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Wenn die Polizei gar nicht klopft

Türen aufgebrochen: ja. Durchsuchungsbeschluss: nein. Ein Hausprojekt erhebt Vorwürfe nach Razzia

Von David Muschenich

Es ist kurz nach 6 Uhr morgens, als Dutzende Po­li­zis­t:in­nen am Dienstag vergangener Woche das selbstverwaltete Hausprojekt „Hospi30“ in Görlitz betreten. Sie suchen Flyer, internetfähige Geräte oder Hinweise auf „die sogenannte Antifa“. Die Be­woh­ne­r:in­nen werfen der sächsischen Polizei nun vor, sie habe ihre Räume rechtswidrig durchsucht. Außerdem sei der Einsatz unverhältnismäßig gewesen.

Hintergrund der Razzia sind laut dem Durchsuchungsbeschluss, der der taz vorliegt, „mindestens 15 Plakate“, die im Mai in Görlitz auftauchten. Auf diesen wird vor einem lokalen Neonazi gewarnt. Er sei „als gewaltbereit und gefährlich einzuschätzen“, habe sich im Dezember am Angriff auf eine Gruppe Linker beteiligt. Auf dem Plakat stehen seine Adresse und ein Foto von ihm.

Das Ziel des in der Antifaszene gebräuchlichen „Neonazi-Outings“: Alle sollen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Die Staatsanwaltschaft Görlitz wertet die Plakate hingegen als „gefährdende Verbreitung personenbezogener Daten“, die die Person der Gefahr aussetze, „Opfer von Körperverletzungsdelikten“ zu werden. Zwei Be­woh­ne­r:in­nen der „Hospi30“ beschuldigt die Staatsanwaltschaft, beteiligt zu sein und hat beim Görlitzer Amtsgericht Durchsuchungsbeschlüsse gegen sie erwirkt.

Was genau während der Razzia passierte, davon gibt es unterschiedliche Versionen. Eine stammt von der Bewohnerin der ersten Wohnung, die die Polizei an diesem Morgen betritt. Ihren echten Namen möchte sie im Zusammenhang mit der Razzia nicht veröffentlichen. Als die Be­am­t:in­nen ihre Wohnungstür aufbrechen, habe sie noch geschlafen, erzählt die Frau. „Polizei, Polizei, Polizei“, schallt es durch ihre Wohnung, kurz darauf umringen bewaffnete Po­li­zis­t:in­nen ihr Bett. „So aufzuwachen ist echt ein krasser Schock“, sagt sie.

Auf Nachfrage hätten die Po­li­zis­t:in­nen ihr erklärt, einen Beschluss gegen die Person zu haben, die in der Wohnung lebe. Wo der Herr denn sei? Sie habe erwidert: „Hier wohne nur ich allein.“ Daraufhin hätten die Po­li­zis­t:in­nen erst mal herumgedruckst. „Es hat echt ein paar Minuten gebraucht, bis sie eingesehen haben, dass sie in der falschen Wohnung sind.“ Wie das passieren konnte? Für die Bewohnerin unklar. „An meiner Wohnungstür steht nur mein Name. Auch beim Amt ist die Wohnung exakt mit Lage angegeben. Es hätte keine Verwechslung geben dürfen.“

Eine andere Version dieser ersten Razziaminuten erzählt die Staatsanwaltschaft: Für jede aufgebrochene Wohnung habe es einen Durchsuchungsbeschluss gegeben. Es sei das „übliche Vorgehen“, den betreffenden Personen diesen vorzulegen. Im geschilderten Fall sei das nicht nötig gewesen, so die Staatsanwaltschaft, „da die Bewohnerin vorerst kein Ziel der Maßnahme war“.

Aber wenn die Polizei einen Beschluss hatte, weshalb legte sie den nicht vor? Und falls sie keinen hatte, weshalb war sie dann in der Wohnung? Auf Nachfrage der taz heißt es: Das könne derzeit nicht beantwortet werden, noch lägen nicht alle Verfahrensunterlagen vor. „Wir versuchen aufzuklären, wie der Einsatz genau vonstattenging.“

Im Verlauf der Razzia kam es zu weiteren Ungereimtheiten. Etwa in den Räumen des Vereins Hausundhof im Hinterhof der „Hospi30“. Der Verein verwaltet das Haus, betreibt unter anderem eine Mediathek und einen Umsonstladen. Die Räume habe die Polizei ebenfalls durchsucht, ohne einen entsprechenden Beschluss vorzulegen oder zu erwähnen. Dabei hätten die Ermittler drei Computer konfisziert, ohne das zu protokollieren. Die Staatsanwaltschaft widerspricht.

Der Verein wehrt sich nun juristisch und hat einen Anwalt engagiert. Er halte die Durchsuchung der Vereinsräume nicht nur für unverhältnismäßig, sondern für rechtswidrig, sagt Anwalt Björn Eberling zur taz. Rund 150 Gör­lit­ze­r:in­nen sehen das ähnlich und kamen am Freitag zu einer Solidemo.

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