Willkommenskultur in Deutschland: Helfen als Lebensgefühl
Die Ankunft von immer mehr Flüchtlingen hat zu einer beispiellosen spontanen Hilfsbereitschaft geführt. Doch am besten sind echte soziale Beziehungen.
Wohin man schaut, wird in diesen Tagen zur Hilfe für Flüchtlinge aufgerufen und wohin man schaut, folgen Menschen diesem Aufruf. Im Lichtenhagen-Land. In einer Woche, in der das Innenministerium eine bislang nicht vorstellbare Dimension ankommender Flüchtlinge prognostiziert. In der Summe ist diese Hilfe ein riesiger Sprung nach vorn für das gesellschaftliche Klima. Im Einzelfall ist sie mal bitter nötig und berührend, mal überflüssig, mal hintersinnig – und manchmal abstoßend.
Die Frage ist dabei nicht, ob die Helfer selbst etwas von ihrer Hilfe haben. Die Frage ist: Was haben die Flüchtlinge davon? Und: Haben die Helfer den Anspruch, die Ungleichheit, die jeder Hilfe eingeschrieben ist, zu überwinden?
Da gibt es zum Beispiel den Immobilienunternehmer, der letzte Woche sein Konzept für besonders bewohnerfreundliche Flüchtlingsheime präsentierte. Sie heben sich tatsächlich wohltuend von dem ab, was in dem Bereich leider üblich ist. Er wettert gegen schwarze Schafe im Heim-Business wie die Firma, mit der Schweiger zunächst ein eigenes Flüchtlingsheim bauen wollte – und erklärt gleichzeitig völlig ungeniert, die „junge Flüchtlings-Industrie lowckt mit traumhaften Renditen von bis zu 20 Prozent pro Jahr“.
Da gibt es eine große Zeitung in Hamburg, die sich lange Jahre kein Stück daran gestört hat, dass Hamburg im Bundesländer-Vergleich ein herausragend herzloses Abschieberegime betrieben hat. Im Juli nun ruft sie zur Spendenabgabe für Flüchtlinge auf, voller Rührung lobt der Chefredakteur erst die „Spendenstadt Hamburg“ – und dann die Polizei, die den „Ausnahmezustand“ auf der Straße vor dem Verlagsgebäude managen musste.
Distinktionsgewinn als Lohn
Da steckt eine der reichsten Städte Europas über 1.000 Flüchtlinge in eine Messehalle, eine sonst eher bei Vulkanausbrüchen oder nach Erdbeben gängige Praxis. Zu einer Versammlung, um Hilfe für die neuen Hallenbewohner zu organisieren, kommen Hunderte Menschen. In einer halben Stunden gründen sie 16 AGs. Sie wollen alles richtig machen, sie wollen die besten sein bei der Flüchtlingsunterstützung. Der Lokalblog St.-Pauli-News schreibt: „Das kann nur St. Pauli.“ Der Lohn heißt Distinktionsgewinn. Die Helfer hier aber beschränken sich nicht auf AGs „Deutschunterricht“, „Sport & Spaß“ oder „Kleiderkammer“, sondern verfassen auch eine Resolution namens „Never mind the papers!“. Welchen Aufenthaltsstatus die europäische Flüchtlingspolitik den Menschen zuweise, „interessiert uns nicht“, heißt es darin. „Wer hier angekommen ist, gehört dazu und bleibt.“
Da gab es die BürgerInnen im Hamburger Stadtteil Ohlstedt, die in nur einer Woche dutzende Kinderbetten sammeln, damit keine alleinstehenden Erwachsenen, sondern Familien in das Zeltlager in ihrem Stadtteil kommen. Weiter gingen Anwohner in Harvesterhude: Sie agitierten gegen ein geplantes Flüchtlingsheim, mit der Begründung, in dem Nobelstadtteil gebe es nicht genug günstige Supermärkte. Ähnlich verfahren vor allem in Ostdeutschland immer öfter Bürgerinitiativen aus dem AfD- Spektrum oder von noch weiter rechts: Sie sagen nicht, dass sie gegen Flüchtlinge sind, sondern vielmehr für gute Unterbringung. Und die ist, selbstredend, in der eigenen Stadt nicht möglich.
Und es gibt Fälle wie die ältere Dame aus einem engagierten Helferkreis, die kürzlich von Flüchtlingen gebeten wurde, bei einer Aktion zu Fluchtursachen und Rüstungsexporten mitzumachen, ihnen aber lieber schrieb: „Wir engagieren uns gerne für Menschen hier, die Hilfe brauchen, jedoch lassen wir uns nicht unterordnen unter politische Aktionen.“
Sozialleistungen sind sicherer
Anders als oft getan wird, gibt es keinen ideellen Gesamtflüchtling, in dem die Interessen aller zusammenlaufen. Manche verabscheuen Deutschland für seine Flüchtlingspolitik, andere sind dafür dankbar. Beides ist legitim. Manche wollen kämpfen, andere wollen einen Ventilator. Den kann man ihnen geben. Aber dabei, und das gilt für jede Hilfe, darf es nicht bleiben. Für die materielle Versorgung ist der Staat zuständig. Daran ist nicht zu rütteln.
Materielle Hilfe darf sich immer nur als Korrektiv verstehen – und muss entsprechend politisch flankiert sein. Agieren Helfer anders, verabschieden sie sich vom Anspruch gleicher Rechte. Stattdessen machen sie Flüchtlinge abhängig von willkürlicher Wohltätigkeit. Die ist gerade en vogue, kann aber schon morgen abflauen. Sozialleistungsansprüche sind vielleicht nicht sicher vor der CSU, die den Flüchtlingen das Taschengeld kürzen will, aber allemal stabiler als die Lust der Spendensammler.
Antiserum gegen Fremdenhass
Es gibt aber etwas, das der Staat nicht kann. Und das ist vermutlich das Wichtigste, wenn es darum geht, sich hier ein neues Leben aufzubauen: Tatsächliche soziale Integration. Dafür ist persönlicher Kontakt unersetzlich. Er ist wichtiger als reparierte Fahrräder und Theaterprojekte, als Zahnpastaspenden und Ventilatoren. Echte soziale Beziehungen sind Meta-Hilfe. Sie wirken potenziell auf alle Bereiche.
Natürlich sind soziale Beziehungen erst recht willkürlich, erst recht ungerecht verteilt. Sie beruhen oft auf Sympathie, auf Glück oder, ja, auf Mitleid. Das liegt in der Natur der Sache. Trotzdem ist das wohl Beste an der ganzen Hilfswelle, dass die Leute mit Flüchtlingen in Kontakt kommen. Genau das sind sie zu lange nicht. Und das ist, so darf man annehmen, auch der Grund dafür, warum Pegida und andere es trotz der hohen Zahlen von Neuankömmlingen schwer haben: Weil immer mehr Menschen Flüchtlinge kennenlernen, und die Propaganda deshalb bei ihnen nicht mehr verfängt. Die persönlichen Kontakte sind wie ein Antiserum für Fremdenhass. Bislang scheint es zu wirken. So, wie die Dinge liegen, sollte die Dosis nicht verringert werden.
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