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Whistleblowing in UnternehmenBitte schweigen Sie jetzt

Wollen Whistleblower Missstände intern melden, haben sie dazu kaum Gelegenheit. Dies stellt eine Untersuchung in vier europäischen Ländern fest.

Konspiratives Treffen (Symbolfoto) Foto: Antonio Recena/photocase

Berlin taz | Einfache und anonyme Kanäle, auf denen Whistleblower:innen auf Missstände in Unternehmen hinweisen können? Das ist einer am Mittwoch veröffentlichten Studie zufolge noch die Ausnahme. Laut dem „Whistle­blowing Report 2019“ verfügt in Deutschland nur gut die Hälfte der Unternehmen über spezielle Meldewege für Missstände – etwa eine dafür vorgesehene Hotline, eine Post- oder E-Mail-Adresse oder ein Web-Formular. Und nur in knapp zwei Drittel dieser Fälle können Hin­weisgeber:innen anonym ihr Wissen kommunizieren.

Für den Report untersuchten Wissenschaftler:innen die Situation in vier europäischen Ländern: Deutschland, Frankreich, Großbritannien und der Schweiz. Aus jedem Land waren dabei Befragte von im Schnitt 350 Unternehmen ab 20 Mitarbeitenden dabei. Das entspricht 12 Prozent der angefragten Unternehmen aus einer repräsentativen Stichprobe, eine bei Unternehmensumfragen durchaus übliche Rücklaufquote. Laut Projektleiter Christian Hauser, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft, HTW Chur, sind die Aussagen dennoch verallgemeinerbar. Neben der Schweizer Hochschule war das Münchner Unternehmen EQS Group an der Untersuchung beteiligt, das selbst Meldesysteme für Firmen vertreibt.

Grundsätzlich kommt die Untersuchung zu dem Schluss: Im vergangenen Jahr stellten knapp 40 Prozent der Unternehmen Missstände fest, beispielsweise Steuerbetrug oder Geldwäsche. Deutschland schnitt dabei mit 43 Prozent am schlechtesten ab. Verfehlungen traten häufiger in Großunternehmen – ab 250 Mitarbeitenden – als in kleineren und mittelständischen Firmen auf. Und: Die Unternehmen, die im vergangenen Jahr einen finanziellen Schaden aufgrund von Missständen erlitten haben, gaben an, dass sie zumindest einen Teil davon deshalb aufdecken konnten, weil entsprechende Hinweise eingegangen waren. Dabei galt: Je mehr Menschen die Meldemöglichkeiten nutzen dürfen – also beispielsweise nicht nur Mitarbeitende, sondern auch Geschäftskunden oder Lieferanten – desto höher des Anteil des aufgedeckten Schadens.

Image statt Aufklärung

Im Schnitt ging laut der Studie über ein Meldesystem jede Woche ein Hinweis ein. Die Hälfte davon war demzufolge relevant. Hinweise darauf, dass es bei anonymen Kanälen häufiger zu missbräuchlichen Meldungen kommt, fand die Untersuchung nicht.

Für deutsche Unternehmen scheint es dabei jedoch eher um das Image als um tatsächliche Aufklärung zu gehen: Gefragt, warum ein Meldekanal für Hinweisgeber:innen eingeführt wurde, landete auf Platz eins der Antworten: Man wolle damit das „Image als ethisches und integeres Unternehmen“ stärken. Dass es einen echten Nutzen gebe oder sich Schäden vermeiden ließen, landete erst auf den Plätzen zwei und drei. Hauptargument dagegen: Es gebe ja keine Pflicht zur Einführung. Anders sieht das etwa in Frankreich aus: Hier gaben die Unternehmen vor allem an, mit dem Einführen von Meldemöglichkeiten finanzielle Schäden vermeiden zu wollen.

Wenn die Unternehmenskultur das nicht trägt, helfen auch technische Mittel nichts

Christian Hauser, Projektleiter

Dennoch: „Wenn die Unternehmenskultur das nicht trägt, dann helfen auch technische Hilfsmittel nichts“, sagt Projektleiter Hauser. Eine Unternehmensleitung müsse kommunizieren und selbst auch leben, welche Verhaltensweisen erwünscht sind und welche nicht. Und zwar nicht ein einziges Mal, genauso wenig wie es ausreiche, beim Einrichten einer Whistleblower-Mailbox einmal darauf hinzuweisen, dass man so etwas nun bereitstelle. Sondern permanent.

Dazu zählten subtile Botschaften: Wer den Mitarbeitenden unrealistische Ziele stecke und andeute, dass es vor allem darauf ankomme, ob und nicht wie diese erreicht würden, könne Verfehlungen begünstigen. „Meldestellen sind ein wichtiger Mosaikstein wenn es um Compliance geht, aber eben nur ein Mosaikstein.“ Com­pliance bedeutet Regeltreue.

Als Denunziant:innen vorbelastet

Als Konsequenz fordern die Auto­r:innen in der Studie vor allem eigene Schutzgesetze für Whistleblower:innen. Zwar hat die Bundesregierung deren Situation kürzlich im Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen etwas verbessert, doch ein eigenes Gesetz zum Schutz von Hinweisgeber:innen fehlt bislang. Das wird sich in den kommenden zwei Jahren ändern müssen: So lange haben die EU-Mitgliedstaaten Zeit, eine entsprechende Richtlinie umzusetzen, die das EU-Parlament im April verabschiedet hatte. Darüber hinaus fordern die Autor:innen einen kulturellen Wandel: Wer mit Hinweisen zum Aufdecken von Missständen beitragen will, dürfe nicht, wie das derzeit häufig der Fall ist, als Denunziant:in gewertet werden.

Was helfen könnte, das zu ändern: „Fälle von Whistleblowing müssen bekannt werden, so dass man den Nutzen für das Gemeinwohl sehen kann“, sagt Annegret Falter, Vorsitzendes des Whistleblower-Netzwerks und nicht an der Studie beteiligt. Darüber hinaus müsse sich der Umgang der Gerichte mit dem Thema ändern: Derzeit gingen Richter:innen häufig und zu Unrecht davon aus, dass Hinweisgeber:innen Unternehmen schaden wollten.

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1 Kommentar

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  • „Der Staat bin ich“, soll ein französischer König mal geglaubt haben. Viele Führungskräfte und sonstige Entscheidungsträger scheinen ähnliches zu glauben: „Das Unternehmen bin ich“. Wenn Mitarbeiter solche Chefs für schädliches Verhalten kritisieren, glauben die Kritisierten nicht nur zu Unrecht, man wollte ihnen persönlich schaden, sondern sie behaupten auch, es solle dem Unternehmen geschadet werden. Das ist dann zwar das genaue Gegenteil der eigentlich vom Kritiker verfolgten Absicht, aber das stört deutsche Gerichte nicht weiter. Welche Absicht jemand hat, lässt sich schließlich nicht gut beweisen. Die Gedanken sind frei und im Zweifel, so haben es auch Juristen gelernt, glaubt man doch besser den Mächtigen. Schön aus Rücksicht auf die eigenen Sicherheit und den eigenen Wohlstand.