nicht darum gehen sollte, einen Patienten abzuholen, sondern einen angeblich Gestrandeten.
Das Cafée mit Herz sagte an, dass es eine Stunde dauern werde, bis der Mann abgeholt werden könne. Umso mehr wunderte sich das Team, den Mann schlafend vor dem Eingang zur Notaufnahme anzutreffen. Dem Mann sei sehr kalt gewesen, berichtet das Team des Kältebusses. Er sei umgekippt und auf den Kopf gefallen. Immer wieder habe er auf seine Stirn gedeutet.
Die Notaufnahme antwortet pampig
Das Team habe im Krankenhaus gefragt, warum der Mann nicht drinnen habe warten können. Der Mann hätte sich ja auch selbst mit dem Bett nach draußen schieben können, habe die Antwort gelautet. „Das ging zu weit“, findet Pillat-Pries bei allem Verständnis für den Stress der Krankenhausmitarbeiter.
Der Asklepios-Konzern, zu dem die Heidberg-Klinik gehört, bedauert den Vorfall. „Es ist ganz klar nicht unser Standard, Menschen einfach vor die Tür zu setzen“, versichert ein Sprecher. Seine Kollegen in den Notaufnahmen versuchten, allen Menschen gerecht zu werden, die eine medizinische Behandlung benötigten, selbstverständlich auch betrunkenen und obdachlosen. Ist die Behandlung abgeschlossen, verließen sie normalerweise selbst die Notaufnahme.
Den Menschen ohne Obdach erlaubten die Kliniken häufig, über Nacht zu bleiben. „Es kommt jedoch auch vor, dass das Patientenaufkommen so hoch ist, dass in der Notaufnahme jede Liege, jedes Bett benötigt wird“, schränkt der Sprecher ein.
Problematisch werde die Lage, wenn Patienten oder Obdachsuchende gegenüber dem Personal aggressiv würden, gegen die Hausordnung verstießen oder in der Notaufnahme rauchten. „Damit wird die Sicherheit sowie die schnelle und adäquate Behandlung lebensbedrohlich kranker Patienten schwer beeinträchtigt“, gibt Asklepios zu bedenken.
Aufgabe der Notaufnahme sei es in erster Linie, „Menschen mit akuten oder lebensbedrohlichen Erkrankungen kompetent und schnell zu helfen“. Sie hätten oft keine Kapazitäten, sich um Leute zu kümmern, die nach Abschluss ihrer Behandlung weiterhin Aufmerksamkeit benötigten. Dabei hätten viele Kliniken, einschließlich des Heidberg-Krankenhauses, sogar Kleiderkammern für Obdachlose eingerichtet und ermöglichten auch mal eine Dusche.
Eigentlich hätte ein Krankenwagen kommen müssen
Dass Kliniken den Kältebus rufen, wenn kranke oder pflegebedürftige Obdachlose entlassen werden, nennt Pillat-Pries eine „Lücke im System“ – eine Lücke, die es eigentlich nicht geben darf: In der Regel organisiere die Klinik einen Krankentransport, teilt die Sozialbehörde mit. Dies sei „Teil des vereinbarten Entlassmanagements“, das zwischen den Hamburger Plankrankenhäusern und der Behörde vereinbart worden sei.
„Für besonders vulnerable obdachlose Menschen mit Pflegebedarf“ gibt es der Sozialbehörde zufolge seit April eine besondere Einrichtung mit 118 Plätzen sowie eine Krankenstube mit 20 Plätzen. Das sei den Krankenhäusern bekannt. Um Menschen dorthin zu bringen, bedürfe es „keiner gesonderten Vorgabe oder Anweisung“. Wo die Menschen am Ende landen – ob wieder im Krankenhaus, in einer einfachen Unterkunft oder einer für besonders Vulnerable – entschieden Mitarbeiter im Sozialmanagement des Trägers Fördern und Wohnen in Absprache mit Ärzten, dem Pflegedienst und der Leitung der jeweiligen Einrichtung.
Wie gut das Entlassmanagement funktioniert, bespricht die Behörde nach Auskunft des Senats regelmäßig mit den Krankenhäusern. „Die Kosten für die Krankentransporte werden in der Regel über das System der sozialen Sicherung abgerechnet“, teilt die Sozialbehörde mit. Es sei jedenfalls nicht Aufgabe des Kältebusses, im Rahmen des Entlassmanagements den Transport zu übernehmen.
Sollte der Kältebus künftig tatsächlich aus dem Spiel sein, ginge ein Wunsch von Pillat-Priess in Erfüllung: „Ich möchte, dass eine Lösung für die Menschen gefunden wird und wir die Möglichkeit bekommen, unserer regulären Arbeit nachzugehen“, sagt sie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus