Amazon-Doku über Münchens Schickeria: Schicke Leute, die sich besaufen

Die vierteilige Doku „Schickeria – Als München noch sexy war“ holt weit aus, um von der Schickimicki-Gesellschaft erzählen. Leider zu weit.

Iris Berben in zeitgenössichen Foto , daneber ein Protestbild in Schwarz-Weiß

Iris Berben erzählt von Dingen, die sie gar nicht mitbekommen hat Foto: Heinz Gebhart/Constantin Dokumentation

„Wer reinkommt, ist drin“, heißt die erste Folge von Helmut Dietls „Kir Royal“, der besten Fernsehserie, die je in Deutschland gedreht wurde. Und drin sein, das wollten sie alle, vom Fliesenleger bis zum Promi-Zahnarzt. Der von Mario Adorf am Pool des Hotels Bayerischer Hof ausgesprochene Satz – „Ich scheiß dich sowat von zu mit meinem Geld“ – ist das geworden, was man ein geflügeltes Wort nennt.

Aber Geld allein reichte eben nicht, um reinzukommen: in die Schickeria. Über den Zugang wachte, in all seiner Selbstherrlichkeit, ein Klatschreporter, in der Serie heißt er Baby Schimmerlos, von dem bekannt ist, dass er dem Journalisten Michael Graeter von der Münchener Abendzeitung nachempfunden ist.

Denn die besten Geschichten schreibt bekanntlich das Leben. Und die Schickeria: Es gab sie ja wirklich. Die Doku „Schickeria – Als München noch sexy war“ will davon erzählen. Den Urheberrechtsanspruch auf den Begriff „Schickeria“ erhob stets der Schriftsteller Gregor von Rezzori. Als Begriffserklärung verwies er neben dem Wort „schick“ auf den jiddischen Ausdruck „schickern“ für „sich besaufen“. Schön angezogene Leute, die sich gemeinsam betrinken: Das wäre also noch so eine Definition von Schickeria. Und ein bisschen wenig Inhalt für immerhin drei Stunden Dokumentation.

Vielleicht liegt es daran, dass die Doku so früh einsetzt. Nämlich mit der Ankunft der Schauspielerin Iris Berben in München 1968. In der Doku gibt es genretypisch viele Talking Heads, eine herausgehobene Funktion kommt aber der Berben und Thomas Gottschalk zu. Sie erzählen aus ihrer Vergangenheit, selbst von Dingen, die sie selbst gar nicht mitbekommen haben können.

„Schickeria – Als München noch sexy war“, vier Episoden, ab Fr., 19. 8., bei Amazon Prime Video

Nicht so bieder

„München hatte damals einen ziemlich reaktionären Ruf außerhalb Bayerns“, sagt Berben. Und weil sich mancher Zuschauer sicher fragt, warum sie das in der Vergangenheitsform sagt, erzählt sie dann in aller Ausführlichkeit von AFN, Miniröcken und Olympia ’72. Kurz, sie erzählt, überhaupt nicht kurz, erst einmal die komplette Nachkriegsgeschichte Münchens. Angereichert mit einem Geständnis über ihren Drogenkonsum („Ich hab sicher auch ab und zu mal ’n Joint geraucht, aber für mich stand immer so der Leitspruch: Ich hab keine Zeit für weiche Drogen. Kokain war da und LSD war da.“) und Anekdötchen, etwa über Uschi Obermaier: „Hat mir einen meiner Kerle abspenstig gemacht. Mit ihm kam ich her – mit ihr ging er weg.“

Wahrscheinlich hatten die Macher (Regie: Janek Romero) die Befürchtung, das Format könnte sonst zu sehr nach „ZDF-History“ aussehen. Mit Dar­stellern nachgestellte Szenen aus den jungen Jahren von Berben und Gottschalk tragen zu diesem Eindruck ebenso bei wie das merkwürdige Loft-Ambiente, in das man sie gesetzt hat.

Leider langweilig

So dauert es bis zur 25. Minute in Folge drei, bis Helmut Dietl im Bild auftaucht. Für einen Sekundenbruchteil. Immerhin seiner zweiten Frau, der Schauspielerin Barbara Valentin, einer Protagonistin der Schickeria, widmet die Doku ein paar Minuten.

Beide leben nicht mehr; wie viele, die man hätte befragen können. Wie Freddie Mercury, Rudolf Mooshammer oder der für seine deftigen Ansagen berühmte Regisseur Klaus Lemke. Noch vor ihm ist im vergangenen Jahr der Fotograf, Schauspieler und Regisseur Roger Fritz gestorben. Ihn hat man noch befragen können. Seine ganz und gar unzeitgemäßen Auskünfte („Frauen waren wirklich, wirklich freizügiger. Die haben sich nicht so schwere, komplizierte Gedanken gemacht, ob da ein Kind entsteht.“) sind gegenüber denen von zahlenmäßig überlegenen Langweilern (Thomas Gottschalk, Uschi Glas, Fritz Egner, Günther Sigl) auf der Habenseite der am Ende eher langweiligen Doku zu verbuchen.

Das Leben mag also die besten Geschichten schreiben. Aber es bedarf offenbar eines Meisters wie Helmut Dietl, sie zu inszenieren.

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