Winfried Hassemer verstorben: Ein Warner vor Maßlosigkeit
Winfried Hassemer ist tot. Als Bundesverfassungsrichter warnte er vor dem Übergewicht des Sicherheitsdenkens .
Niemand leitete die Verhandlungen des Bundesverfassungsgerichts so charmant und humorvoll wie Winfried Hassemer. Jetzt ist der ehemalige Vizepräsident des Gerichts im Alter von 73 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben.
Hassemer war zwar einst von der SPD vorgeschlagen worden, aber parteilos. Er war auch kein ausgesprochener Linker, eher ein Liberaler, mit einem Schlag ins Konservative. Vor seiner Zeit am Verfassungsgericht hatte sich Hassemer als Strafrechtsprofessor einen Namen gemacht. Von 1991 bis 1996 war er Datenschutzbeauftragter von Hessen.
Am Bundesverfassungsgericht war Hassemer von 1996 bis 2008 tätig. Ab 2002 war er Vorsitzender des Zweiten Senats und durfte deshalb dessen Sitzungen leiten. Den Unterhaltungswert der öffentlichen Verhandlungen hat das ungemein erhöht.
Als Jurist forderte er, dass der Staat das Strafrecht nur als letztes Mittel einsetzen solle. "Ich warne vor Auswüchsen, wenn das Sicherheitsdenken das Strafrecht zu sehr bestimmt", sagte er 2006 in einem taz-Interview, "denn der Schutz vor Gefahren führt tendenziell zur Maßlosigkeit."
Nur einmal gab Hassemer in seiner Zeit als Verfassungsrichter ein Minderheitsvotum ab, als er 2008 als einziger Richter die Strafbarkeit des Geschwister-Inzests aufheben wollte. Damals konnte er sich aber gegen die konservativen und feministischen RichterInnen nicht durchsetzen.
Zwar blieb Hassemer auch im ersten Verfahren um ein NPD-Verbot in der Minderheit. Gemeinsam mit zwei KollegInnen konnte er nach dem V-Leute-Skandal aber einen Abbruch des Verfahrens erzwingen, da für die Fortführung eine Drei-Viertel-Mehrheit der acht RichterInnen erforderlich gewesen wäre.
Zuletzt arbeitete Hassemer unter anderem als Ombudsmann für unternehmensinterne Whistleblower bei Daimler-Benz.
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