„Wetten, dass..?“ und „TV total“ zurück: Revival am Wohnzimmertisch
„Wetten, dass..?“ und „TV total“ sind wieder da. Will man wirklich in Nostalgie schwelgen, zurück in eine vermeintlich schönere Zeit?
Als ich aufs Gymnasium kam, war ich eines der wenigen Kinder mit Migrationshintergrund. Zum ersten Mal in meinem Leben befand ich mich in einem Umfeld, in dem ich tatsächlich eine Minderheit war. Die ersten Jahre auf der Schule waren für mich daher auch eine Zeit der teilnehmenden Beobachtung – ich lernte hier das „Deutschsein“ kennen. Und eines der faszinierendsten Phänomene war „Wetten, dass..?“. Obwohl in den frühen Nullerjahren die Hochzeit dieser Sendung schon vorbei zu sein schien, sprachen meine Mitschüler*innen am Montag aufgeregt über die Show am Samstag zuvor. Die meisten schauten es mit ihren Eltern und es war die einzige Zeit, wo sie so lange aufbleiben durften.
Ich habe „Wetten, dass..?“ zu dem Zeitpunkt – es war 2000 und ich war 10 – nicht gekannt, geschweige denn geschaut. Ich wurde aber neugierig. Es schien etwas Witziges, Heimeliges und Einzigartiges zu sein. Da meine Eltern nicht bereit waren, ihren Samstagabend mit Thomas Gottschalk zu verbringen, setzte ich mich halt alleine vor den Fernseher im Kinderzimmer.
Und ich verstand nichts. Es schien mir eine kuriose Aneinanderreihung von Promigesprächen, absurden Wetten und seltsamen Musikeinlagen zu sein, die völlig zusammenhangslos aufeinanderfolgten. Thomas Gottschalk machte mir mit seiner aggressiven Fröhlichkeit Angst. Ich weiß nicht mehr, wer der internationale Promi war, nur dass sie genauso verwirrt aussah, wie ich mich fühlte. Als ich dann ins Bett musste, war mir klar: Das ist nichts für mich.
So stand ich weiterhin am Montag früh in der Gruppe und nickte stumm, wenn mal wieder über den Samstagabend gequatscht wurde, und dachte mir meinen Teil dazu. Ich wurde nie warm mit der Show und das war auch nicht notwendig: Meine Freund*innen gingen die typischen Entwicklungsstufen von jugendlichen „Wetten, dass..?“- Zuschauer*innen durch – von „voll lustig“ zu „ey, wie peinlich“. Später dann, mit 15/16, war es ja eh eine Todsünde, seinen Samstagabend mit seinen Eltern vorm Fernseher zu verbringen.
So verschwand „Wetten, dass..?“ langsam aus dem Bewusstsein meiner Generation, und als es 2014 schließlich eingestellt wurde, bekamen das einige wahrscheinlich gar nicht mit oder wunderten sich, dass das so lange ging. Es wirkte wie ein Vermächtnis aus einer verlorenen Zeit.
Doch „Wetten, dass..?“ war immer schon mehr als eine Sendung mit aufgedrehtem Moderator mit abgedroschenen Witzen. Wie auch das Revival und vor allem die Reaktionen darauf zeigten: Nicht nur, dass in den Medien tagelang auf das Comeback hingewiesen wurde. Als es so weit war, füllte sich Twitter sofort mit den Erinnerungen der User*innen: Wie sie – angekuschelt an ihre Eltern – die Sendung verfolgt haben, Schorle vor sich auf dem Tisch und Salzstangen daneben.
Die Kritiken des Revivals mögen daher durchwachsen gewesen sein, ein Quotenerfolg war es allemal. Und wenn das Publikum beim Erblicken von Gottschalk anfängt zu singen: „Oh, wie ist das schön“. Dann meinen sie es ernst, so seltsam es auch zu sein scheint.
Die Sendung war und ist nämlich immer noch ein Symbol für eine vermeintlich behütete Kindheit, als alles ruhiger und geordneter war. Sie ist eine Konstante in der kollektiven Identität der Deutschen. Und darauf besinnt man sich doch gerne zurück in einer Zeit, wo alles unsicher ist, die Gesellschaft auseinanderbricht, die Demokratie gefährdet ist, das Klima sich zu unseren Ungunsten verändert. Wie sich besser der modernen Welt entziehen, als Thomas Gottschalk dabei zuzuschauen, wie er Witze über das Gendern macht. Haha, fast wie früher. Es gibt keine Überraschungen, keine Herausforderungen – einfach einige Stunden der absoluten Sicherheit.
Revivals sind der Versuch, eine vermeintlich schönere Zeit wieder aufleben zu lassen. Es ist, als würde man den Fernseher schütteln und rufen: „Gib mir mein Scheißserotonin! Es ist doch alles wie früher!“ Nostalgie ist eben eine hell of a drug.
Wie süchtig die Gesellschaft nach dem Nostalgiekick ist, wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass auch „TV total“ wiederkommen soll. Nach den unschuldigen Kindheitserinnerungen kommt nun also die Reminiszenz an die Teenagerjahre, als man auf dem Schulhof „Wat, wer bist du denn“ rumgeblökt hat und das für einen Lacher reichte. Wie schlimm muss die Gegenwart sein, wenn man sich dahin zurückwünscht?
Vielleicht sollten wir uns eingestehen, dass Revivals unser Bedürfnis nach der guten alten Zeit nicht befriedigen können. Es ist vorbei, und seien wir mal ehrlich: Früher war es auch nicht besser.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel