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Weltmeere im StressHitzewellen in den Ozeanen

Die Meere erwärmen sich immer schneller, Nord- und Ostsee ganz besonders. Das geht aus dem Statusbericht des Copernicus Marine Service hervor.

So schön ist das Wattenmeer zwischen Cuxhaven und der Insel Neuwerk. Blick auf einen Priel Foto: dpa

Berlin taz | Herzlichen Glückwunsch! Am 1. Oktober wird der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer 40 Jahre alt. Der seltsam-schöne Lebensraum, nicht Land, nicht Meer, bietet speziell angepassten Tieren – Herz-, Mies- und Sandklaffmuschel, Eiderente, Sandregenpfeifer und Küstenseeschwalbe, aber auch Absonderlichkeiten wie Brotkrumenschwamm oder Blättermoostier – einen Lebensraum und genießt darum einen besonderen Schutz.

Doch gegen den Klimawandel hilft kein Nationalpark-Patent: Das Wattenmeer, warnen Experten, droht zu ertrinken. Wenn es sich nicht schnell genug an den steigenden Meeresspiegel anpassen könne, sagt Jannes Fröhlich, Leiter des WWF-Wattenmeerbüros, versinke es.

Nach Angaben des Alfred Wegner-Instituts für Polar- und Meeresforschung steigen die Pegel der Nordsee seit Beginn der Satellitenmessungen 1993 jährlich im Schnitt um vier Millimeter – allerdings mit großen regionalen Unterschieden. Der steigende Meeresspiegel ist eine Folge des Klimawandels. Um zwei Grad hat sich die Nordsee gegenüber dem langjährigen Mittel erwärmt. Damit folgt sie einem weltweiten Trend: Laut dem jährlichen Ozeanstatusbericht des europäischen Informationsdienstes Copernicus Marine Cervices erwärmen sich die Ozeane immer schneller.

Im Frühjahr 2024 erreichten die Meeresoberflächentemperaturen mit 21 Grad demnach einen neuen Rekordwert. „Die globale durchschnittliche Meeresoberflächentemperatur ändert sich nur langsam, aber selbst scheinbar kleine Veränderungen können enorme Auswirkungen auf wichtige Komponenten des Erdsystems haben“, heißt es in dem Bericht. Der Copernicus Marine Service ist einer der sechs Dienste des Erdbeobachtungsprogramms Copernicus der EU. Er führt Ozean­analysen und Vorhersagen durch und wird von der Europäischen Kommission finanziert.

2023 und 2024 war ein Großteil der Ozeane außergewöhnlich heiß – „einige Gewässer des Atlantiks waren im Jahr 2023 an über 300 von 365 Tagen von marinen Hitzewellen betroffen“, teilt Copernicus mit. Das Mittelmeer in Italien erlebte die längste jemals gemessene Hitzeperiode mit Oberflächentemperaturen, die bis zu 4,3 Grad über dem Normalwert lagen. Diese Extremwerte hätten bekanntermaßen negative Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion, die Meeresökosysteme und die Wirtschaft in Küstenregionen.

Meereserwärmung führt zu extremeren Niederschlägen

Beispielsweise konnte sich aufgrund des warmen Meerwassers 2023 an der italienischen Küste die Blaukrabbe stark vermehren, die aus atlantischen Gewässern Nord- und Südamerikas stammt. Sie reduzierte die Muschelproduktion im Po-Delta um 75 bis 100 Prozent.

„Wir leben auf einem Ozeanplaneten, und was mit unseren Meeren geschieht, wirkt sich bereits auf uns an Land aus“, sagte Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zum „Ocean State Report“. Die Erwärmung der Ozeane trage zu einer stärkeren Verdunstung und damit zu extremeren Niederschlägen und Überschwemmungen an Land bei. Der Anstieg des Meeresspiegels verursache zunehmend Probleme mit Überschwemmungen an den Küsten.

Dünnes Eis

Historische Tiefstwerte ergaben die Messungen von Copernicus im vergangenen Winter in Bezug auf das Meereis an Nord- und Südpol. „Im März 2025 gab es in der Arktis 1,2 Millionen Quadratkilometer weniger Meereis als im langfristigen Winterdurchschnitt, eine Fläche, die mehr als viermal so groß ist wie Polen“, heißt es in dem Bericht. Auch in der Antarktis schwindet das Eis. Sie verzeichnete 2024 das dritte Jahr in Folge eine geringe Meereisausdehnung, nachdem 2023 ein historischer Tiefstwert erreicht worden war. Im Februar 2025 gab es etwa 0,6 Millionen Quadratkilometer weniger Meereis als im langfristigen Durchschnitt, eine Fläche, die doppelt so groß ist wie Italien.

Für eine gute Meeresschutzpolitik sei zunächst eine wirksame Klimaschutzpolitik wichtig, sagt Franziska Saalmann, Meerescampainerin der Umweltorganisation Greenpeace. Allerdings seien widerstandsfähige Meere besser in der Lage, auf Klimaveränderungen zu reagieren. Darum sei es ein großer Fortschritt, dass Anfang 2026 das UN-Hochseeschutzabkommen in Kraft treten könne, das vorschreibt, auf Hoher See Schutzgebiete einzurichten und vor einer geplanten wirtschaftlichen Nutzung eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Das wichtigste gegen die Meereserhitzung aber bleibe: „Wir müssen schnell aussteigen aus der Nutzung fossiler Energien, um den Anstieg der Temperaturen zu begrenzen.“

Auch WWF-Mann Fröhlich betont, „die beste Vorsorge ist globaler Klimaschutz, um die schlimmsten Klimafolgen noch zu verhindern.“ Auf die Erwärmung von Luft und Wasser könne sich das Wattenmeer am besten einstellen, wenn Naturprozesse zugelassen werden und die Natur möglichst wenig beeinträchtigt werde – etwa durch Schadstoffe, Bebauung, Industrie und Fischerei. (mit dpa)

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