Wirtschaftsstandort Deutschland: „Nicht zukunftsfähig“
Ökonom:innen sehen den Standort Deutschland in Gefahr. Sie fordern mehr strategische Planung vom Staat und eine Reform der Schuldenbremse.
Berlin taz | Wirtschaftswissenschaftler:innen sehen den Standort Deutschland grundlegend gefährdet und fordern die Bundesregierung auf, staatlich gegenzusteuern. „Das Grundproblem ist: Das deutsche Geschäftsmodell basierend auf Export, Industrieorientierung und Automobilindustrie ist nicht zukunftsfähig“, so der ehemalige Wirtschaftsweise Peter Bofinger zur taz.
In einem Papier für das Wirtschaftsforum der SPD, das der taz vorliegt, fordern er und andere Ökonom:innen den Staat auf, Zukunftsbranchen zu definieren, die künftig gezielt gestärkt werden sollen. In Deutschland gelte immer noch das Dogma, dass sich der Staat aus industriepolitischen Zielplanungen heraushalten solle, heißt es in dem Papier: „Wenn wir hier nicht sehr bald einen Paradigmenwechsel vornehmen, droht Deutschland ein disruptiver Prozess mit gravierenden Folgen für den Wohlstand.“
Sie berufen sich dabei auch auf einen Vorschlag, den der ehemalige Zentralbankchef Mario Draghi kürzlich in einem Bericht für die EU-Kommission unterbreitet hatte.
So könnte etwa der Bereich Künstliche Intelligenz gezielt gefördert werden, meint der Ökonom und Mitverfasser des Papiers für die SPD, Jens Südekum, zur taz. Er schlägt vor, die für die Intel-Ansiedlung vorgesehenen 10 Milliarden Euro zu Förderung von Startups im Bereich KI einzusetzen.
Ausbau von Ladesäulen statt Abwrackprämie
Von einer Abwrackprämie zur Förderung der kriselnden Autoindustrie, wie sie Teile der SPD-Fraktion vorschlagen, hält Südekum dagegen nichts. „Damit würde man aktuell nur Tesla und chinesische Autos subventionieren.“ Statt einer Abwrackprämie bräuchte es stattdessen das Ende der Debatte um eine Verschiebung des Verbrennerverbots und einen konsequenten Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos.
Einen ermäßigten Industriestrompreis und eine Entlastung der Verbraucher:innen von den Netzentgelten, wie sie ebenfalls in der SPD kursieren, halten Südekum und auch Matthias Machnig vom Wirtschaftsforum der SPD für notwendig. Der Ausbau der Netze wird gegenwärtig allein von den Verbraucher:innen bezahlt. Sie davon zu entlasten, das ließe sich auch innerhalb der geltenden Schuldenbremse bewerkstelligen.
Generell fordern die Autor:innen eine Reform der grundgesetzlichen Schuldenbremse, um notwendige öffentliche Investitionen von rund 600 Milliarden Euro zu ermöglichen. Die im Bundeshaushalt vorgesehenen Investitionen von 81 Milliarden Euro entsprächen „nicht mal im Ansatz dem, was nötig wäre“, so Südekum.
„Rettungsring der FDP“
Die Fachwelt sei sich in einem noch nie dagewesenen Maße einig, dass die Schuldenbremse reformbedürftig sei, meint auch der ehemalige Wirtschaftsweise Bofinger. „Die Schuldenbremsen ist nur noch der Rettungsring der FDP.“
Die Freien Demokraten um ihren Vorsitzenden Christian Lindner haben mehrfach betont, dass sie die Schuldenbremse unverändert beibehalten wollen.
Lena Dräger, Professorin für Internationale Finanzwirtschaft an der Uni Hannover, warnt jedoch vor „blindem Aktionismus“ und plädiert für eine gründliche strategische Analyse. Diese könne auch die jetzige Bundesregierung noch vornehmen. Und sie würde auch nichts kosten.
Leser*innenkommentare
Barthelmes Peter
Ich warne vor blinden Aktionismus und vor allem vor noch mehr Staat in der Wirtschaft:
BER, Elbphilharmonie, Kölner Oper und, und... lassen grüßen !
Der Staat ist und war stets ein grottenschlechter Unternehmer !
Perkele
In dieser Gemengelage erstaunt es um so mehr, dass der Bundeskanzler weiterhin schweigt. Außer der FDP und ein paar Unionsleuten hält alle Welt die Schuldenbremse für pures Gift in solchen Situationen. Die CDSU weiß genau. dass sie die zumindest drastisch ändern muss, sollte sie Regierungsverantwortung übernehmen. Es ist deutlicher gar nicht mehr sichtbar zu machen, dass die Kirmes-Partei FDP ausschließlich !!! eigene Wahlinteressen im Blick hat und mitnichten das Gemeinwohl. Man kann nur hoffen, dass die 0,8% FDP in Brandenburg bald auch im Bund erreicht werden....
M.D
Genau so ist es. Und DAS Wort ist Planung. Automobielindustrie subventionieren die im Grossen Teil auch wenn E-Auto ein Auslaufmodell ist ? Stromnetze massiv ausbauen ohne die Möglichkeit der lokalen Energiespeicherung mit einzubeziehen ? Wärmepumpen verordnen obwohl diese technologisch ansich noch in den Kinderschuhen stecken und ohne den Energiebedarf dieser in einer ein Versorgungs und Netzkonzept aufgenommen zu haben ? So wird das natürlich alles nichts, leider.
Farang
"Statt einer Abwrackprämie bräuchte es stattdessen das Ende der Debatte um eine Verschiebung des Verbrennerverbots und einen konsequenten Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos"
Da ein ganz wichtiger Punkt: BATTERIEN!
Es braucht endlich konkurrenzfähige Batterien in DE. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist fraglos elementar und da hinken wir, als auch die EU im Ganzen massiv hinterher, was aber noch viel gravierender ist, ist der Mangel an Reichweite aller EU-Modelle.
Letzte Woche erst den id7.tourer von VW probegefahren. Laut VW Werbung stoße diese Generation nun in die Reichweite von Verbrennern vor, 685 Kilometer angeblich.
Dass das hinten und vorne nicht stimmt ist man gewöhnt. Hab mich dennoch hinreißen lassen und bin Probe gefahren. Auf der Autobahn mit gemütlichen 130 war nach 360 Kilometern komplett Schluss.
Ein Witz. Bestes Wetter, weder heiß noch kalt - das kanns nicht sein.
60.000 Euro und dann sowas. Vor einigen Monaten hatte ich Gelegenheit in China den Denza-d9 zu fahren, keine 40.000 Euro, deutlich höhere Ausstattung, statt 77 oder 86kw hat dessen Batterie über 100, der lief knapp 530 Kilometer, so geht's.
Das ist Preis-Leistung mit der man Akzeptanz erlangen kann.