„Wir haben es satt!“-Demo in Berlin: Cem Özdemir kommt vor die Tür
Seit 2011 demonstriert das Bündnis „Wir haben es satt!“ für eine Agrarwende. Erstmals stellte sich ein Bundeslandwirtschaftsminister den Protestierenden.
„Es ist höchste Zeit, dass die Höfe und Menschen in diesem Land wieder zu den Gewinnern der Agrar- und Ernährungspolitik zählen“, sagte „Wir haben es satt“- Sprecherin Saskia Richartz am Samstag in Berlin. Die Lage auf dem Land sei nach 16 Jahren unionsgeführter Agrarpolitik dramatisch. Özdemir müsse der Agrarindustrie die Stirn bieten. Weder Chemie-, Milch- und Fleischkonzerne noch Bodenspekulanten dürften weiterhin die Zukunft die Agrarpolitik bestimmen.
„Schlechte Erzeugerpreise durch das Preisdiktat des Handels und die fatale Ausrichtung auf Export zwingen Bauernhöfe zum Schließen“, warnte die Bündnissprecherin. Landwirtschaftlicher Boden werde immer mehr zum Spekulationsobjekt: „Tierfabriken verdrängen bäuerliche Betriebe. Der Antibiotika-Missbrauch bedrohe unser aller Gesundheit. Klimakrise und Artensterben eskalieren.“
Der Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Georg Janßen, sagte, „ob eine Agrarwende Erfolg haben wird, hängt stark davon ab, ob viele Bäuerinnen und Bauern wirtschaftlich mitgenommen werden“. Die zukünftigen politischen Rahmenbedingungen müssten Perspektiven für die Höfe schaffen. „Jeder Hof zählt!“, das Motto der diesjährigen Demonstration, müsse das Fundament einer neuen Agrarpolitik sein, betonte Janßen.
Özdemir, der die gesamte Ministeriumsspitze zu der Übergabe mitgebracht hatte, sagte zu den Demonstranten: „Lasst uns die bisherigen Strukturen gemeinsam beenden.“ Das Ziel, 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 zu erreichen, werde nicht einfach. Özdemir fügte hinzu: „Und macht bitte weiter Druck, die anderen machen es auch.“ Der künstliche Gegensatz zwischen Bäuerinnen und Bauern und Tierschutz, Artenvielfalt und Klimaschutz müsse beendet werden.
Der Agrarminister sagte mit Blick auf wiederholte Warnungen, Lebensmittel müssten für alle bezahlbar bleiben, Landwirtschaft müsse auch sozial sein, ersetze aber keine Sozialpolitik: „Dafür sind andere Bereiche zuständig.“ Bei Sozialpolitik gehe es auch um ein anständiges Einkommen der Bäuerinnen und Bauern und derjenigen, die in der Fleischindustrie arbeiten. Das schließe Ramschpreise beim Schweinefleisch aus.
Das „Wir haben es satt!“-Bündnis besteht aus mehr als 60 Organisationen. Der gemeinsame Protest findet seit 2011 alljährlich zum Auftakt der „Grünen Woche“ in Berlin statt. Zum ersten Mal stellte sich nun ein Bundeslandwirtschaftsminister den Aktivisten. Wegen Corona musste auch in diesem Jahr die Demonstration mit Zehntausenden Teilnehmern ausfallen. Die „Grüne Woche 2022“ wurde von den Veranstaltern schon Ende vergangenen Jahres abgesagt.
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