Weltbank plant Milliardenanleihe: Kommt der „Flüchtlings-Soli“?
Weltbank und IWF beraten über finanzielle Lösungen in der Debatte um Flüchtlinge. Steuererhöhungen stehen dabei laut Bundesregierung noch nicht zur Diskussion.
Die Frage am Rande der Tagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Lima lautete konkret: Wird es in Europa eine Art „Flüchtlings-Soli“ – etwa über einen Aufschlag auf die Mehrwert- oder Mineralölsteuer – geben, um das EU-Budget aufzustocken und so Kosten der Flüchtlingskrise zu meistern?
Schäuble äußert sich alles andere als klar. Nimmt aber zumindest das Wort „Steuern“ nicht in den Mund, spricht von europäischen Lösungen und betont: „In Deutschland haben wir fiskalischen Spielraum.“ Andere in Europa hätten aber möglicherweise nicht ganz so viel: „Und trotzdem muss das Problem gelöst werden.“ Zusätzlicher Finanzbedarf aber werde nicht allein aus dem mittelfristigen Budgetrahmen der EU zu bedienen sein.
Was Schäuble letztlich meint: Sollte die EU mehr Geld brauchen, um Flüchtlingslager rund um Syrien, Maßnahmen an den EU-Außengrenzen oder neue Verteillager zu finanzieren, könnte Deutschland das aus dem Haushalt stemmen – notfalls über neue Schulden. Aber nicht über höhere Steuern oder Sonder-Abgaben. Bei anderen EU-Partnern sieht das möglicherweise anders aus.
Im Kanzleramt war man von den aus Lima eintrudelnden unklaren Schäuble-Aussagen wohl wenig erfreut. Rasch ließ Kanzlern Angela Merkel (CDU) über Regierungssprecher Steffen Seibert klarstellen: „Es bleibt dabei: Weder wollen wir Steuererhöhungen in Deutschland, noch wollen wir die Einführung einer EU-Steuer.“ Die prompte Reaktion ist sicher auch Folge des Dauerärgers mit der CSU. Nur keine neue Front aufmachen. Gilt doch das Wahlkampf-Versprechen von CDU/CSU: Keine Steuererhöhungen bis 2017.
Syriens Nachbarländer fordern mehr Unterstützung
Dabei spricht Schäuble nur das aus, was andere bisher meiden: Um den Flüchtlingsstrom nach Deutschland einzudämmen, muss mehr Geld als Unterstützung für andere Länder in die Hand genommen werden – für Griechenland, die Türkei, Libanon und Jordanien. Und Schäubles zweite Ansage: Das Thema muss jetzt erörtert werden.
Beim Treffen der Finanzelite wird das längst getan. Vor allem in der „Sala Lima 1“ – es wirkt wie eine Krisensitzung zur Lage im Mittleren Osten. Wie ernst diese ist, zeigt die Anwesenheit von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und Weltbank-Präsident Jim Yong Kim. Dutzende Minister und Staatssekretäre aus der ganzen Welt sitzen hier, um über die dramatische Flüchtlingskrise zu beraten.
„Wir haben bei uns 1,7 Millionen Flüchtlinge bei vier Millionen Einwohnern“, betont der Generaldirektor des libanesischen Finanzministeriums, Alain Bifani. Das entspräche 40 Prozent der eigenen Bevölkerung. „Nur, um mal die Größenordnung klar zu machen: Das ist in etwa so, als wenn die gesamte Bevölkerung Mexikos in die USA übersiedeln und dort wohnen würde.“ Ein paar Millionen helfen da nicht weiter, man brauche mehr Schulen, Krankenhäuser, Unterkünfte. „Wenn uns nicht stärker geholfen wird, gehen die Flüchtlinge woanders hin.“ Genau das müssen Schäuble und Merkel fürchten.
Der Weltbank-Präsident hat eine Idee im Gepäck. Zusammen mit der Islamischen Entwicklungsbank soll eine Sonder-Anleihe aufgelegt werden, um die Krisenregion wirtschaftlich zu stärken. Und um Nachbarländern wie Jordanien und dem Libanon zu helfen, damit die Flüchtlinge bessere Bedingungen bekommen. Mit Hilfe der Bonds sollen also zusätzliche Milliardensummen mobilisiert werden.
„Wir müssen jetzt beginnen, in eine neue Zukunft für den Mittleren Osten und Nordafrika zu investieren“, mahnt Jim Yong Kim. Und Ban Ki-Moon betont, zehn Millionen Menschen benötigten dringend humanitäre Hilfe in Syrien und den angrenzenden Staaten: „Das ist eine schreckliche Situation.“ Die russischen Luftschläge in dem Land kritisiert er als kontraproduktiv – aber wie eine politische Lösung aussehen soll, weiß er auch nicht.
Weltbank-Präsident Kim schätzt die Kosten durch die Zerstörungen des Krieges nur in Syrien auf 170 Milliarden Dollar – gibt es hier irgendwann mal Frieden, müssen für den Wiederaufbau nochmal große Summen mobilisiert werden. Über 15 Millionen Menschen in der ganzen Region hätten ihre Häuser verloren – Ban Ki-Moon erinnert auch an Großkonflikte wie im Jemen. „Es ist die größte Vetriebenen-Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“, so Kim.
Und die ist noch lange nicht zu Ende – Schäuble und Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sind sich in Lima einig: Die Risiken für den deutschen Steuerzahler kann heute noch niemand beziffern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist