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Wissenschaftlerin über Insektensterben„Wir müssen umdenken“

Um die Insekten zu retten, fordert Viola Clausnitzer eine Kehrtwende in der Landwirtschaft. Kleinere Betriebe sollen gefördert werden.

Die industrielle Landwirtschaft bedroht den Lebensraum der Bienen Foto: Kumm/dpa
Interview von Sara Wess

taz: Frau Clausnitzer, am Montag wurde der „Aktionsplan für den Insektenschutz und Insektenerholung“ veröffentlicht. Viele der Maßnahmen werden schon lange gefordert. Warum gibt es nun einen neuen Rettungsplan?

Viola Clausnitzer: Es muss endlich zu einer Umsetzung kommen. Durch den Straßen- und Hausbau wird in Deutschland täglich eine Fläche von 100 Fußballfeldern versiegelt, also asphaltiert. Dazu kommt die Landschaftszerstörung durch die industrielle Landwirtschaft, die Vergrößerung von Ackerflächen, bei der Hecken und Wegränder verschwinden. Die Insekten brauchen diesen Lebensraum. Das ist alles bekannt, hat aber nie zu Konsequenzen geführt, weil Interessenverbände aus Landwirtschaft, Bau- und Chemieindustrie dafür gesorgt haben, dass das nicht richtig publik gemacht wurde. Der Plan sorgt dafür, dass mehr Leute ihre Finger in die Wunde legen.

Glauben Sie, dass die Maßnahmen jetzt umgesetzt werden? Die Lobby hat kein Interesse daran, etwas zu ändern. Große Konzerne wie die BASF werden nicht in diese Richtung arbeiten wollen. Aber es findet langsam ein Umdenken statt, der Druck auf die Politiker steigt. Ich persönlich kann jedoch nicht abschätzen, wie schnell der Hebel umgelegt wird.

Aber können Sie abschätzen, ob das Insektensterben noch aufgehalten werden kann?

Ja. Noch können wir den Rückgang aufhalten oder zumindest verlangsamen. Was wir nicht wissen ist, wie schnell nach der Umsetzung der Maßnahmen eine Erholung eintritt. Es gibt Bereiche, die wir nicht ganz durchschauen. Deshalb braucht es mehr Forschung.

Sollten wir dem Plan nicht folgen: Welches Szenario erwartet uns?

privat
Im Interview: Viola Clausnitzer

ist Wissenschaftlerin am Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz. Gemeinsam mit 70 internationalen ForscherInnen hat sie den Aktionsplan für den Insektenschutz und Insektenerholung erstellt.

Das ist schwer abzuschätzen. Ökosysteme sind sehr komplex. Man kann schlecht sagen, was passiert, wenn man ein einzelnes Bauteilchen heraus nimmt. Aber einige Resultate kennen wir schon aus anderen Ländern. In Südostasien beispielsweise müssen manche Plantagen bereits per Hand bestäubt werden, weil es zu wenige Insekten gibt.

Droht das auch der deutschen Landwirtschaft?

Möglicherweise ja. Wir bemerken den Rückgang vor allem bei den Fluginsekten, die Bestäubung betreiben. Das sind verschiedene Bienen- und Wespenarten, aber auch Käfer. Vielleicht spüren es die Obstbauern also schon. Aber das Insektensterben wird oft von Wettergeschehnissen überlagert. Wenn Spätfrost kommt und die Ernte geringer ausfällt, kann man das nicht auf das eine oder andere zurückführen.

Wie beeinflussen Herbizide wie Glyphosat die Insekten?

Glyphosat ist ein Herbizid und tötet rasch und sehr effizient Pflanzen und Mikroorganismen. Dies ist ein Eingriff in Ökosystem, der über Nahrungsnetze auch Auswirkungen auf alle anderen Lebewesen hat, also auch Insekten und Vögel. Man vermutet weiterhin, dass Tiere, Insekten und unter Umständen auch der Mensch Glyphosat aufnehmen und der Stoff ihre Gesundheit beeinträchtigt.

Wie viel Zeit haben wir noch?

Die unmittelbaren Maßnahmen müssen sofort, also innerhalb der nächsten fünf Jahre, umgesetzt werden, um nicht etliche Arten zu verlieren. Dazu gehört auch die Reduzierung der Giftmasse, also der Pestizide. Mittelfristige Maßnahmen, die vor allem die Forschung betreffen, sind auf die nächsten 20 Jahre ausgelegt. Wir wissen von vielen Arten noch nicht, wieso sie zurückgehen und ob Faktoren wie Mikroplastik oder die Hormonbelastung von Gewässern eine Rolle spielt. Die langfristigen Maßnahmen gehen über diesen Zeitraum hinaus und sollen zukünftig Standard werden, zum Beispiel der Aufbau von globalen Monitoring Programmen.

Wer muss handeln?

Es braucht eine europaweite, drastische Kehrtwende in der Landwirtschaftspolitik. Ich will nicht mit dem Finger auf einzelne Landwirte zeigen und sagen: „Die sind schuld.“ Es ist die Politik, die in den letzten Jahren vorwiegend die industrielle Landwirtschaft gefördert hat. Das hat dazu geführt, dass immer mehr kleine Betriebe schließen mussten und nur die großen überleben. Da müssen wir umdenken. Aber dazu gehört auch ein gesellschaftlicher Umbruch. Menschen, die weniger Fleisch essen und dafür mehr bezahlen wollen. Dann kann sich auch ein Betrieb mit zehn oder 20 Schweinen halten.

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13 Kommentare

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  • Einem Insekt ist es völlig egal ob es in grossen oder kleinen landwirtschaftlichen Flächen lebt....solange es was zu fressen hat und ein Brut- und Überwinterungshabitat findet.



    Längst gibt es Modelle wie innerhalb von wenigen Jahren auch grosse Flächen aufgewertet werden können und es wird teilweise auch umgesetzt.



    Hier muss Schwung rein und hier müssen Fördergelder einfliessen.

    Der hier im Forum und in den Artikeln der TAZ immer wieder auftauchende Wunsch nach "Zerschlagung der grossen Betriebe" scheitert schon an unserem Rechtssystem.

    Zusätzlich müsssen die Chemiewaffen freien Zonen über die 7-8% Ökoflächen ausgedehnt werden und die erwähnten hormonell wirkenden Substanzen (endokrine Disruptoren), gleich welcher Herkunft, müssen in kürzester Zeit vom Markt genommen werden. Es reicht einfach nicht mehr auf neuere weniger schädliche Substanzen der Chemieindustrie zu warten, die durch strengere Zulassungsvorschriften nur sehr langsam auf den Markt kommen werden.

    Die Lichtverschmutzung muss aktiv in den Kommunen reduziert werden, öffentliche Flächen müssen noch mehr zu Habitaten werden.

    Es muss an Systemen geforscht werden in denen beim Ökolandbau nicht die jetzt üblichen Ertragsminderungen die Grundlage für eine reiche Biodiversität sind.

    Kurz: Möglichkeiten gibt es.

  • Hier der Link zu einer wichtigen, EU-weiten Petition zu diesem Thema: www.aurelia-bienenundbauern.de/

  • Hier fehlt doch vollkommen der Bezug zur Wirklichkeit. Wie soll ein Betrieb jemals von 10 bis 20 Schweinen leben können? Um meine Familie zu ernähren und meine 2 Kinder eine Ausbildung zu finanzieren müsste ein Schwein einen Umsatz von ca. 10000 Euro bringen. Also was wollt Ihr? Sollen Landwirte wieder die Leibeigenen werden - diesmal die der Stadtbevölkerung?? Und.. trotz Umschichtung von EU Geldern und veränderter Agrarpolitik, das Sterben der kleineren Betriebe wird weitergehen. Es kann einfach keiner davon leben.

    • @Farmer:

      Komisch, eine Freundin von mir mit einem kleinen Biolandhof, kann da ganz gut von leben. Keine Milchwirtschaft, die Kälber bleiben bei der Mutter, ca. 15 Tiere. Schweine, die im freien leben, ca. 10 Tiere. Vor 10 Tagen erst 3 Hähnchen von da bekommen. Kosten dann 75 Euro, wiegen aber auch pro Tier 2500gr. Gemüseanbau und Ausliefern von meines Wissens knapp 100 Gemüsekisten an Kunden pro Woche. Die hat ein stabiles Einkommen und einen eingeschworenen Kundenkreis. Ach ja, und einen kleinen Hofladen. Funktioniert!

      • @Eiswein:

        Milchmädchenrechnung !



        Sie nehmen die 10 € / kg je Hähnchen, und meinen die haben einen schönen Verdienst. Wissen Sie wie viele Stunden die Frau für Aufzucht, Schlachtung, Verkauf benötigt ? Wie viel Futter haben die Hänchen gefressen ? Was hat der Hofladen gekostet, damit er auch alle Auflagen erfüllt ? Hofläden sind leider nur eine Nische, dort kostet Qualität sein Geld, welches der Überwiegende Teil der Bevölkerung nicht bereit ist auszugeben.

        • @Günter Witte:

          Danke für die Unterstützung!! Die Zahlen die Eiswein liefert ergeben einen lächerlichen Hungerlohn. Ja auch Betriebe die von vielen als "hässlichen Großbetrieb" angesehen werden verdienen kaum Geld. Die meisten Landwirte arbeiten für einen Lohn über den jeder Harz 4 Empfänger sich vor lachen wegschmeißt. Wenn Ihr was ändern wollt dann zahlt endlich dafür.

  • Kleine Betriebe können noch gefährlicher sein als Grosse. Das Wasser in Dithmarschen ist ganz offiziell nicht mehr zum Trinken geeignet. Vollkommen nitriert. In der Zeitung stand neulich, dass Agrarkonzerne aus den Niederlanden nach D fahren um hier ihre Gülle über die Felder auszubringen. Der deutsche Bauer kriegt dafür Geld. Das sind "kleine" Bauern.

    Meiner Ansicht nach, sollte die Subvention der Landwirtschaft an die Wasserqualität gekoppelt werde, das wäre ein Anfang. Je vergifteter das Wasser, desto weniger Staatsgeld für die örtlichen Bauern.

    • @el presidente:

      Nitriert? Ihr Ernst? Stahl wird nitriert um ihn zu härten. Bitte schauen sie mal in die öffentlich zugänglichen Analysen der Wasserversorger. Das, was sie meinen, die Verunreinigung des Trinkwassers mit Nitrat, ist so keine Tatsache.



      Zu Frau Clausnitzer: unter Umständen, möglicherweise, man weiß es nicht, schwer abzuschätzen, etc. Bitte etwas deutlicher. Sie sagt, man wisse nicht, ob Glyphosat von einem nicht pflanzlichen Organismus aufgenommen wird und die Gesundheit beeinträchtigt. Ach, ich dachte das wisse man, weil es doch verboten werden soll.



      Nitriert. Ich schmeiss mich weg.



      Herr Präsident, haben sie inzwischen das Wasser aus dem "verseuchten" See untersuchen lassen, in dem nichts mehr lebt?

      • @Le Kralle:

        Eine Verunreinigung des Wassers mit Nitrat ist so keine Tatsache. Was meinen sie mit so?



        Und lesen sie hier was über Nitrat und Nitrit:



        www.spiegel.de/wis...age-a-1214067.html

        • @APO Pluto:

          Der Bericht ist vom Juni 2018. Bitte lesen sie die Analysen des niedersächsischen Trinkwassers auf www.oowv.de/servic...nkwasserqualitaet/ Die Analysen des Grundwassers allgemein finden sie auf www.umweltkarten-niedersachsen.de Und Nein. Es ist keine Tatsache. Die Nitratwerte, auf die sich das EU Urteil gegen Deutschland bezog, fußt auf den Nitratmeldungen von 2012. Bis Nitrate im Grundwasser ankommen, dauert es mindestens 10 Jahre. Bei undurchlässigeren Böden kann es auch 20-30 Jahre dauern. Folglich sind die 2012 gemessenen Werte das Resultat von Düngungen, die Anfang des Jahrtausends gemacht wurden. Nach damals zulässigen Vorgaben. Die letzte Novellierung der Düngeverordnung von 2017 kann also frühestens 2027 in Analysen des Grundwassers auftauchen. Vielleicht schauen sie sich das mal genauer an und antworten darauf. Tun viele hier nicht und das wäre schon wünschenswert in so einem Forum.

          • @Le Kralle:

            Wenn ich sie richtig lese, müssen die Nitratwerte heute also höher sein. Es findet also eine permanente Erhöhung statt. Halten sie das für gesund? Ich weiß jetzt nicht, was sie mir sagen wollen.

            PS: Was ist das denn hier für ein Forum?



            Nur für die ganz Durchnitrierten?

            • @APO Pluto:

              Sie lesen mich absichtlich falsch, aber das wissen Sie auch. Aber wenn Sie unbedingt möchten, erkläre ich es Ihnen nochmal so, dass Sie es auch verstehen sollten. Die gemessenen Nitratwerte im Grundwasser sinken kontinuierlich seit Jahren. Das ist für die Klage der EU aber unerheblich, da diese sich auf die gemeldeten Werte von 2012 bezieht. Damals wurden nur Messwerte von 186 Messbrunnen gemeldet, die zu hohe Nitratwerte aufwiesen. Wobei es mehrere tausend Brunnen gibt und die meisten im grünen Bereich sind. Wenn sie mich immer noch missverstehen möchten, dann ist es ihre Entscheidung. Die Links aus meinem Kommentar können Sie sich trotzdem mal anschauen. Die wurden nicht von den "Landwirten der Agrarlobby" gefälscht.

    • 0G
      08439 (Profil gelöscht)
      @el presidente:

      Es wird pro Jahr über eine Million Tonnen Gülle nach Deutschland importiert.