Widerstand gegen Hautaufhellung: Dark is beautiful
Das Schönheitsideal wird weltweit von rassistischer Körperpolitik geprägt. Doch viele Frauen wehren sich heute gegen den Druck.
Zuletzt lag der Jahresumsatz von hautaufhellenden Cremes allein in Indien bei 450 Millionen Dollar. Doch auch in Ostasien und afrikanischen Ländern boomt der Markt. „Am schockierendsten ist schlicht, dass Hautaufhellung auch im Jahr 2020 in allen Gesellschaftsschichten noch so weit verbreitet ist“, sagt die indische Journalistin Kinita Shenoy im Gespräch mit der taz. Die Herstellerfirmen aber sind noch lange nicht zufrieden.
Das bekam Shenoy als damalige Chefredakteurin der sri-lankischen Ausgabe der Cosmopolitan zu spüren. Das erste Päckchen, das sie von Unilever zugesandt bekam mit Tuben, deren Inhalt die Haut weiß zu machen versprach, ignorierte sie noch, erzählt sie. Das zweite habe sie nach Hause geschickt bekommen. „Ich wurde gefragt, ob ich die Cremes auf meinem privaten Instagram bewerben könnte, und ich antwortete: Nein.“
Auf dem hauseigenen Instagram-Kanal bedankte sich Cosmopolitan für das Präsent. Wie sie selbst zu den Cremes stand, postete Shenoy auf ihrem privaten Account: „Haben wir den Punkt nicht überschritten, an dem wir wunderbaren, melaninreichen Asiatinnen sagen, sie sollten ihre Haut weißer aussehen lassen?“, kommentierte sie das „Geschenk“ – was Folgen haben sollte. Der Konzern habe daraufhin Druck ausgeübt, sagt Shenoy. International bekannt wurde der Vorfall durch eine Veröffentlichung von Buzzfeed News. Nachdem Mitarbeitern von Unilever Shenoys Posting auffiel, drohte der große Anzeigenkunde abzuspringen, doch sie blieb bei ihrer Meinung: „Mädchen nicht zu sagen, sich bleichen zu lassen.“
Persis Sidhva, Frauenrechtsanwältin
Letztendlich trennte sich Kinita Shenoy im Mai 2018 von Cosmopolitan, die eine „enge Beziehung“ zu Unilever pflege. Laut Buzzfeed soll es im Nachgang zu einem „konstruktiven Gespräch“ zwischen Unilever und Cosmopoltian Sri Lanka gekommen sein. Ein Sprecher soll sich für die „Fehleinschätzung“ entschuldigt haben.
Eine Entschuldigung habe sie selbst bisher nicht erhalten, sagt Shenoy. Sie hat ihre Kündigung als Chance wahrgenommen, doch zufrieden ist sie nicht: „Ich habe das Gefühl, dass das Thema Whitening-Cremes gerade im Westen oft unterschätzt wird, weil weiße Menschen einen gebräunten Teint haben wollen und braune Menschen“ – viele SüdasiatInnen wählen „braun“ als Selbstbezeichnung –, „weiß sein möchten“, sagt Shenoy. Sie selbst hat in Mailand und Bremen studiert und wehrt sich dagegen, dass die eigene Hautfarbe nicht „normal“ sei.
Frauen andernorts erleben sogar Gewalt, wenn sie als nicht weiß genug wahrgenommen werden. Wie weitreichend das sein kann, erzählt die Frauenrechtsanwältin Persis Sidhva von der Mumbaier Beratungsstelle Majlis. „Bodyshaming und Schikane aufgrund der Hautfarbe sind Arten von psychischer Gewalt, denen Frauen ausgesetzt sind, die sich bei uns melden“, sagt Sidhva. „Die Ehe gilt als Meilenstein für Mädchen“, und das beginne lange vor der Hochzeit. In Heiratsanzeigen werde neben der Frage nach sozialer Zugehörigkeit oft explizit nach hellen Ehepartnerinnen gesucht. Es gilt: Ein helleres Aussehen macht begehrter auf dem Heiratsmarkt.
Der Inbegriff von Colorism
Die bekannteste Marke, die Weißsein verspricht, gehört zu Unilever. „Fair & Lovely“ habe seit über 40 Jahren ein schädliches Schönheitsideal verstärkt, sagt die südindische Sozialarbeiterin Kavitha Emmanuel, die 2009 die Kampagne „Dark is Beautiful“ startete. Ältere Werbeclips von „Fair & Lovely“ zeigen, wie südasiatische Frauen, die Weißmacher nutzen, vermeintlich attraktiver und beruflich erfolgreicher sind, was den Inbegriff von „Colorism“ darstellt. Eine Folge einer rassistisch geprägten Körperpolitik: Hellsein wird als höher geachtet und belohnt, auch unter Schwarzen Menschen und People of Color.
Dennoch mussten sich jüngst auch Garnier (L’Oréal), Unilever und Johnson & Johnson mit der Rassismusdebatte rund um Black Lives Matter auseinandersetzen. Sie kündigten an, hautaufhellende Produkte in Indien vom Markt zu nehmen oder umzubenennen. Aus „Fair & Lovely“ wurde „Glow & Lovely“. Dass das einen Unterschied macht, bezweifeln AktivistInnen.
Indien wie auch Sri Lanka wurden von Europäern kolonialisiert und von deren Schönheitsidealen beeinflusst. Der Wunsch nach heller Haut sei in Indien aber nicht allein darauf zurückzuführen, erklären die HautärztInnen Dr. Munisamy Malathi und Dr. Devinder Thappa, die sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben und ihre Recherche in einem Paper namens „Skin Color matters in India“ veröffentlicht haben.
Er gehe auch aus der sozialen Hierarchie des Hinduismus hervor, in der Angehörige höherer Kasten einen helleren Teint hatten als die der unteren Kasten. In Sri Lanka spielt das Kastensystem eine geringere Rolle, doch hat die alte Oberschicht aufgrund von Nachkommen aus Mischehen mit europäischen Siedlern der Kolonialzeit oft hellere Haut.
Gerade Frauen verlieren branchenübergreifend Jobmöglichkeiten oder werden verbal diskriminiert, sagt die ehemalige Cosmopolitan-Chefin Kinita Shenoy, die in den vergangenen zwei Jahren eine Weiterbildung in Geschlechterstudien abgeschlossen hat. „In sri-lankischen Medien, in Werbung und Filmen sind sehr helle Menschen zu sehen.“ Frauen, die sich dagegen wehren, seien zumeist bereits in ihrer Karriere gefestigt.
Der Druck der Industrie
Ein anderes Beispiel aus dem Inselstaat ist Ornella Gunesekere, Miss Universe Sri Lanka, die sich weigerte, Hautaufheller als Deal ihres Schönheitstitels zu bewerben. Daraufhin kündigte der Kosmetikhersteller Facia seine Sponsorschaft.
Auch in Indien sind viele bekannte Models und Bollywood-Stars hellhäutiger als der Durchschnitt, und nicht wenige haben fürs Weißcremen geworben. Doch auch Filme aus Bollywood wie „Gully Boy“, der vom Leben eines jungen Rappers aus den Slums von Mumbai handelt, geben ein Statement. In einer Szene wird eine Reklametafel der fiktiven Marke „Princess Fairness Cream“ mit dem Spruch „Brown & Beautiful“ übersprüht. Auch andere Filme beschäftigen sich mit dem Thema. Dennoch sollen mehr als die Hälfte aller Inderinnen hautaufhellende Mittel benutzen, und der Markt wächst stetig.
Längst gibt es andere Werbetricks. So soll ein „Anti-Pollution“-Waschgel mit Aktivkohle die Haut aufhellen. Bei ayurvedischen Produkten ist es die Wirkung von Kurkuma oder Safran. Auch werdende Mütter greifen auf Safran-Tinkturen zurück, in der Hoffnung, die Haut ihres Kindes damit aufzuhellen. Immerhin enthalten diese Mittel kein Wasserstoffperoxid, Quecksilber oder das krebserregende Hydrochinon, das in der EU verboten ist.
Weltweit gibt es Berichte von NutzerInnen, die mit Flecken oder Akne auf die Zusatzstoffe der Whitening-Cremes reagieren. Die Verwendung kann auch zu Missbildungen bei Neugeborenen führen, heißt es in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung über die Folgen von Whitening-Cremes bei nigerianischen Frauen von Ayobola Abolape Iyanda und in einem Hinweis des britischen Gesundheitsdienst HHS.
Falsche Versprechen
„Die Frage ist, warum Marken wie ‚Fair & Lovely‘ so lange überleben konnten“, sagt Aishwarya, die zuletzt in der indischen Beautybranche für eine internationale Marke tätig war und heute selbstständig ist. „Ohne das Versprechen, dass diese Produkte weiß machen, würden sie sich längst nicht so gut verkaufen.“ Doch keines der Produkte mache die Haut wirklich heller. Sie könnte höchstens feine Gesichtshärchen bleichen und für einen temporären Effekt sorgen.
„Um wirklich heller zu werden, muss die körpereigene Produktion von Melanin gehemmt werden“, was mit einer Creme aus dem Eckladen kaum möglich sei. Von leuchtender Haut statt weißerer zu sprechen, sieht sie als Anpassung an den Markt für Großstadtfrauen, die anders umworben werden als die Großzahl der Käuferinnen, die eher im ländlichen Indien leben.
Und doch gibt es Veränderung. „Anfang der 2000er haben wir fast nur ausländische Models abgelichtet“, sagt der Mumbaier Fotograf Julian Colston, der seit über 20 Jahren für Modemagazine arbeitet. Jetzt setzen Designerlabels wie Raw Mango auf indische Gesichter. „Bei Massenprodukten wie Spülmittel oder Elektronik wird es noch lange dauern, bis sich etwas ändert“, sagt Kinita Shenoy. „Für viele ist es immer noch erstrebenswert, weiß auszusehen, und sie wollen einen Fernseher oder Kleidung kaufen, die von einer weißen Person gekauft wurde.“
Vielleicht können konkrete politische Schritte etwas ändern. Zu Beginn des Jahres wurde in Indien etwa ein Gesetzentwurf vorgestellt, der unter anderem das Bewerben von Hautaufhellern unter Strafe stellt. Bisher ist es aber bei einem Entwurf geblieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr