Wiederholung akzeptieren: Neues Jahr, gleicher Film

Das Ende des Jahres ist dazu da, Vorsätze zu formulieren, um sie einige Wochen später zu brechen. Unser Autor widmet dieses Jahr den Wiederholungen.

Menschen baden bei winterlichen Temperaturen in einem See

Alle Jahre wieder: Neujahrsschwimmen im Schleichersee bei Jena, Thüringen Foto: Andrew Mathews/dpa

Weil meine Kolumne so schön auf den Jahresbeginn datiert ist, wollte ich eigentlich über Vorsätze zum neuen Jahr schreiben. Weil die mich jedes Jahr aufs Neue beschäftigen: Immer geistert da ein Wunsch nach Veränderung herum, dem ich nicht traue, weil ich ihn unrealistisch, selbstoptimierungswahnsinnig oder gleich verlogen finde, weshalb ich ihn verwerfe, nur um danach festzustellen, dass ich es ganz ohne auch nicht schaffe, mich für die Zukunft zu motivieren.

Weil ich mich vor dem Schreiben vage daran erinnert habe, dass ich manche Gedanken doch irgendwann schon einmal hatte und deshalb bereits verschriftlicht haben könnte, habe ich zur Sicherheit im Archiv nachgeschaut. Und siehe da, eine Kolumne vom Januar des vergangenen Jahres mit dem ironisch übersteigerten Titel „Vorsätze sind für Systemopfer“. Das brachte mich dann aber zum Glück auf das Thema, über das ich nun ersatzweise schreibe: die Wiederholung.

Denn die ist ja das eigentliche Problem, das über allem schwebt, was jetzt zum Jahreswechsel an Unbehagen und inneren Konflikten hochkommt. Die Neujahrsvorsätze sind dabei nur ein Element des immergleichen Zyklus namens Jahr, auf das dann früher oder später weitere Elemente wie zum Beispiel Nichteinhaltung der Vorsätze, Enttäuschung und Frust folgen. Oder man zieht vielleicht doch mal ein Vorhaben durch und freut sich, aber merkt dann, dass sich trotzdem nicht auf einmal alles im Leben verändert.

Thriller wird zum Horrorfilm

Dann gibt einem die Realität eine laut klatschende Nackenschelle. Und bevor man die geplatzten Hoffnungen verarbeiten konnte, erwischt man sich beim Herbstspaziergang wieder dabei, wie man erst beiläufig und dann ganz explizit über neue Neujahrsvorsätze fantasiert. Es sei denn, man hat das Hoffen nach vielen Wiederholungsschleifen grundsätzlich aufgegeben, was kurzfristig Entlastung versprechen mag, langfristig aber überhaupt nicht gesund ist.

Neues Jahr, gleicher Film – nur dass der Film immer noch ein bisschen brutaler wird, sich von einem in Teenagerjahren schon gruseligen Thriller zum schrecklichen Horrorfilm im erwachsenen Blick auf die Welt und sich selbst ausbaut. Neu ist höchstens, dass mit jedem Jahr noch eine weitere gesellschaftliche Krise hinzukommt oder zumindest noch ein weiterer verheerender Krieg. Wer soll das auf Dauer aushalten?

Der Umgang mit dieser unbequemen Frage, ist natürlich auch etwas, das sich wiederholt. Während die B-Promis der Nation ihre unkreativen und naiven Neujahrswünsche auf Porträtaufnahmen ihrer selbst kritzeln und diese dann online als Kacheln in Kalenderspruchoptik verbreiten, kommt von linker Seite genauso verlässlich der jährliche Hinweis auf den italienischen Marxisten Antonio Gramsci, der geschrieben hat, dass Jahreswechsel „zum Verlust des Sinns für die Kontinuität des Lebens und des Geists“ führten.

Dieser Gedanke ist über hundert Jahre alt. Den Jahreswechsel gibt es als wirkmächtiges Konzept immer noch. Wahrscheinlich wird er sich auf absehbare Zeit auch nicht dekonstruieren lassen. Deshalb habe ich mir für 2024 vorgenommen, die Wiederholung nicht mehr abzulehnen, sondern mich voll und ganz auf sie zu einzulassen, mich ihr hinzugeben. Vielleicht lässt sich das Neue ja aus ihr heraus umarmen. Und wenn ich mich in dieser Kolumne nun wiederholt habe, dann ist das aus diesem Grund natürlich so gewollt.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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