Weihnachtsfilme im Ersten: Der bräsig-gähnende Fürst
Traditionsgemäß füllen Märchenfilme das Feiertagsprogramm der TV-Sender. Die ARD zeigt eine Reihe von Neuverfilmungen.
Zum wiederholten Mal schwenkt die Kamera aus der Vogelperspektive über die sattgrünen Wiesen und Wälder, während sich der aufgekratzte Eulenspiegel (Jacob Matschenz) auf den Weg zu weiteren Abenteuern macht. Ein penetrantes, von dramatischen Streichern unterlegtes Flötenmotiv soll den Zuschauern dabei ein kleines Hollywood-Gefühl vermitteln. Denn solche erhebenden Momente kennen sie aus Blockbustern wie „Der Herr der Ringe“, „Der Fluch der Karibik“ oder „Der Hobbit“.
Derartige Vergleiche ruft der ARD-Zweiteiler „Eulenspiegel“ (25./26. Dezember, jeweils 16.15 Uhr) allerdings nur selten hervor. Ansonsten ist die Neuverfilmung der bekannten mittelniederdeutschen Legende so bieder und uninspiriert wie der Ruf von fiktionalen TV-Produktionen aus Deutschland im Allgemeinen.
Vielleicht würde dieser Makel weniger auffallen, wenn nicht ausgerechnet das Erste auch einige internationale Gegenbeispiele im Programm hätte. Die BBC-Serie „Sherlock“ hat bewiesen, wie man alte Mythen und Geschichten zeitgemäß und dennoch werkgetreu aufbereiten kann.
Aktuell bringt die ebenfalls von der BBC produzierte Serie „Die drei Musketiere“ neuen Schwung in das Genre des Mantel-und-Degen-Films, das nach der Werbung für Haselnusstafeln und triefenden Adams-Stewart-Sting-Schnulzen längst auf dem Klischee-Abstellgleis gelandet war. Aber genau so funktionieren traditionelle Geschichten und Erzählungen: Sie müssen stets neu erfunden und interpretiert werden, um ihre Botschaft am Leben zu halten.
Vier neue Adaptionen
Auf besonders exzessive Art wird das im US-amerikanischen Mainstreamkino zelebriert. Aus Mangel an klassischen Märchen und Sagen müssen hier jedoch die Comic-Superhelden wie „Spiderman“ oder „Batman“ für regelmäßige „Reboots“ herhalten, die vom mitgeschleppten Ballast der Erzählung befreit werden. Die Charaktere und Plots werden dabei durch eine frische Sicht- und Erzählweise nicht nur für ein neues Publikum aufbereitet. Sie schaffen es auch häufig, den Blick auf den eigentlichen Urmythos freizulegen.
Mit der Reihe „Sechs auf einen Streich“ hat die ARD seit 2008 eine Filmreihe etabliert, in der die Sendeanstalten jährlich einstündige Verfilmungen der Märchen von Hans Christian Andersen, den Brüdern Grimm und Ludwig Bechstein produzieren. Die vier neuen Adaptionen dieses Jahres zeigen dabei auf exemplarische Weise, wo die Stärken und Schwächen dieser Neubearbeitungen liegen können.
Der Bayerische Rundfunk steuert mit „Die drei Federn“ (26. Dezember, 14.15 Uhr, ARD) die konservativste Neuverfilmung bei. Dafür steht der bräsig-gähnende Fürst Gundolf (Sky du Mont) mustergültig, der aus seinen drei Söhnen einen geeigneten Thronfolger auswählen muss und sich dabei ähnlich schwertut, in Schwung zu kommen, wie der gesamte Film.
Statisch und visuell unambitioniert erinnert die Geschichte des Tier- und Umweltfreunds „Dummling“ (Jannik Schümann) eher an ein abgefilmtes Kindertheaterstück mit bemühten Slapstick-Einlagen. Die Vorgaben des Märchens werden dabei zwar eingehalten, der vorhandene Erzählraum jedoch nicht ansatzweise genutzt. Im bis zur Karikatur überzeichneten Happy End werden schließlich auch die leisesten progressiven Zwischentöne ins Reich der Fantasie verbannt.
Pinke Albtraumwelten
Der Hessische Rundfunk gibt sich mit „Siebenschön“ (25. Dezember, 14.15 Uhr, ARD) zwar künstlerisch engagierter – nicht nur weil es die affektierte Prinzessin Zilly (Teresa Weißbach) in einer pinken Albtraumwelt Marie Antoinettes à la Sofia Coppola verortet –, doch scheitert dafür letztlich an einem unnötig verkomplizierten Plot, der nicht so recht auf den Punkt kommen will.
Dass es auch lockerer geht, beweist die RBB/SR-Produktion von „Sechse kommen durch die ganze Welt“ (25. Dezember, 15.15 Uhr, ARD), die mit originellen Kostümen und einem fantasievollen Set-Design überrascht und zudem deutlich macht, dass dieses Volksmärchen tatsächlich eine direkte Vorlage für US-Superhelden-Blockbuster wie „X-Men“ oder „The Avengers“ gewesen sein könnte.
Eine positive Überraschung
Die wirkliche Überraschung der Neuverfilmungen ist jedoch die Adaption „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ (26. Dezember, 15.15 Uhr, ARD), produziert von Radio Bremen, NDR und MDR. Regisseur Tobias Wiemann („Großstadtklein“) setzt die Geschichte nach dem Drehbuch von Mario Giordano („Das Experiment“) nicht nur als gekonnte Anlehnung an das Schauer- und Horrofilmgenre um, sondern stattet sie auch mit Protagonisten aus, die über ihre stereotypen Rollen hinausgehen.
Besonders die Figur der Prinzessin Elisabeth (Isolda Dychauk) überzeugt durch Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein und agiert damit auf Augenhöhe mit modernen Frauenfiguren zeitgenössischer Filmerzählungen, wie die von Jennifer Lawrence in der erfolgreichen „Tribute von Panem“-Reihe. Damit zeigt diese kleine einstündige Episode, dass auch hierzulande durchaus originelles und modernes Erzählfernsehen für die ganze Familie entstehen kann. Ausreden gelten damit ab sofort nicht mehr.
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