Weltparlament für die Natur: „Müssen den Planeten ins Boot holen“
Die Planetaren Demokrat_innen wollen ein Parlament, in dem die Interessen des Atlantiks vertreten werden. Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden Anton Rüpke.
wochentaz: Herr Rüpke, welche Gesetze würden das Spitzmaulnashorn und die Grüne Meeresschildkröte verabschieden?
Anton Rüpke: Und wie würde das Ökosystem Atlantischer Ozean abstimmen? Oder die Kryosphäre, die Regionen des Ewigen Eises? Auch sie wären nämlich in einem Planetaren Parlament vertreten …
Rüpke gründete 2023 die „Planetaren Demokrat_innen“. Zuvor studierte er Nachhaltiges Management und arbeitete als Nachhaltigkeitsanalyst.
… und zwar durch Menschen, die sich für die Belange der jeweiligen Entität einsetzen, für die sie im Plenarsaal sitzen. Muss ich schamanistisch begabt sein, um das Amazonas-Delta zu vertreten?
Wir Menschen haben einen über Jahrtausende erworbenen Wissensschatz darüber, wann es verschiedenen Lebewesen gut geht und wie wir die Kreisläufe der Natur stabil halten können. Wir haben die Wissenschaft und wir haben indigene Gemeinschaften. Besonders wichtig sind dann noch Einfühlungsvermögen und Integrität.
Erklären Sie das bitte mal genauer.
Das Beispiel Ecuador zeigt das sehr schön. Dort wurde schon 2008 die Verfassung reformiert und die Natur zum Rechtssubjekt gemacht. Menschen und Körperschaften können sich dort seitdem an das Gesetz wenden, um die Rechte der Natur einzufordern und zu verteidigen. Auf dieser Grundlage konnten indigene ecuadorianische Gemeinden zum Beispiel im Jahr 2021 die Rechte des Los-Cedros-Nebelwaldes einfordern …
… ein Gebiet mit der weltweit höchsten Artenvielfalt im Norden Ecuadors.
Die Konzessionen zum Abbau von Edelmetallen in diesem Wald waren schon vergeben – aber da das Recht der Natur in der Verfassung festgeschrieben ist, konnte das oberste Gericht entscheiden, dass Los Cedros unberührt bleiben muss.
Nicht nur Ecuador, auch Länder wie Bolivien, Neuseeland, Indien, Uganda und zuletzt Spanien haben Wälder, Flüsse und sogar Reis zu juristischen Personen erklärt. Ist ein Parlament der Natur einfach der nächste logische Schritt?
Auf jeden Fall haben diese Urteile sehr dazu beigetragen, dass solche Themen mittlerweile ernsthaft diskutiert werden. An Einrichtungen wie dem Panel on Planetary Thinking und dem Planet Politics Institute forschen renommierte Wissenschaftler_innen zu Planet-Mensch-Beziehungen und der politischen Repräsentation der Natur.
Mal angenommen, Ihre Vision wird Wirklichkeit, und ich würde mich zur Wahl stellen, um das Polarmeer zu vertreten. Wie stelle ich das an?
Idealerweise sind Sie eine ausgewiesene Expertin für das Polarmeer. Sie sind vielleicht schon seit vielen Jahren in der Meeresbiologie tätig oder gehören einer indigenen Gruppe an. Eine anerkannte Umweltorganisation könnte Sie dann zur Wahl aufstellen. Im Anschluss würden Sie eine gründliche Schulung durchlaufen und für eine einzige Legislaturperiode die Interessen des Polarmeeres im Planetaren Parlament vertreten.
Wer überprüft, ob ich wirklich die Interessen des Polarmeeres vertrete? Der Ozean kann mich schlecht abwählen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Das ist in der Tat heikel. Wir sind noch auf der Suche nach geeigneten Instrumenten, um Machtmissbrauch vorzubeugen. In jedem Fall müssen die Abgeordneten, genau wie im Bundestag, eidesstattlich erklären, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln.
Und wenn Abgeordnete sich nicht daran halten?
Bei Verstößen können Abgeordnete durch ein Gericht abberufen werden. Wie jetzt schon im Bundestag, auch wenn die Abgeordneten dort zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt werden müssten, damit diese Regelung greift. Die rechtlichen Hürden dafür müssten im Planetaren Parlament niedriger sein als im jetzigen System. Das demokratische Defizit – also der Umstand, dass nur anerkannte Umweltorganisationen die Kandidat_innen vorschlagen können – wird darüber ausgeglichen, dass die andere Hälfte zufällig ausgelost wird.
Wie soll das denn bitte gehen?
Für die Wahl zum Planetaren Parlament brauchen wir zunächst ein globales Wähler_innenverzeichnis. Daraus werden auch die Personen ausgelost, die das Angebot zur Vertretung bestimmter Naturwesen im Parlament erhalten. So sitzt dann auch eine Kleinbäuerin aus Uganda im Parlament, die es in der heutigen Form der Demokratie niemals dorthin geschafft hätte.
Sie haben auch schon Ideen, wofür sich diese Vertreter_innen einsetzen könnten. Zum Beispiel für Zertifikate nicht nur für CO2-Emissionen, sondern auch für Kunststoffe.
Wir wollen alles bepreisen, was dem Planeten schadet: zum Beispiel tierische Produkte, Pestizide, Wasserentnahmen und Bodenversiegelung. Die Einnahmen werden dann als Planetengeld in gleicher Höhe an alle Menschen ausgezahlt. Eine Weiterentwicklung des Klimageldes also, um die Umweltfolgekosten von Produkten und Ressourcen einzupreisen.
Und wo tagt das Planetare Parlament?
Wir stellen uns vor, dass das Planetare Parlament an die Parlamentarische Versammlung der Vereinten Nationen angegliedert ist. Die Idee eines UN-Parlaments, das die Bürger_innen weltweit vertritt, gibt es seit vielen Jahrzehnten. Wir gehen davon aus, dass es erst ein UN-Parlament geben wird, bevor das Planetare Parlament Wirklichkeit wird.
Sie sprechen es selbst an: Es gibt die Vereinten Nationen, es gibt die internationalen Klima- und Biodiversitätskonferenzen. Glauben Sie wirklich, dass ein neues Organ den Wandel bringt? Das Problem ist doch eher, dass alles viel zu langsam geht.
Eine große Schwierigkeit ist, dass in diesen Gremien Entscheidungen nach dem Einstimmigkeitsprinzip getroffen werden. Auf der Weltklimakonferenz zum Beispiel sitzen Vertreter_innen von fast 200 souveränen Staaten zusammen, und jede_r davon hat praktisch ein Vetorecht. Aber die planetaren Belastungsgrenzen sind überschritten, rund zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten sind derzeit vom Aussterben bedroht.
Die Idee des Weltparlaments für die Natur klingt schön, die Orang-Utans wären sicher dafür. Aber mal Hand aufs Herz: Ist das nicht doch alles ein bisschen realitätsfern?
Das klingt erst mal ein bisschen verrückt, aber die Demokratie war schon immer im Wandel. Und wenn man mal genauer hinschaut, ist es im Grunde eine weitere Ausweitung des demos …
… das ist griechisch für den Staatskörper, das Wahlvolk.
In der attischen Demokratie hatten nur 15 bis 20 Prozent der Einwohner das Wahlrecht. Das wurde dann immer weiter ausgeweitet. Erst auf Männer, die nicht aus Athen stammten, später auch auf Sklaven. Und im letzten Jahrhundert dann auch auf Frauen. Historisch ist das noch ziemlich neu, scheint uns aber wenige Jahre später schon selbstverständlich.
Also ist das kein Paradigmenwechsel, sondern ein konsequentes Weiterdenken?
Genau. Wer von politischen Entscheidungen betroffen ist, sollte sie auch mitgestalten können. Politik ist die Sphäre, in der Regeln für das Zusammenleben gemacht werden. Wenn wir mit diesem Planeten zusammenleben wollen, müssen wir ihn auch politisch mit ins Boot holen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag