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Rishikesh: Yoga am Ganges Foto: Bhrigu Khandelwal

Wasserschutz in IndienAlles im Fluss

In Rishikesh am Ganges wird Indiens heiliger Fluss zugleich verehrt, verschmutzt – und gereinigt. Aber genügt das, um das Flusssystem zu bewahren?

F ünf junge Männer in roten Gewändern stehen am Flussufer. Sie schwingen jeweils eine kleine Glocke in der linken Hand. In der rechten halten sie Räucherstäbchen, die sie synchron bewegen. Aus den Lautsprechern tönt das Gebetslied ‚Es lebe Mutter Ganga‘ der Bollywood-Sängerin Anuradha Paudwal.

Die Flusszeremonie Aarti beginnt täglich mit dem Sonnenuntergang. Am Ende lassen Gläubige Blätterschiffchen mit Kerzen den Fluss hinuntertreiben. Sie leuchten wie brennende Blumen in dem klaren Wasser.

Die Ganga Aarti an der Badestelle Shatrughan im nordindischen Rishikesh dauert eine gute halbe Stunde. Der Alltag erscheint weit weg – wären da nicht die gezückten Smartphones der Besucher:innen, die sich links von der Badestelle am Steg postiert haben. Doch Manoj Dwivedi, der als Priester des Shatrughan-Tempels das Gebet anleitet, freut sich über alle Teilnehmenden. Der 58-Jährige im Hemd, heller Weste und weißer Hose möchte die Augen der Gäste für die Schönheit des Ganges öffnen.

Während des Lockdowns war es in Rishikesh, durch das sich der türkis schimmernde Ganges seinen Weg von den Gletschern des Himalaya bahnt, ungewohnt ruhig. Dwivedi sieht das Positive, auch wenn das vergangene Jahr für viele in der von Touristen abhängigen Stadt ein großer Dämpfer war. Er strahlt Zufriedenheit aus.

Das Projekt

Gefördert durch das European Journalism Centre (EJC) mit Unterstützung der Bill & Melinda Gates Foundation folgt die taz ein Jahr lang dem Wasser. Fünf taz-Korrespondentinnen recherchieren in Lateinamerika, Westasien, Südasien und in Afrika entlang des Nils. Denn vor allem im Globalen Süden gibt es zu wenig oder kein sauberes Wasser. Besonders Frauen müssen jeden Liter über weite Strecken nach Hause tragen. Der Zugang zu Wasser wird mit der Klimakrise verschärft. Immer öfter wird Wasser privatisiert oder steht im Konflikt mit Großprojekten, die Fortschritt bringen sollen. Mehr unter taz.de/wasser

„Der Lockdown hatte einen negativen Effekt auf die Gesellschaft. Aber es sind auch einige gute Dinge passiert, wie zum Beispiel die Reinigung des Ganges. Heute ist er genauso sauber wie vor 50 Jahren. Das Wasser ist viel klarer, da der Einfluss von Menschen drastisch reduziert wurde“, sagt Dwivedi. Am Ufer warten schon die Kühe, die nach Ende des Gebetes darauf hoffen, ein paar Blumen abzustauben, die sie mit ihren Zungen vom Boden oder der Hand der Besuchenden fressen.

Flussanbetung in Rishikesh Foto: Bhrigu Khandelwal

Wenn der Ganges Rishikesh erreicht, ist er gesäumt von offenen Klöstern: den Ashrams. Orange gekleidete Sadhus wandeln durch die Gassen von Ram Jhula und Lakshman Jhula, wo sich die meisten Unterkünfte, Restaurants und unzählige Souvenirläden befinden und sich Reisende gerne niederlassen – jedenfalls taten sie das vor der Pandemie.

Doch nicht überall in Rishikesh ist es so idyllisch wie an den Jhula-Hängebrücken und das Wasser so sauber.

Plastikfetzen und Unrat

Die Be­woh­ne­r:in­nen von Sarvahara Nagar, wie Herr Dwivedi, versuchen, alles vor ihrer Haustür sauber zu halten. Aber Plastikfetzen und Unrat landen nur zu oft vor ihren Füßen, besonders bei denen, die direkt an dem kleinen Bach wohnen, der in den Ganges fließt. Einst ein städtischer Slum, hat sich das Viertel zu mehrstöckigen Wohnungen gemausert, die enge Straßen flankieren. Doch noch immer fehlt ihnen Anschluss an ein Abwassersystem. 24 der 40 Stadtteile Rishikeshs haben keinen direkten Zugang.

Shanti hat eine Klärgrube und sucht einen Job als Lehrerin Foto: Bhrigu Khandelwal

Im Stadtteil Sarvara Nagar gingen die Be­woh­ne­r:in­nen bis vor ein paar Jahren in die Büsche statt auf eine Toilette. Die Zeiten, in denen die Frauen hier frühmorgens und abends mit einem Eimer Wasser raus mussten, um ihre Notdurft zu verrichten, vermissen sie keineswegs, sagt die angehende Lehrerin Shanti.

Die 26-jährige Hindu trägt eine gelbe Kopfbedeckung und einen Nasenring. Mit ihren Brüdern wie Cousine und Cousin lebt sie hier in einem Ziegelbau. Im betonierten Innenhof deutet ein Metalldeckel auf die darunterliegende Klärgrube hin. Die wurde seit dem Bau nicht professionell geleert, sagt sie.

Usha Devi verkauft Gemüse und weiß genau, wer das Wasser verunreinigt Foto: Bhrigu Khandelwal

Das Reinigen kostet etwas 3.000 Rupien (35 Euro) bei einem Tank dieser Größe. Für Shanti, die noch Arbeit sucht, ist diese Summe viel Geld, auch für die Händlerin Usha Devi, die draußen an der Hauswand Gemüse verkauft und damit etwa 2.400 Rupien (28 Euro) im Monat einnimmt.

Die 53-Jährige hat vor sich Kürbis, Bohnen, Knoblauch und Kartoffeln ausgebreitet. Hinter ihr und der Mauer fließt leicht schäumendes Wasser den offenen Kanal entlang. Wenn nicht viel los ist, liest Usha Zeitung oder unterhält sich mit den Nachbarn. Ihr entgeht nichts. „Alle zwei, drei Tage kommen die Leute von der Stadtverwaltung. Sie reinigen den Abwasserkanal und tropfen Medizin hinein, damit es nicht zu stinken anfängt“, sagt Usha. Sie weiß, dass sich hier nicht jeder an die Regeln hält und dass manche heimlich in der Nacht Fäkalien in die Rinne schütten, die mit dem Bach verbunden ist.

Dabei ist der Ganges einer der heiligsten Flüsse Indiens. Damit aber nicht alles im Fluss landet, hat die Stadt Rishikesh die Kapazitäten einer weiteren Kläranlage ausgebaut und in Kooperation mit der deutschen GIZ (Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit) eine Studie durchgeführt, um den Bedarf zu ermitteln. Sie möchte den Be­woh­ne­r:in­nen künftig anbieten, die Behälter über die Stadt und mit fixen Preisen zu leeren. Die Klärgruben sind gefährlich, denn durch zu starke Ansammlung von Gasen können sie explodieren.

Nicht nur Abwässer landen im Fluss. Gläubige Hindus werfen Bilder mit Göttern nicht einfach in den Mülleimer. Sie werden im Ganges versenkt oder landen unter einem Banyan-Baum. Dazu kommen Tausende Kilo Blumen.

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Damit in Rishikesh nicht alle Blumen den Ganges hinuntergespült werden, stehen seit zwei Jahren große gelbe Metallboxen am Kanal. Aarti und weitere Frauen trocken die gelben und orangenen Blüten und verarbeiten sie zu feinem Puder. Aus einem Kilo Blumen werden 80 Gramm Räucherstäbchen und Kegel gerollt.

2019 gründete Ingenieur Rohit Pratap Singh, der heute 28 Jahre alt ist, sein Unternehmen in Rishikesh. Er beschäftigt vor allem Frauen aus der Region. Am Tag bekommen sie 250 bis 300 Kilo Ringelblumen von den Tempeln.

Flamme bei einer Gebetszeremonie
In der Sündenfalle

Im heiligen Fluss der Göttin Ganga können sich Hindus reinwaschen. Insbesondere zum Fest Maha Khumbh suchen Pilger die Badestelle Har Ki Pauri im Ort Haridwar auf – trotz Coronapandemie. Bei Zeremonien versenken sie Asche und Devotionalien. Der Ganges ist dem Schmutz nicht mehr gewachsen. Zur Reportage.

Doch die Verunreinigung des Ganges durch Blumen ist vielleicht das kleinste Problem.

Drei Jhula-Hängebrücken überspannen den Ganges in Rishikesh. Nur Fußgänger dürfen sie betreten, die letzte dürfen auch Zweiräder (Roller und Motorräder) befahren. Am östlichen Ufer der dritten Brücke, Sita Jhula, befindet sich das Viertel Swarg Ashram. Das ist der Teil des verkehrsfreien spirituellen Zentrums von Rishikesh – aber auch die gleichnamige Kläranlage mit einer Kapazität von 3,5 Millionen Litern pro Tag.

Seit 2016 unterstützt die GIZ die Mission „Sauberer Ganges“ (Namami Gange). Die Kooperation wurde kürzlich bis 2023 verlängert. Die Unterstützung beläuft sich auf über 14 Millionen Euro, wovon die EU einen Anteil von knapp 5 Millionen Euro beisteuert. Die GIZ berät die Pilgerstädte Haridwar und Rishikesh am Oberlauf des Ganges beim Abwassermanagement von neuen und alten Kläranlagen.

