Wenn die Sonne verglüht: Oh, wow, Weltuntergang

Ständig wird über sie geredet. Wie viel sie scheint oder wie wenig. Dabei ist die Sonne in ein paar Milliarden Jahren ohnehin hinüber. Schade.

Eine Hummel fliegt vor der Sonne

Keine Panik, ein paar Milliarden Jahre scheint sie noch – wahrscheinlich Foto: dpa

Wir sitzen vor einem vietnamesischen Restaurant. Es ist für die Jahreszeit zu frisch. Wenn die Sonne nicht schiene, wäre es sogar richtig unangenehm, doch zum Glück steht sie hoch am Himmel und stemmt sich tapfer gegen die einfließende Polarluft. Ein braver, ein sympathischer Stern – so ist zumindest ihr Ruf.

Doch die mitgeführte Süddeutsche Zeitung bezweifelt die Zuverlässigkeit unseres Zentralgestirns. Unter dem Titel „Traurige Planeten“ zeichnet sie das Bild einer unberechenbaren Scheißsonne, die in zwei Milliarden Jahren zunächst kräftig den Regler hochdreht, um nach weiteren vier Milliarden Jahren zum Roten Riesen zu mutieren, der die Erdkruste zu einem einzigen Ozean aus Lava zusammenschmilzt, bevor sie am Ende „zu einem Weißen Zwerg kollabiert“. Dann wird es kalt.

Komm mal runter, Sonne, möchte man der wild gewordenen Gaskugel zurufen, chill mal! Eine Forderung wie sie ja auch schon in einem bekannten Kinderlied laut wird: „Liebe, liebe Sonne, komm ein bisschen runter (lass den Regen oben, dann wollen wir dich loben).“

Doch keine Panik. Dann ziehen wir eben einfach auf einen anderen Planeten um. Wenn das dann überhaupt noch nötig sein wird, denn in sechs Milliarden Jahren kann sowieso noch eine Menge passieren. Schließlich deutet zurzeit ja wirklich alles darauf hin, dass wir den blauen Karren noch innerhalb der nächsten hundert Jahre aber so was von gründlich an die Wand gefahren haben werden – vom Klimawandel über Kernenergie bis hin zu irren, depressiven oder gemeingefährlichen Staatschefs von Atommächten.

Nicht zu vergessen auch allerlei weitere kosmische Unwägbarkeiten, die Mutter Erde jederzeit zu einem lächerlichen Spielball der Kräfte machen könnten. Da braucht doch bloß irgendein drittklassiger Komet unerwartet ins Schleudern zu geraten, oder die Koordinaten x-beliebiger Planetenkonstellationen verschieben sich um eine Winkelsekunde, und schon wird es sich anfühlen, als schmissen galaktische Riesen mit unserer „Blue Marble“ auf dem Schulhof der „Sigmund-Jähn-Sonderschule“ für schwer erziehbare galaktische Riesen nach den anderen Murmeln.

Ob wir Menschlein hier vorm Viet­namesen das dann überhaupt noch mitkriegen? In seiner ganzen Tragweite? Dass man dasitzt und sich sagt: Oh, wow, das ist jetzt der Weltuntergang, und ich bin live dabei – wie geil ist das denn! Dagegen kann so eine partielle Sonnenfinsternis echt nicht anstinken – im Vergleich zu den richtig coolen, astronomischen Phänomenen ist die nur ein umgefallener Reissack.

„Wumms, bumms, aus die Maus“

Aber erstens kann man in der Situation wahrscheinlich keinen Piep mehr denken, geschweige denn sagen. Auch für ein Selfie, „wir zwei mit Apokalypse“, wird es selbst mit noch so kühlem Blut nicht reichen. Wer könnte das überhaupt noch liken? Und zweitens werden alle anderen acht Milliarden Erdenbürger ja ebenfalls zu Zeugen des Naturwunders. Von exklusiver Erfahrung kann da beim besten Willen nicht die Rede sein, was wiederum am Distinktionsdünkel von urbanen Trendsettern, wie wir es sind, kratzt.

Und doch werfen mich Gedankenspiele wie dieses mit ihrer unbarmherzigen Wucht immer wieder schier zu Boden: „Wumms, bumms, aus die Maus“, wie es im Jargon der Weltraumforscher heißt. Ich weiß ja, dass ich unbedeutend und klein bin, doch ich verdränge das permanent, aus Selbstschutz und weil man ja irgendwie leben muss. Wie nachrangig es im Angesicht des Infernos erscheint, ob ich je Müll getrennt habe.

Auch was die Liebe oder der Sinn des Lebens ist, wird so relevant wie der Furz einer sterbenden Ratte – also noch weniger als sowieso schon. Wen oder was interessiert es angesichts des Weltuntergangs, ob ich marinierte Schweinerippchen bestelle oder lieber was mit Tofu. Wegen der Tiere und der Umwelt und so. Ist doch alles wumpe, wenn nicht jetzt, dann in sechzig oder sechs Milliarden Jahren. Andererseits kann jedes Essen schon die Henkersmahlzeit sein. Also, ich nehme die Rippchen, bitte, danke, gern.

Mutti schmiert Brote für alle

Der verantwortungsvolle Teil der Menschheit plant derweil den Umzug. Was nehmen wir mit, und welches Umzugsunternehmen wählen wir, die Firma Zapf oder die spottbilligen Amphetaminjunkies aus dem Internet, die immer so viel kaputt machen? Zahlen wir zusätzlich für mobile Halteverbotsschilder, falls der Mann im Mond am gleichen Tag umzieht, oder riskieren wir das so? Vielleicht erledigen wir das auch selber mit einem gigantischen Mietlaster?

Wenn acht Milliarden Leute eine saubere Kette bilden, klappt das schon. Mutti schmiert Brote für alle, der Papst segnet uns, und kaum sind die Sachen vollständig auf dem neuen Planeten, werden auch schon die ersten Regale zusammengeschraubt. Schlussendlich noch die Frage nach dem günstigsten Termin: Wollen wir bis zum letzten Moment warten oder lieber früher umziehen?

Denn schon in zwei Milliarden Jahren wird die Sonne alles Leben hier auf Erden komplett versengen. Ehe sie ein für alle Mal abkackt, legt sie nämlich erst noch einmal richtig los. Wir werden sehr, sehr große Sonnenhüte brauchen, und der ideale Lichtschutzfaktor – nicht nur für Kleinkinder! – beträgt 666, was zugleich der Anzahl der Tage im Jahr entspricht, an denen auch die Inuit hitzefrei haben. Da möchte man sich in puncto Lebensqualität eventuell gern rechtzeitig umorientieren.

Ein bisschen fragt sich allerdings, wohin genau die Menschheit denn dann umziehen soll. Die in zwei Milliarden Jahren erwartete Hitze hätte immerhin den Vorteil, dass es in dieser Phase auf dem Mars ganz mollig sein dürfte. Gerade richtig. Badetemperatur. Und gar nicht mal so weit weg. Das Blöde ist, dass man nach weiteren vier Milliarden Jahren erneut umziehen muss. Da lohnt es sich ja kaum, die Kisten auszupacken.

Autsch, es regnet Glas

Natürlich muss das zukünftige Zuhause der Erde ähneln, damit das Heimweh nicht zu groß wird. Einen Kandidaten hat die Website Exoplanets Data Explorer bereits für uns abgecheckt: Der nur den Katzensprung (einer sehr großen und überaus sportlichen Katze) von dreiundsechzig Lichtjahren entfernte Planet HD 189733 b ist sogar blau.

Schade, dass man auch dort bei 900 Grad Tagestemperatur (über die nächtlichen Werte schweigt sich die Quelle aus) mächtig ins Schwitzen gerät. Außerdem regnet es Glas, was für Leute, die nicht direkt an der Warschauer Brücke in Berlin aufgewachsen sind, gewöhnungsbedürftig sein wird. Und den Regenschirm lässt man angesichts der ortsüblichen Windgeschwindigkeit von 9.000 km/h besser zugeklappt.

Auf einmal erscheint einem das Wetter dieser Tage vergleichsweise gemütlich. Anstatt immer gleich loszujammern, sollten die Leute ruhig öfter mal dran denken, wie viel schlimmer alles sein könnte.

In diesem Augenblick verschwindet die Sonne hinter den Wolken, und auf Anhieb wird es unheimlich kühl. Die zur Minute servierten Schweinerippchen unter dem ohnehin nur lauen Salat erkalten auf der Stelle. Ein erster Vorgeschmack.

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