Wiederauferstehung des Pay-TV: Bedingungslose Liebe ist anders
Vor acht Jahren war Pay-TV in Deutschland am Ende. Heute ist Marktführer Sky erfolgreicher als je zuvor – aber es gibt auch viel Kritik an dem Sender.
BERLIN taz | Scheiß Premiere! Es war Anfang der 2000er Jahre: In der Fußballbundesliga wurden die Spieltage immer mehr zerbröselt, auf Kosten der traditionellen 15.30-Uhr-Anstoßzeit. Die Zusammenfassung der Spiele im frei empfangbaren Fernsehen sollte weiter nach hinten rücken – und in Deutschlands Stadien brüllten die Fans ebenjene Worte: „Scheiß Premiere!“
Der Pay-TV-Sender aus Unterföhring drängte auf mehr Exklusivität – ohne Rücksicht auf die Zuschauer. Im September 2005 forderte der damalige Premiere-Chef Georg Kofler die Abschaffung der „Sportschau“ in der ARD.
„Es geht nicht, dass direkt nach der Übertragung im Pay-TV die Spiele im Free-TV gezeigt werden. Wenn daran nichts geändert wird, werden wir weniger Geld bezahlen“, sagte Kofler dem Männermagazin GQ. Sein Sender fuhr einen harten Spielverderberkurs. Spät erkannten das auch die Verantwortlichen der Deutschen Fußball Liga. Drei Monate später, am 21. Dezember, verlor Premiere die Ausschreibung um die Bundesliga-Übertragungsrechte.
„Pay-TV hat sich nicht durchsetzen können. Es erreicht lediglich fünf Prozent der Bevölkerung“, hatte die Bundeszentrale für politische Bildung schon zuvor im „Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland“ trocken festgestellt. Kurz vor Weihnachten 2005 schien dieser Satz bewiesen worden zu sein, Premiere war am Tiefpunkt. Frohes Fest!
Und heute, acht Jahre danach? „Scheiß Sky!“ ist in den Kurven nicht zu hören. Was hat sich in der Zwischenzeit getan, außer dass sich das Unternehmen umbenannt hat – und sich zwei Silben einfach nicht melodisch schmettern lassen?
Livespiele auf allen Kanälen
„Das Thema ist bei vielen Fans nicht mehr so dringlich“, sagt Tim Jürgens, stellvertretender Chefredakteur des Fußballmagazins 11 Freunde. Spätestens mit der letzten Verlängerung der Übertragungsrechte, als sich Sky für 486 Millionen Euro die Übertragung aller Livespiele auf allen Kanälen sicherte, habe der Pay-TV-Sender für deutliche Verhältnisse gesorgt. Jeder weiß nun: An denen kommt im Fußballgeschäft keiner mehr vorbei.
Gleichzeitig schuf Sky klare Strukturen: ein Freitagsspiel, fünf am Samstagnachmittag, eins am Abend, zwei am Sonntag. In England oder Spanien sind die Spieltage hingegen so zerfasert, dass sie kaum noch als solche zu erkennen sind. Das weiß inzwischen auch hier jeder Fußballfan. Der Protest für einen einheitlichen Spieltermin ist verstummt. Auch weil eine Generation heranwächst, „die mit Pay-TV, Fußballgucken in Kneipen und Public Viewing groß wird“, sagt Jürgens.
„Die Wahrnehmung hat sich verändert: Sky ist cool“, sagt Katharina Behrends. Seit Anfang 2008 ist sie Geschäftsführerin der NBC Universal Global Networks Deutschland, dessen sechs Pay-TV-Kanäle via Sky, aber auch über Kabelnetzbetreiber wie Unitymedia und Kabel Deutschland zu empfangen sind. Behrends ist davon überzeugt, auch hierzulande endlich „den Durchbruch geschafft“ zu haben. „Früher habe ich neidisch auf meine Kollegen in England, Frankreich, Italien und Spanien geguckt“, sagt sie. Das waren die Sehnsuchtsmärkte – ohne ernstzunehmende, frei empfangbare Konkurrenz, mit vielen Kunden und hohen Umsätzen.
Vor Kurzem hat Behrends dem deutschen Pay-TV-Markt den 78. Sender hinzugefügt: den Universal Channel. Mehr reine Pay-TV-Programme gab es nie. 2003 waren es noch 26. Und NBC Universal hat bei der Neugründung laut Behrends „kräftig investiert“, denn „Serien sind teuer im Einkauf“.
Serien als Kaufargument
Ebenjene Serien scheinen mittlerweile zum zweiten – martialisch „Killer Feature“ genannten – Kaufargument pro Sky geworden zu sein. „House of Cards“, „Breaking Bad“, „Game of Thrones“ und diverse andere sind nahezu unmittelbar mit der Erstausstrahlung in den USA auch in Deutschland zu sehen, zumindest im Originalton. Natürlich in HD, teilweise über Sky Anytime und das Mobil-Angebot Sky Go auch zu einem späteren Sendetermin abrufbar.
Im Oktober feierte sich das deutsche Pay-TV auf den Münchener Medientagen. Alles steigt: die Abozahlen, die Umsätze, der Werbeertrag. Alles. Der Lobbyverband der privaten Fernsehsender VPRT hat vor Kurzem nachgezählt: Mehr als sechs Millionen Kunden haben die Pay-TV-Plattformen von Sky, Kabel Deutschland, Unitymedia und Deutscher Telekom mittlerweile gemeinsam. 2008 waren es noch zwei Millionen weniger.
Sky hat 3,53 Millionen Abonnenten und gewann allein in den drei Monaten Juli bis September dieses Jahres 166.000 Kunden netto hinzu. Und auch ein anderer fürs Pay-TV eminent wichtiger Indikator stieg in den letzten Jahren deutlich: der Umsatz pro Kunde und Monat. Der lag gut ein Jahr nach dem Verlust der Bundesligarechte bei Premiere bei nur noch 22 Euro, mittlerweile weist Sky fast 34 Euro aus. Deutschland ist zum Pay-TV-Markt geworden.
Doch es ist wohl nicht nur die eigene Anziehungskraft, die die Zuschauer dazu bewegt, zusätzliches Geld fürs Fernsehen zu zahlen. „Der Qualitätsverlust im Free-TV treibt die Zuschauer ins Pay-TV“, sagt Behrends. Ihr Sender 13th Street ist das erfolgreichste Pay-TV-Programm im Fiction-Bereich, mit 0,4 bis 0,5 Prozent Marktanteil durchschnittlich, wie Behrends sagt. Der ebenfalls von ihr verantwortete Syfy-Kanal liegt knapp dahinter.
„Wir sehen keine große Zukunft im Free-TV“, sagt Behrends, der Werbemarkt wachse halt nicht wesentlich. Seit der Jahrtausendwende sind die Nettowerbeerlöse der Sender um fast 700 Millionen Euro auf gut 4 Milliarden gesunken. Die Umsätze von Pay-TV und bezahlten Videoabrufen haben sich im gleichen Zeitraum auf mehr als 2 Milliarden Euro verdreifacht. Allein für 2013 erwartet der VPRT ein Wachstum von 11,5 Prozent.
Bei Sky können sie derzeit vor Kraft kaum laufen. Nicht ohne Stolz verwies Sky-Vorstandschef Brian Sullivan vor Kurzem in der Süddeutschen Zeitung darauf, in den letzten sechs Jahren ein Geschäftsmodell repariert zu haben, „das zwanzig Jahre lang nicht funktioniert hat“. Vor knapp sechs Jahren war Rupert Murdoch groß eingestiegen bei Premiere. 2009 nannte er den Laden in Sky Deutschland um.
Organisches Wachstum
Und seitdem spielen auch Zeit und eine Art organisches Wachstum den Pay-TV-Anbietern in die Hände: Mehr Abonnenten ziehen mehr Abonnenten nach sich. Sky verkaufe ein Produkt, das nur schwerlich am Telefon den Kunden schmackhaft gemacht werden könne, sagt Oliver Lewis, Vice President Strategy bei Sky Deutschland: „Man muss es bei einem Bekannten im Wohnzimmer sehen, das ist zehnmal effektiver.“ Dennoch haben trotz des Wachstums hierzulande noch immer nur 15 Prozent aller Fernsehhaushalte ein Pay-TV-Abo. In Großbritannien sind es 54 Prozent, in den USA gar 92. „Da ist noch Luft nach oben“, sagt Katharina Behrends. Sie schätzt, dass in fünf Jahren jeder Dritte in Deutschland ein Pay-TV-Abo haben wird.
Doch so viel Kraft macht schnell unsympathisch, wenn man die Muskeln zu sehr spielen lässt. Im Sommer hob Sky die Abopreise für viele Fußballkneipen deutlich an. Wirte in ganz Deutschland schimpften über Preiserhöhungen um 70, 90 oder gar 150 Prozent. Der Pay-TV-Sender hatte ein neues, kaum durchschaubares Preissystem erdacht, das nicht nur die Größe einer Bar, sondern auch die Bevölkerungsdichte, Kaufkraft und Sportaffinität in der jeweiligen Region in die Berechnung einbezieht. Wirte zahlen nun zwischen 299 und 959 Euro monatlich – ohne Steuern und mit nur einem Receiver. Viele Kneipen drohten mit der Kündigung ihrer Verträge.
Auch den Bestandskunden wurde zu spüren gegeben, welche Macht man beim Pay-TV-Sender wieder zu haben glaubt: Als Sky zuletzt weitere hochauflösende Sportkanäle ins Angebot aufnahm, waren diese für Kunden, die ein rabattiertes Abo beziehen, gesperrt. Man habe als Kunde schließlich keinen Sender verloren, sondern noch immer das Angebot wie bei Vertragsabschluss, so die Begründung. Nur die anderen Abonnenten hätten jetzt halt mehr.
Werbung ohne Filmunterbrechung
Und auch über die Werbepenetranz bei Sky häufen sich die Klagen. Denn anders als Nicht-Pay-TV-Zuschauer häufig denken, sind die Bezahlprogramme mitnichten werbefrei. Lediglich die Unterbrecherwerbung während eines Films oder einer Serienepisode findet nicht statt, ansonsten nutzt Sky gerade bei den Fußball-Livespielen inzwischen jeden Platz aus: Sogar während der Übertragungen werden Banner eingeblendet.
Immerhin scheinen sie bei Sky zu merken, dass die Beziehung zwischen den Zuschauern in Deutschland und dem Pay-TV-Platzhirschen noch immer fragil ist: Mittlerweile hat sich Sky mit dem Gaststättenverband Dehoga auf einen Kompromiss in Sachen Fußballkneipen geeinigt: Wer bei Dehoga Mitglied und schon mindestens seit September 2012 Sky-Abonnent ist, kann bis zu 400 Euro Rabatt bekommen – pro Jahr. Auch den nörgelnden Kunden, die auf HD-Sender verzichten müssen, kommt Sky entgegen – allerdings nur, wenn sie wirklich viel und geduldig nörgeln.
Sky muss aufpassen, nicht wieder in den Spielverderbermodus zu fallen, sonst ist das über sechs Jahre von Herrn Sullivan so mühsam reparierte Geschäftsmodell ganz schnell wieder kaputt. Denn bedingungslose Liebe ist anders.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern