Wie linke AktivistInnen alt werden: „Am jugendlichen Gestus festhalten“
Rehzi Malzahn hat für einen Interviewband linke AktivistInnen zum Älterwerden befragt. Sie wendet sich damit gegen exklusive Identitätspolitik.
taz: Frau Malzahn, in Ihrem Interviewband „dabei geblieben“ erzählen linke AktivistInnen vom Älterwerden und Weiterkämpfen. Sie selbst waren früher in linksradikalen Kontexten unterwegs. Heute sind Sie 36. Sind Sie dabeigeblieben?
Rehzi Malzahn: Ich stehe mit einem Bein im linken Milieu. Mit dem anderen stecke ich in Bewegungen, die sich etwa mit alternativen landwirtschaftlichen Anbaumethoden beschäftigen. Die Gesellschaft verändern? Die Frage ist für mich heute vielschichtiger und nicht so eng definiert, dass nur linker Aktionismus und eine Demonstrationskultur das könnten.
Sie schreiben im Vorwort, wie Sie sich von der linken Bewegung, die in Deutschland hauptsächlich eine Jugendbewegung ist, mit zunehmendem Alter entfremdet fühlen. Wieso?
Die linke Szene ist natürlich ein sehr breites Feld, aber mit einigen Ausnahmen gibt es doch einen gewissen theoretischen und diskursiven Raum, in dem man sich bewegt. Über diesen Kanon hinaus findet kein Austausch statt. Ich erlebe die linke Szene als ein sehr abgegrenztes Milieu, das sich über einen subkulturellen Habitus und eine bestimmte Form von Aktivismus definiert. Auf viele drängende Fragen der Zeit gibt sie keine Antworten.
An einer Stelle steht der Satz „linke Politik ist eine Praxis, eine Haltung, keine Subjektidentität“.
Linke Politik, verstanden als Subjektidentität, heißt, bestimmte Ideologien zu vertreten, bestimmte Kleidung zu tragen, bestimmte Orte aufzusuchen. Sie nimmt Menschen nicht als vielschichtige, widersprüchliche Wesen wahr. Es kann aber sein, dass du trotzdem mal Fleisch isst, in den Urlaub mit dem Flugzeug fliegst oder mit jemand befreundet bist, der sexistische Witze macht. Man kann nicht in jeder Sekunde seines Lebens identisch mit dieser linken Identität sein. Das ist ein Anspruch, an dem viele Menschen zerbrechen.
Ihr Buch fasst 25 Interviews. Gewisse Gruppen, wie etwa Tierrechtler oder Umweltschützer, sind nicht vertreten. Wer kommt zu Wort?
Ich habe Autonome, GewerkschafterInnen, aber auch etwa Menschen aus der Anti-AKW-Bewegung interviewt. Mir war es wichtig, dass Menschen zu Wort kommen, die unterschiedliche Biografien haben, verschiedenen Geschlechts und Alters sind. Die Auswahl genügt aber keinen wissenschaftlichen Kriterien.
36, lebt in Köln, Studium der Geografie vor 15 Jahren in der Hochzeit der Globalisierungsbewegung abgebrochen, um Vollzeitaktivistin zu werden. Seitdem prekäre Jobs als Journalistin und im Bereich Mediation.
Viele der Berliner AktivistInnen sind in Bewegungen organisiert, die gegen Vertreibung und steigende Mieten protestieren, wie „Zwangsräumung verhindern“ oder „Kotti&Co“. War das Zufall oder tummeln sich hier viele Ältere?
Es ist halb Zufall und halb nicht. Ich bin durch Kontakte auf die InterviewpartnerInnen in Berlin gestoßen. Andererseits hat es mich auch in Köln erstaunt, dass zu sozialen Fragen, wie knapper Wohnraum, steigende Mietpreise und Hartz IV, viel mehr ältere Menschen unterwegs sind als etwa vergleichsweise in der Antifa.
Welche Antworten geben Ihre InterviewpartnerInnen auf die Frage, wie sich ein „erwachsener Widerspruch zur Gesellschaft“, wie Sie es nennen, gestalten lässt?
Eine linke Politik, die sich ständig abgrenzen und beweisen muss, ist für mich eine kindliche. Viele halten an einem jugendlichen, rebellischen Gestus fest. Ein wichtiges Merkmal von einem erwachsenen Widerspruch zur Gesellschaft ist, zu sehen, dass keine Handlung oder Aktion eindeutig zu interpretieren ist. Nur weil jemand CSU wählt, heißt das nicht automatisch, dass er ein Rassist ist; vielleicht engagiert er sich sogar nebenbei in der katholischen Kirche für Flüchtlinge.
Buchvorstellung und Diskussion am 29.3., 19:30 Uhr, B-Lage, Berlin-Neukölln und 30.3., 19:00 Uhr, Regenbogenfabrik, Berlin-Kreuzberg
Tut ein generationsübergreifender Austausch in der linken Szene in Berlin und anderswo not?
Ich hoffe, mein Buch trägt dazu bei, dass sich jüngere und ältere AktivistInnen treffen und gegenseitig Fragen stellen.
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