Wildschweinjagd in Brandenburg: Hegen, pflegen, abknallen
Mit längeren Jagdzeiten kämpft Brandenburg gegen die Afrikanische Schweinepest. Es geht auch um die wachsende Zahl der Wildschweine im Land.
D er Waldboden ist mit Reif bedeckt. Unter jedem Schritt knirscht das Laub. „Hier waren sie heute schon“, sagt Dietrich Mehl und deutet auf die Spuren von Paarhufern. Wildschweine – Schwarzwild, wie der Jäger sagt – haben die Erde nach Bucheckern und Eicheln durchwühlt. Das Gewehr geschultert, Hund Betty an der Leine, stapft der Oberförster auf einen Hochsitz zu.
Um neun Uhr beginnt an diesem Morgen in der nördlichen Schorfheide die Treibjagd. Alle Jäger müssen dann auf den Hochsitzen sein. Der 53-jährige Mehl, orangefarbenes Basecap, orange Jacke, Stulpen über den Stiefeln, ist ein großer, sportlicher Typ. Auf dem schmalen Brett, das auf dem Hochsitz als Bank dient, zieht er sein Gewehr aus der Hülle, befestigt den Schalldämpfer an der Mündung und schiebt das Magazin mit den goldfarbenen Patronen, Kaliber.308, in den Schacht. Die entriegelte Waffe legt er auf die Brüstung und lässt den Blick schweifen.
Keine fünf Minuten vergehen, da kommt ein Wildschwein aus dem Gebüsch. Ein circa einjähriger Keiler, wegen des Übergangs zum Erwachsenenalter Überläufer genannt, trappelt arglos seines Weges. Die ausgefransten, spitz zulaufenden Ohren geben ihm ein vorwitziges Aussehen. Ein scharfes Zischen, das klingt wie Peitschenschlag – mehr ist nicht zu hören, als Mehl den Abzug seines Gewehrs betätigt. Der Schuss geht ins Schwarze. Tödlich getroffen fällt der kleine Keiler um.
Wildschweine dürfen das ganze Jahr bejagt werden. Aber sogenannte Bewegungsjagden mit Treibern und Hunden sind nach dem 15. Januar verboten. Rehe sowie Rot- und Damwild haben dann Schonzeit und Treibjagden bringen Unruhe in den Wald. Diese Regelung hatte das nunmehr von einem Grünen geführte brandenburgische Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz dieses Jahr außer Kraft gesetzt. Der Grund: Die Afrikanische Schweinepest naht.
Seit 2014 breitet sich die Afrikanische Schweinepest (ASP) in Osteuropa aus. Für Menschen stellt die Virusinfektion keine Gefahr dar. Aber für Haus- und Wildschweine ist der Erreger tödlich. Noch ist in Deutschland kein Fall bekannt geworden, doch kurz vor der Oder auf polnischer Seite wurde bereits ein verendetes Tier gefunden. Mit verschiedenen Maßnahmen versucht Brandenburg nun, einem Ausbreiten der Seuche zu begegnen. Ein 120 Kilometer langer mobiler Schutzzaun soll wandernde Wildschweine aufhalten. Und: Die Genehmigung für Treibjagden wurde bis zum 31. Januar verlängert. Jedes lebende Wildschwein weniger verringere die Gefahr, dass die Seuche eingeschleppt werde, sagt Carsten Leßner, Leiter der Obersten Forst- und Jagdbehörde im Umweltministerium.
Weil Hunde bei Treibjaden nicht zwischen dem Wild unterscheiden können, durften Rehe, Rothirsche, Damhirsche und Mufflonwild trotz Schonzeit mit bejagt werden, sofern die Abschusspläne noch nicht erfüllt sind. Nicht allen in der Jägerschaft gefällt das. Doch dazu später mehr.
Die Wildbestände in Brandenburg haben sich in den vergangenen Jahren explosionsartig vermehrt. Selbst der Naturschutzbund Nabu spricht von einer massiven Überpopulation. Das gilt nicht nur für Rehe und Rotwild, die in den Wäldern großen Schaden anrichten, sondern auch für Wildschweine. Landwirte klagen über erhebliche Ernteeinbußen durch die Rotten. Auch in den Berliner Wohlstandsvororten Kleinmachnow und Stahnsdorf, wo sich die Schwarzkittel auch gerne herumtreiben, reißen die Beschwerden nicht ab.
Über 90.000 Wildschweine sind 2019 in Brandenburg erlegt worden. „Das war die höchste Strecke der letzten Jahre“, sagt Referatsleiter Leßner. Jagdstrecke, das ist das Wild, das geschossen wird. Die tatsächliche Population in Brandenburg schätzt Leßner drei bis fünf Mal so hoch. Das wären 270.000 bis 450.000 Wildschweine.
In der Schorfheide ist gerade die Sonne aufgegangen. Auf dem Streckenplatz der Revierförsterei Reiersdorf sammeln sich 34 Jäger und acht Treiber um das Lagerfeuer und warten auf ihre Einweisung. Viele tragen Jacken oder Westen in Signalfarben, orangefarbene Basecaps oder haben ein grelles Band um die Hüte gewunden. Auch die Hunde, die das Wild mit den Treibern aufscheuchen sollen, haben leuchtende und bissfeste Schutzwesten an. Revierleiter Hans-Otto Vöcks, ganz in Grün mit Jägerhut, instruiert die Treiber. „Ingrid, deine Gruppe fängt von Osten an“, wendet er sich an die einzige Frau in der Runde. „Wir kommen von Westen.“ In der Mitte würden die Tiere dann zusammengedrückt.
Selbstverständlich sei nur bleifreie Munition zu verwenden, ermahnt Voecks die Jäger, die auf den Hochsitzen postiert werden. Und: „Achtet auf die Treiber und eure Schussbahn.“ Nie nach oben schießen, immer nach unten, sodass der bewachsene Boden als Kugelfang diene. Alles Wild ist bei dieser Treibjagd freigegeben, nur Füchse nicht und Bachen, die bereits „gefrischt“ haben.
Sieben bis neun Frischlinge wirft eine Sau. Laut Bundesjagdgesetz ist die Bejagung von Bachen verboten, solange diese ihre Jungen säugen. Erst wenn die Frischlinge das gestreifte Fell gegen dunkle Borsten getauscht haben, endet für das Muttertier die Schonzeit.
Mehl ist als Chef von 13 Revierförstern und zwei Revierförsterinnen bei der Treibjagd dabei. Der 53-Jährige ist einer von insgesamt 14 Oberförstern, die den Brandenburger Landeswald bewirtschaften. Insgesamt 1,1 Millionen Hektar Wald hat Brandenburg, etwa 25 Prozent sind Landeseigentum. Die Mehl unterstehende Oberförsterei Reiersdorf in der nördlichen Schorfheide umfasst 25.000 Hektar Jagdfläche.
Auf dem Hochsitz wird nur geflüstert. In der Ferne hört man das Ho! Ho! Ho! der Treiber. Ab und zu knallt es, auch die anderen Jäger sind aktiv. Was empfindet Mehl, wenn er ein Tier tötet? Man gewöhne sich daran, aber kalt lasse ihn das nicht, wispert der Oberförster. Von klein an sei er damit vertraut. Mehl ist in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen, hat in Dresden Forstwirtschaft studiert. Auch sein Vater und sein Großvater seien Jäger und Förster gewesen, erzählt er: „Sehr gute Schützen, besser als ich.“ Das Wichtigste bei einer Jagd sei, dem Tier so wenig Leid und Schmerz wie möglich zufügen. Am besten sei ein Kammer- oder Blattschuss. Das Tier müsse sofort tödlich getroffen liegenbleiben. Er übe das regelmäßig in Schießständen.
Trockenheit und Wild machen dem Wald zu schaffen
Die Trockenheit der letzten Jahre infolge des Klimawandels macht dem Brandenburger Wald ebenso so zu schaffen wie die Wildpopulation. Milde Winter ohne Eis und Schnee und ein großes energiereiches Nahrungsangebot auf den Feldern durch intensive Landwirtschaft haben dazu geführt, dass sich das Schalenwild stark vermehrt. Rehe und Damwild fressen die Knospen, sodass der Wald sich nicht so verjüngen kann, wie er müsste.
Grob vereinfacht unterteilt sich die Jägerschaft in zwei Gruppen. Auf der einen Seite die Traditionalisten, die das Brauchtum von der grünen Lodenjacke über die Sprache bis zu den Zeremonien hochhalten. Dazu gehören Trophäenjäger, die einen kapitalen Hirsch vor der Flinte haben wollen, denen der Zustand des Waldes ansonsten aber egal ist.
Auf der anderen Seite sind die Jäger, die gleichzeitig oftmals Förster sind. Ihnen ist Hege und Pflege des Waldes ein Anliegen und sie sorgen deshalb mit einer nachhaltigen Bejagung dafür, dass sich der Wald erneuern kann.
Die Mehrheit der Jägerschaft, die Traditionalisten, sind im Deutschen Jagdverband organisiert. Für die Verlängerung der Treibjagden hat der Verband das Umweltministerium heftig kritisiert. Von einem „hinterlistigen Schachzug, der auf dem Rücken der Wildtiere ausgetragen“ werde, war die Rede. Es sei immer der gleiche Konflikt, weist Referatsleiter Leßner die Kritik zurück: „Die Förster sagen, es gibt zu viel Wild. Die trophäeninteressierten Jäger sagen, es gibt zu wenig.“
Auch andere Bundesländer hätten in ihren Wäldern ein großes Wildproblem, erzählt Mehl auf dem Hochsitz. Nachgeladen ruht das Gewehr wieder auf der Brüstung. Aber Brandenburg sei das Schlusslicht. „Jedes zweite Verjüngungsbäumchen ist hier verbissen.“ Mehl ist Mitglied im Ökologischen Jagdverband (ÖJV). Dessen Selbstverständnis beschreibt der Landesvorsitzende Matthias Graf von Schwerin so: „Wir machen eine zeitgemäße Jagd, die an Naturschutzgesichtspunkten orientiert ist, und stellen uns der öffentlichen Diskussion.“ Mit dem Naturschutzbund Nabu und dem BUND ziehe der ÖJV an einem Strang.
Schräg hinter dem Hochsitz bewegt sich etwas. Ein Überläufer kommt zwischen den Bäumen hervorgespurtet. Dietrich Mehl springt auf und zieht durch. Tödlich getroffen bricht das Wildschwein zusammen. Jetzt liegen unten schon zwei tote Sauen. Der Oberförster wird ihnen später mit dem Jagdmesser die Bauchdecke „aufbrechen“, ihre Innereien herausholen und für den Wolf ins Unterholz werfen.
Der Schuss ist kaum verhallt, als eine Rotte die Anhöhe passiert. Die Tiere sind auf der Flucht vor den Treibern. 10, 15 Überläufer, auch mindestens eine Bache ist darunter. „Sie kriegen hier heute Action“, flüstert Mehl. Er wirkt selbst ein bisschen überrascht. Aber diesmal bleibt seine Repetierbüchse stumm. „Zu gefährlich“, sagt Mehl. Er wäre nicht sicher, wo die Kugel landet, falls er das Ziel verfehlt.
Hoffen auf den grünen Umweltminister
Seit November hat Brandenburg eine rot-schwarz-grüne Landesregierung. Die Novellierung des Jagd- und Waldgesetzes ist Teil der Koalitionsvereinbarung. In den letzten Jahren hätten die politisch Verantwortlichen viel geredet, sagt Christiane Schröder, Vorsitzende des Nabu Brandenburg. „Aber kaum etwas ist umgesetzt worden.“ Auf dem neuen, grünen Umwelt- und Landwirtschaftsminister Axel Vogel ruhe nun große Hoffnung, dass er den Waldumbau weg von reinem Kiefernwald hin zu Mischwäldern einhergehend mit einer nachhaltigeren Bejagung forciert.
Wildschweine fressen keine Knospen, durchwühlen die Erde aber nach Samen von Eichen und Buchen, reißen Pflanzen heraus, um an die nährstoffreichen Wurzeln zu kommen. Der Schaden, den sie in der Landwirtschaft anrichteten, sei noch ungleich größer, sagt Leßner.
Die Jäger hat der Referatsleiter nun aufgefordert, mehr Bachen zu schießen als bisher. Das erfordere ein Umdenken, denn: „Die Jagdethik besagt, man schießt immer das Schwächste und Kleinste.“ Wildschweine haben eine ausgeprägte Sozialstruktur. Ausgewachsene Keiler sind Einzelgänger. Die Rotte wird von einer erfahrenen Bache geführt. Auch wenn die Frischlinge längst Überläufer sind, wird die Leitbache oftmals verschont, weil sie für das Überleben der Gruppe wichtig ist – so die landläufige Meinung in der Jägerschaft.
Diese Philosophie, findet Referatsleiter Leßner, müsse sich ändern. „Die alten Leitbachen sind die Erfahrungsträgerinnen. Sie führen den Nachwuchs dahin, wo es lecker ist. Sie wissen, wo der böse Jäger auf dem Hochsitz ist.“ Die Intelligenz der Rotte müsse weggeschossen werden, formuliert es Leßner drastisch.
Wildschweine gehen immer dahin, wo sie gute Nahrung finden. Auch in den Villenvororten der Hauptstadt ist das so. In Kleinmachnow und Stahnsdorf ziehen manchmal ganze Rotten durch die Viertel. Um drei Uhr morgens sei er von Grunzgeräuschen und Getrappel aufgewacht, erzählt ein Biologe aus Kleinmachnow. 50 Wildschweine seien an seinem Haus vorbeigelaufen. „Das war ein beeindruckendes Naturerlebnis.“
Andrea Rennebarth, Fachbereichsleiterin der Hauptverwaltung Stahnsdorf, vermag solchen Erlebnissen nicht viel abzugewinnen. Für die meisten Anwohner seien die Wildschweine ein Riesenärgernis. Gärten und kommunale Grünlagen würden durchwühlt. Die Schäden seien immens. Selbst tagsüber zeigten sich die Schweine. Manchmal griffen sie Hunde an oder verursachten Auffahrunfälle.
Jagd mit Pfeil und Bogen?
Weil eine Bejagung mit scharfer Munition innerorts zu gefährlich wäre, hat der zuständige Jagdpächter letztes Jahr eine andere Methode vorgeschlagen: die Pfeil- und Bogenjagd. Rennebarth zufolge geht es dabei um moderne Hightech-Bögen mit hoher Durchschlagskraft. Allerdings müsse der Schütze auf mindestens 25 Meter an das Tier heran.
Der Bürgermeister von Stahnsdorf befürworte die Bogenjagd ausdrücklich, erzählt die Fachbereichsleiterin. Pfeile, die ihr Ziel verfehlten, seien für die Umgebung nicht so gefährlich wie herumschwirrende Kugeln. Die Bogenjagd ist in Deutschland verboten, das Landesgesetz von Brandenburg lässt aber eine Ausnahmegenehmigung zu.
Ho ho ho
Die Diskussion über das Vorhaben der Kommune war von einem beispiellosen Medienrummel begleitet. Die Tierschützer reagierten aufgebracht. Die Tiere seien durch den Pfeil nicht sicher tot. Von einer Rückkehr ins Mittelalter war die Rede. Die Umsetzung des Projekts scheiterte im Juni 2019 daran, dass bis zum Ende der Ausschreibungsfrist kein Institut die wissenschaftliche Begleitung übernehmen wollte. Evaluiert werden sollte, ob die Bevölkerung die Bogenjagd akzeptiert und wie sicher die Methode ist. „Es darf nicht sein, dass ein Wildschwein mit Pfeil im Bauch in Kleinmachnow rumrennt und noch Menschen verletzt“, sagt Referatsleiter Leßner. Unter dem grünen Minister werde man jetzt aber einen neuen Versuch starten, kündigte Rennebarth an. Nach dem Motto: „Neuer Minister, neues Glück“.
Bei einer Kunstausstellung im früheren Landarbeiterhaus in Kleinmachnow durften die Besucher schon mal üben. Kleine Bälle und Pfeile aus Kunststoff standen bereit, um eine Wildschweinrotte aus Blech zu beschießen.
Fangen in Lebendfallen
Am 13. Februar werde es ein Treffen zwischen Umweltminister Vogel und den Bürgermeistern von Kleinmachnow und Stahnsdorf geben, bestätigt Referatsleiter Leßner. Pfeil und Bogen könnten aber nur eine zusätzliche Jagdvariante sein. „Das Problem löst man damit nicht.“ Lebendfallen seien erfolgversprechender. In Stahnsdorf sind bereits mehrere Wildschweine in einer Lebendfalle gefangen und getötet worden. Kleinmachnow sucht laut Leßner noch nach einem Platz, wo die Falle aufgestellt werden kann.
18.000 Hektar umfasst der Berliner Wald, fast alles ist Staatsforst. Derk Ehlert, Wildtierbeauftragter des Berliner Senats, schätzt den Wildschweinbestand auf einige Tausend Tiere. Im waldnahen Zehlendorf oder in Gatow seien gelegentlich Rotten zu sehen. Bei allen Klagen, mahnt Ehlert, sollte man aber nicht vergessen, dass Wildschweine auch eine ökologische Aufgabe erfüllten: „Wenn sie den Boden auflockern, kommt das Regenwasser besser an die Wurzeln.“
Statt „Überpopulation“ benutzt Ehlert lieber den Begriff „gesundes Wachstum“. Die Jäger allein könnten das Problem nicht lösen. Die kalten Winter, in denen Frischlinge auch mal erfrieren, fehlten. Auch die Allgemeine Schweinepest habe früher in regelmäßigen Abständen in Ställen und freier Wildbahn gewütet. Aber nun seien die Hausschweine alle geimpft und die Pest ausgerottet.
Ist die Afrikanische Schweinepest also auch eine Chance? So möchte Ehlert sich nicht verstanden wissen. Die Afrikanische Schweinepest habe ganz andere Verbreitungswege als die allgemeine Seuche. Zurzeit erfolge das fast ausschließlich über infizierte Lebensmittel, etwa an Rastplätzen weggeworfene infizierte Wurststullen, die die Wildschweine fressen. Einmal infiziert, stecke ein Schwein dann andere an.
Auf dem Hochsitz kriecht die Kälte langsam in die Knochen. Raben krächzen, ab und zu ein Knall in der Ferne, sonst ist es still. Plötzlich rennt ein Überläufer am Hochsitz vorbei. Er blutet am Hinterteil. Ein Jäger hat das Tier „krankgeschossen“, wie es in der Fachsprache heißt. Mehl gibt ihm den Gnadenschuss. Kurz zucken die Läufe in der Luft, dann ist das Tier tot. Nach jeder Jagd werde eine Nachsuche mit Hunden gemacht, um krankgeschossene Tiere aufzuspüren, erklärt Mehl.
Auch ein Reh hat Mehl inzwischen erlegt, eine schlanke Ricke mit graubraunem Winterfell. In den dunklen aufgerissenen Augen spiegeln sich die Bäume.
Zwei Stunden sind vergangen. Die Uhr zeigt elf, die Treibjagd ist vorbei. Mit einem Jagdmesser und bloßen Händen bricht Mehl den Bauch der Sau auf. Nach der Jagd ist das Vorschrift, damit das Fleisch nicht schlecht wird. Ein Wildhändler wird die erlegten Tiere abholen. Aus dem Leib quellen endlose Darmschlingen, der Magen und andere Innereien. Mehl sucht nach etwas. „Direkt ins Herz“, sagt er sachlich, als er das blutige Organ in den Händen hält. Der Schuss hat den Lebensmuskel zerfetzt. Auch das Reh hat er ins Herz getroffen.
15 tote Schweine und drei Rehe sind das Ergebnis der Treibjagd. Am Streckenplatz sind die Tiere aufgereiht. Vier davon hat Mehl geschossen, so viele wie kein anderer. Den linken Arm in die Seite gestützt, blasen vier Jäger auf ihren Hörnern zum Halali. Dann überreicht Revierleiter Vöcks jedem erfolgreichen Schützen einen Fichtenzweig. So will es der Brauch. Auf dem Hochsitz hatte Mehl verraten, dass er der Tradition wenig abgewinnen kann. Dass das Tier sofort stirbt, sei das Entscheidende.
Mehl macht ein paar Schritte zur Seite. Vöcks geht ihm mit den sogenannten Fichtenbruch hinterher, besteht darauf, dass er ihn nimmt. Die anderen Jäger heften sich den Zweig an den Hut. Mehl versenkt seinen in der Jackentasche. Nur die grünen Spitzen gucken heraus.
Jagdneid sei ein großes Thema, auch das hatte Mehl auf dem Hochsitz verraten. Tausend Männerfreundschaften seien schon daran zerbrochen, dass einer einen größeren Rehbock geschossen habe als der andere. Mit diesen Kollegen hier sei das aber zum Glück nicht so.
Als einige der Jäger zur Nachsuche losgehen, ist der Oberförster schon nach Potsdam aufgebrochen. Beim NABU soll er einen Vortrag über ökologischen Waldumbau halten.
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