Weltmeister Frankreich ausgeschieden: Vom schönen Scheitern
Frankreichs hochbegabtes Team scheitert gegen die Schweiz im Elfmeterschießen. Hätten sie einfach nur spielen sollen? Eine Analyse.
Man springt halt doch immer nur so hoch, wie man muss. Das sieht gerade dann besonders doof aus, wenn man hinterher feststellt: hat ja gar nicht gereicht. Für die französische Nationalmannschaft hat es nicht gereicht. Am Ende war Yann Sommer, der kleinste Torhüter des Turniers, ein paar Zentimeter zu groß. Gründe dafür gab es einige.
Erstens: Die französische Mannschaft machte nicht den Eindruck, als habe sie übertrieben Spaß an diesem Turnier. Das mag daran gelegen haben, dass sie nicht besonders viel Spaß an sich selbst hatte. Es kam von Anfang an zu kleinen Misstönen, eitlen Nickligkeiten; als Olivier Giroud sich beschwerte, er bekäme vornedrin nicht genug Bälle, war Kylian Mbappé offenbar nur mit Mühe davon abzuhalten, deswegen eine eigene Pressekonferenz abzuhalten. Da war schon klar: Es brodelt innerhalb der Mannschaft, und nicht auf die gute Art.
Zweitens: Sobald sich Frankreich nicht mehr auf die individuellen Stärken der Spieler verlassen konnte, bekamen sie Probleme. Halbfeldflanken segelten ungehindert durch den Sechzehner und blieb der Ball am Boden, konnte man sich darauf verlassen, dass die ungestüme Kopflosigkeit eines Verteidigers den Job für den Gegner erledigt: Drei Elfmeter hat Frankreich in vier Spielen gegen sich gepfiffen bekommen. Das Problem freilich fing ganz vorne an, weder Karim Benzema noch Kylian Mbappé beteiligten sich nennenswert.
Es bleibt: Pogba
Die dadurch entstehenden Lücken konnte auch der überfleißige N'golo Kanté nicht mehr schließen, der wahrscheinlich ganz allein die Hälfte der hundert Kilometer abriss, die die Mannschaft im Schnitt pro Partie lief. Aber der Ball war bisweilen schneller, vor allem, wenn er dann auf die Flügel kam; wenn diese Mannschaft individuelle Schwächen offenbarte, dann auf den Außenverteidigerpositionen. Gegen die Schweiz hat die Umstellung auf Dreierkette gar nichts bewirkt, außer noch mehr Unsicherheit, und nach dem 3:1 kam das Pressing komplett zum Erliegen.
Drittens: Didier Deschamps hat eine defensive, passive Ausrichtung gewählt; der Plan war, dem Gegner den Ball zu lassen, und wenn man ihn selber hat, dann schnell zum Ziel zu kommen. Hätte funktionieren können, mit Karim Benzema, Antoine Griezman, Kingsley Coman und Kylian Mbappé hatte man ja die lauf- und gedankenschnellste Offensive aller Mannschaften.
Aber mit dieser Mannschaft hätte eigentlich jeder Plan funktionieren können, kein einziger Konkurrent war auch nur ansatzweise so gut besetzt wie die Équipe Tricolore. Deschamps hatte so viele Möglichkeiten und hielt die Spieler schlicht an der Leine. Möglich, dass er mit dieser simplen Strategie gehofft hatte, eine Balance zwischen den Talenten und Egos seiner Spieler zu finden. Am Ende wirkte es etwas kleingeistig, es war die falsche Art von Verschwendung.
Es bleibt dennoch sehr viel mehr Gutes als Schlechtes. Es ist erstaunlich zu sehen, wie sehr Paul Pogba gereift ist und welche Präsenz, welche Autorität er auf dem Platz hat. Die Ballmitnahme Karim Benzemas vor dem Ausgleich gehört in die gleiche Kategorie wie Dennis Bergkamps berühmter Move, die Kombination vor der zwischenzeitlichen 2:1-Führung ließ ahnen, was diese Mannschaft hätte alles anstellen können, wenn man sie einfach hätte machen lassen.
Vielleicht war am Ende doch zu viel Talent auf dem Platz. Dass sie ausgerechnet gegen eine gut organisierte, von sich selbst überzeugte Schweizer Mannschaft rausgeflogen sind, ist freilich eine ganz eigene Pointe: Die Schweizer sind (zusammen mit den Belgiern) für die Franzosen, was den Deutschen die Ostfriesen sind, Thema unzähliger Witze über die langsamen, behäbigen, umständlichen, sich ein wenig dumm anstellenden Nachbarn. Ausgerechnet diese Hürde war ihnen jetzt zu hoch; es ist eine Desillusionierung. Allerdings eine, wie sie mitreißender nicht hätte sein können, es war schlicht eines der überraschendsten, spannendsten und großartigsten Spiele im internationalen Fußball der letzten Jahre.
Das können französische Mannschaften nach wie vor am besten: In wilder Schönheit scheitern.
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