piwik no script img

Wiederwahl des BundespräsidentenRunde zwei für Steinmeier

Der alte und neue Bundespräsident Steinmeier will die Gesellschaft versöhnen – zieht aber auch rote Linien. Eindrücke aus der Bundesversammlung.

„Ich möchte dabei helfen, diese Wunden zu heilen“: Bundespräsident Steinmeier mit Frau am Sonntag Foto: Fabian Sommer/dpa

Berlin taz | „Tierisch aufgeregt“ sei sie, sagt Gloria Viagra. Es ist Sonntagmorgen kurz nach halb zehn, die Berliner Dragqueen steht mit wallendem roten Haar und in einem langen Umhang in Regenbogenfarben vor dem Reichstagsgebäude. „Rettet das Nachtleben“, steht auf dem Umhang. „Es ist eine Ehre, heute als Repräsentantin der LGBTIQ+-Szene dabei zu sein und einen bunten Punkt setzen zu können“, sagt sie. Die Berliner Linkspartei hat die Entertainerin und Politaktivistin für die Bundesversammlung, die heute den Bundespräsidenten wählen wird, nominiert.

Wegen Corona kommt die Bundesversammlung nicht, wie eigentlich vorgesehen, im Reichstag zusammen, sondern gegenüber im Paul-Löbe-Haus, wo mehr Platz ist. Unten im Foyer sind mit einem Abstand von jeweils anderthalb Metern 470 Sitzplätze angeschraubt, die anderen der insgesamt 1.472 Wahlleute sind auf den Galerien und in 16 Sitzungssälen in den vier Etagen darüber untergebracht.

Gloria Viagra sitzt ganz am Ende des Foyers, dort, wo kurz danach hinter einer Glaswand die Spree entlang fließt. Als der alte und neugewählte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am frühen Nachmittag seine Antrittsrede hält, verfolgt die Dragqueen diese auf einem Bildschirm in ihrer Nähe.

Steinmeier spricht über Demokratie, das große Thema, das bereits seine erste Amtszeit bestimmt hat. Zunächst aber richtet er klare Worte in Richtung Russland. Er sorge sich um den Frieden in Europa, sagt Steinmeier. „Wir sind inmitten der Gefahr eines militärischen Konflikts, eines Krieges in Osteuropa. Dafür trägt Russland die Verantwortung.“ Den russischen Präsidenten Wladimir Putin fordert er auf, „die Schlinge um den Hals der Ukraine“ zu lösen und warnt ihn zugleich: „Unterschätzen Sie nicht die Stärke der Demokratie.“

Steinmeier dankt Trabert

Demokratie brauche Kontroverse, sagt der Bundespräsident und beteuert, keine Kontroverse scheuen zu wollen. „Aber es gibt eine rote Linie, und die verläuft bei Hass und Gewalt.“ Steinmeier sagt aber auch: „Die Pandemie hat tiefe Wunden geschlagen in unserer Gesellschaft. Und ich möchte dabei helfen, diese Wunden zu heilen.“

Den Sozialmediziner Gerhard Trabert, den die Linkspartei als Kandidaten nominiert hat, bietet Steinmeier eine Zusammenarbeit im Kampf gegen Obdachlosigkeit an. „Sie haben mit Ihrer Kandidatur auf ein Thema aufmerksam gemacht, das mehr Aufmerksamkeit verdient: die Lage der Ärmsten und Verwundbarsten in unserem Land“. Das gefällt Gloria Viagra. Am Ende von Steinmeiers Rede steht sie gemeinsam mit den anderen Wahlleuten auf und klatscht.

Der SPD-Mann ist – wie erwartet – gleich im ersten Wahlgang gewählt worden. Insgesamt hat er 1.045 Stimmen bekommen, deutlich mehr als die Ampel an Wahlleuten hat. Auch die Union hatte zu Steinmeiers Wiederwahl aufgerufen und keinen eigenen Kandidaten aufgestellt. Gloria Viagras Stimme hat Steinmeier nicht bekommen. Sie hat für Trabert gestimmt. „Steinmeier finde ich auch nicht schlecht“, sagt die Dragqueen. Aber Trabert sei der bessere Kandidat. Er werfe ein anderes Licht auf die sozialen Zustände in diesem Land, was derzeit besonders wichtig sei.

Trabert, der eine Krawatte mit dem Aufdruck „Leave no one behind“ trägt, bekommt 96 Wahlleute-Stimmen, 25 mehr als die Wahlleute der Linkspartei ausmachen. Der AfD-Kandidat Max Otte erhält 140. Die AfD konnte 152 Wahlleute benennen, nach Angaben der extrem rechten Partei sollen von diesen aber nur 133 anwesend sein. Die Brandenburger Kommunalpolitikerin Stefanie Gebauer wählen 58 Delegierte und damit 30 mehr als die Freien Wähler, die die Physikerin ins Rennen schickten, an Delegierten haben. Gebauer ist die zehnte Frau, die für das höchste Staatsamt kandidiert, gewählt wurde noch keine von ihnen.

Auch Merkel darf wählen

Pünktlich um zwölf Uhr hatte zuvor Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) die Bundesversammlung eröffnet. Sie betont die „schweren Zeiten“ und spricht dann neben der Pandemie auch die Ukrainekrise, den Klimawandel und steigende Energiepreise an. „Scheinbar unversöhnlich stehen Menschen sich gegenüber, die unterschiedliche Einstellungen haben“, sagt Bas. Die Stimmung im Land, in Familien, in Freundeskreisen leide darunter.

Bas ruft die Bür­ge­r:in­nen auf, auch unter den erschwerten Bedingungen mutig zu sein und nicht die Nerven zu verlieren. In der Ukrainekrise fordert sie, alle Möglichkeiten der Diplomatie zu nutzen. „Jeder Krieg kennt nur Verlierer.“ Insgesamt seien Mut,wählt Zuversicht und ein respektvoller Umgang mit Andersdenkenden jetzt wichtig. „Lassen wir uns nicht einreden, dass wir anstehende Probleme nicht lösen können.“

Die Bundesversammlung kommt alle fünf Jahre zusammen, um ein Staatsoberhaupt zu wählen. Zu ihr gehören die derzeit 736 Abgeordneten des Bundestags und die gleiche Anzahl von Wahlleuten, die die 16 Landtage entsenden. Am Sonntag waren unter anderem Exkanzlerin Angela Merkel dabei, dazu zahlreiche Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen und Landtagsabgeordnete, aber auch „verdiente Bürgerinnen und Bürger“, wie Bas betonte.

Zu ihnen gehörten der Astronaut Alexander Gerst, der Pianist Igor Levit und die Biontech-Mitgründerin und Impfstoff-Entwicklerin Özlem Türeci. Eine verdiente Bürgerin genannt zu werden, freut auch Gloria Viagra. „Endlich mal eine Anerkennung meines langen Engagements.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Das einzig Gute an der Wahl von Steinmeier ist, dass nicht noch ein weiterer Bundespräsident mit einer hohen Ruhestandsversorgung bezahlt werden muss.

    • @Senza Parole:

      Müssten wir dann nicht besser jemand wählen mit mehr Einsparpotential? z.B. Schäuble. Dessen Rentenansprüche müssen schon übel hoch sein.

  • Ich weiß echt nicht, ob ich Steinmeier fünf weitere Jahre ertrage.

    Eigentlich ist es ja egal, wer den Grüßaugust macht. Aber Steinmeier ist immer so schrecklich betroffen, wenn's mal in der Gesellschaft knirscht, und wenn man dazu weiß, dass der Mann die Agenda2010 maßgeblich zu verantworten hat, ist sein moralinsaures Auftreten doppelt schwer auszuhalten.

    Und wieso soll seine Wiederwahl ein "Fest der Demokratie" gewesen sein? Mein Gott, da haben sich im Vorfeld SPD, Grüne, FDP und CDU aus strategischen Gründen auf einen Kandidaten geeinigt, und der wurde dann gewählt. Was für ein Fest!

    • @zmx52:

      Ich habe gestern fast das ganze Prozedere und die gesalbten Reden angeschaut. Ich war danach ziemlich angeekelt, wie die bürgerliche politische Elite sich selbst erhöht und feiert.

    • @zmx52:

      Sehr schön mein Empfinden zusammengefasst!

    • @zmx52:

      Jung - is doch alles em Ordre! Newahr.

      & Sach mal so:



      Was die Chefinnen di taz mit Hausmeier JAF JAF voran! Gellewelle!



      (das was F-WS (“Gerd - der kann alles!“) einst GazPromGerd war! (wahr gesprochen Brigitte Zypries!) Stimmt 🤮.



      Von&mit “Demokratie“ halten/meinen.Wollnichwoll!



      Is doch lupenrein & haarklein nachzulesen & liegt doch bei sojet Lück de Journaille‘ista klar auf der Hand - wa!



      Denn. Lück - “Wolfgang Schäuble ist Chefinnensache“ - die sich nicht entblöden - Einen derart schlimmen Finger - & das gezeigt weiß Gott mehrfach - der sich sowas von brutalstmöglich als Verfassungsfeind => Briefumschläge KohlBimbes-System => glatter Verfassungsbruch =>finanziert & gefingert hat! Mit dem völlig korrekten Nickname als IM “Mielke auf Rädern“ © Oti Fischer! Sojet - der xxlfach mit Verfassung&Demokratie Fußball gespielt hat! Remember => Newahr!



      ”Wer anderes von mir verlangt. Dann tret ich zurück“ Grexit vs Angie!



      Sojet zum taz-Plausch - über Demokratie - ausgerechnet - wa! - Einzuladen! 🙀😡



      Geht’s noch? Alle Latten am Zaun?!

      kurz - Der Bayernkurier Immergriiens hat damit mühelos das Niveau suboptimal einer Fischeinwickelgazette erreicht!

      Na Mahlzeit



      “ taz🐾sachen : Schäuble ist Chefinnensache



      “… Der CDU-Politiker war Unionsfraktionschef und Bundesminister in wechselnden Kabinetten, bis 2017 für Finanzen. Seit 2017 ist er Bundestagspräsident. Er spricht gerne über Formen von Demokratie, die über die Geltung solcher Ämter hinaus funktionieren.



      Inwiefern – das wird als taz-Chefinnensache zur Sprache gebracht.“*

      kurz2 - Du packst dich an die Nase!



      Und denkst ”Das glaub ich jetzt nicht!“



      Doch obzwar: Es ist wahr! Nur zu wahr •

      unterm— servíce damitses Glauben —*



      taz.de/!5785633/

      So geht das © Kurt Vonngut

  • Er war ein schlechter Außenminister und ein schlechter Bundespräsident, weil er ausländisches Blut vergossen hat,



    ohne Realpolitik zum maximalen Nutzen



    aller zu betreiben, damit alle sich ernst genommen und respektiert fühlen.

    Er ist ein Freihandelsbefürworter, trotz der enormen Umweltschäden



    und war für eine Aufweichung der Sicherheitsstandards (z.B. Fukushima Lebensmittelimporte) in vielen und nun auch in militärischen Bereichen.

    Die Neutralität der Ukraine ist wichtiger als ihre Freiheit irgendwelchen Verteidigungsbündnissen beizutreten.



    Denn einschlagende Atombomben wegen systembedingter Irrtümer aufgrund von zu kurzer Vorwarnzeit, machen die Leute in den Atomsilos



    und in den militärischen Entscheidungszentren irre. Der Mensch kann eben nur in einigen Minuten richtige Entscheidungen in Fragen der Metropolenvernichtung treffen und nicht in zehntel Sekunden.

    Die Erdgaspipelines durch die Ostsee sind technisch nicht zu verantworten,



    da sie enorme Seebeben auslösen und die gewaltigen Chemiewaffenstätten und konventionellen Bomben zur Großdetonation bringen können, ebenso wie Giftmüllschiffe und Schiffswracks mit vollen Tanks.



    Und genauso rein technisch betrachtet, ist die Vorwarnzeit für die Hochgeschwindigkeitsflugkörper zu kurz. Die Russen wollen sich nur verteidigen und nicht jeden Tag im Großalarm sein. Die NATO kann auch nicht innerhalb von einigen Minuten Angriffe sicher erkennen. Die Kriegsvorbereitungen Putins sind auch für die NATO nicht eindeutig klassifizierbar und sie haben Tage, gar Wochen Zeit und nicht nur 5 Minuten.



    Wollen wir einen Atomkrieg riskieren, weil ein paar Unverbesserliche die Bündnisfreiheit der Ukraine höher gewichten als die Prophylaxe vor atomarer Vernichtung der Gesamtbevölkerung Europas? Die Ukraine hat ein Recht auf Wohlstand und auf



    Freiheit des Individuums, auf Rechtsstaatlichkeit, aber sie muss sich als Staat dem Sicherheitskonzept der Welt fügen, um die Auslöschung aller zu verhindern.

  • Warum fahren Schröder und Steinmeier nicht nach Moskau und bringen Putin von seinen Kapriolen ab. Sollten sie nichts erreichen, bleiben sie am besten gleich dort.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Der alte und neue Bundespräsident Steinmeier will die Gesellschaft versöhnen...“



    Er könnte ein Beispiel geben und sich mit Murat Kurnaz treffen. Vllt. auf der Berlinale?



    taz.de/Anwalt-Dock...t-Kurnaz/!5831101/

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Warum? Kurnaz hat seine 1. Frau sitzen lassen um in Pakistan beten zu lernen.Er hatte sich für die türkische Staatsbürgerschaft entschieden , die Deutsche Staatsbürgerschaft hat er nie beantragt. Seinen Ausbildungsplatz hat er in die Tonne getreten. Diesen Weg nehmen jedes Jahr hunderte Jugendliche. Kurnaz sollte lernen für sein Verhalten Verantwortung zu übernehmen um aus der Opferrolle zu kommen. Keine Ahnung, ob er inzwischen die Deutsche Staatsbürgerschaft beantragt hat und inwieweit sich die Türkei für seine Freilassung eingesetzt hat.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Danke - anschließe mich.

  • Na Servus

    Schade. Er war nicht zu verhindern •

    Na Mahlzeit. BUT - 😷😡 -

    unterm—— Hoffe doch sehr —-



    Sein Klempner in der Steinmeier/Maaßen-Affäre! Gelle



    Der sattsam bekannte Rechtsausleger & - sodann with F-WS help - Öberschter Schlapphut! Newahr.



    HANS-GEORG MAASSEN - GEHÖRT ZU DEN ERSTEN GRATULANTEN! - 🤢🤮🤑 -



    ENTSCHULDIGUNG - DANN IST JA ALLES GUT - WA!

    kurz - “ Anwalt Docke über Murat Kurnaz: „Dieser Fall hat mich verändert“



    Bernhard Docke kämpfte für die Freilassung von Kurnaz aus Guantánamo. Das wurde verfilmt. Die Premiere ist am Tag vor der Wahl Steinmeiers – ausgerechnet.“



    taz.de/Anwalt-Dock...t-Kurnaz/!5831101/

    kurz2 - PASCHD SCHO - Seminarjungspund - UNFASSBAR. NEWAHR.



    NORMAL - 👹 -

  • Padmé Amidala::



    Und so geht die Freiheit zugrunde - mit donnerndem Applaus

    Dieser Mann ist eine Schande für Deutschland. Wie man so jemand wählen kann werde ich nie begreifen. Das ist eine Bankrotterklärung für eine westliche Demokratie.

  • Eine Farce hinsichtlich Wahlprocedere und inhaltlicher Ausgestaltung- bitte schafft dieses Amt ab!