So macht man aus Abwasser Düngemittel

Was im Klärwerk Swarg Ashram ankommt, wird nicht alles in den Fluss geleitet. In Tanks wird das Abwasser von Haushalten und dem nahegelegenen Ashram, der über knapp 2.000 Zimmer verfügt, gesammelt. In der Swarg Ashram-Anlage findet eine biologische Abwasserreinigung statt: Erst die Entfernung von Plastik und Sand, dann eine Nachbehandlung in einem großen, rechteckigen Freilufttank, in dem vier zyklische Prozesse ablaufen: Befüllen und Belüften, Absetzen und Umfüllen.

Befüllen und Lüften dauert zwei Stunden. Wenn das Abwasser hineinfließt, ist es weiß schäumend und grau-bräunlich und stinkt. Über einen Diffusor am Boden des Tanks wird als erstes Sauerstoff aus der Luft zugeführt. Das schafft günstige Lebensbedingungen für Mikroorganismen, die gelöste und organische Stoffe im Abwasser als Nahrung biologisch abbauen. Bakterien sind ja bereits im Abwasser vorhanden.

Am Stadtviertel Sarvahara Nagar vorbei fließt verschmutztes Wasser Foto: Bhrigu Khandelwal

Bakterien und andere Mikroorganismen bilden einen sogenannten „Belebtschlamm“, der die biologische Selbstreinigung übernimmt. Innerhalb von weiteren zwei Stunden setzen sich feine Schwebstoffe als Schlamm auf dem Beckenboden ab. Das klare Wasser oben wird mechanisch abgeschöpft, das wässrige Schlammgemisch hochgepumpt und zu einer Schneckenpresse geleitet. Eine Elektrolytlösung beschleunigt zuvor die Schlammbildung.

Insgesamt dauert es vier Stunden vom Befüllen des Tanks mit Abwasser bis zur Dekantierung. Der dunkle Rest sieht nun aus wie Kaffeepulver: Bio-Düngemittel. 700 bis 800 Kilogramm davon werden so pro Tag gewonnen und kostenfrei abgegeben.

Der Freilufttank des Klärwerks Swarg Ashram in Rishikesh Foto: Bhrigu Khandelwal

Das abgeschöpfte Wasser wird weiter recycelt. Es sieht zwar sauber aus, muss aber noch aufbereitet werden. Dazu fließt es in einen separaten Tank und wird dann chloriert in den Fluss geleitet. Ein Duft von Schwimmbad liegt in der Luft. Von der Spitze der Anlage aus ist ein kleiner Kanal zu sehen, der in den Ganges mündet. Vor der Einmündung in den Fluss ist ein Restchlorgehalt von 0,2 ppm (Teile pro Million) im Wasser erlaubt. Er darf nicht zu hoch sein, sonst schadet er Lebewesen.

„Der Fluss ist krank, weil wir ihn krank machen“

Kri­ti­ke­r:in­nen des Ganges-Reinigungsprojekts bemängeln, dass zwar Kläranlagen gebaut werden, diese aber oft gar nicht oder nicht rund um die Uhr arbeiten. Grenzwerte würden überschritten oder gar nicht alle relevanten Messwerte erhoben. Die Online-Plattform Ganga Tarang, die im Rahmen der Zusammenarbeit mit der GIZ in 16 Kläranlagen eingeführt wurde, soll alle Daten zentral abrufbar machen und für mehr Transparenz sorgen. Es wurden auch Generatoren aufgestellt, um Stromausfälle aufzufangen.

Swami Brahmachari Atmabodhanand ist skeptisch. „Diese Kläranlagen haben nicht die Fähigkeit, Diesel und Reiniger-Rückstände zu entfernen; die restlichen Giftstoffe gelangen direkt in das Wasser“, sagt er. Der junge Swami hinterfragt, warum Wasser aus den Kläranlagen nicht anderweitig genutzt wird, statt einfach in den Ganges zu fließen.

Ingenieur Harish Kumar Bansal, GIZ-Mitarbeiter Merajuddin Ahmad und der Projektmitarbeiter Abhishek Badoni Foto: Bhrigu Khandelwal

Doch der Fluss braucht das Wasser: Weiter oben in den Bergen wird er bereits gestaut und umgeleitet, seine Wassermenge hat bereits stark abgenommen, was sich auf die Qualität des Wassers auswirkt.

„Der Fluss ist krank, weil wir ihn krank machen“, sagt der Diplomingenieur und vergleicht den Ganges mit einem Patienten, dem Heilung versprochen wird, dem aber gleichzeitig Gift verabreicht und Blut abgezapft wird. „Inder:innen sind sehr clever“, sagt er und lacht etwas verzweifelt. Er glaubt, dass die Leute immer Wege finden, um die Regeln zu umgehen.

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Atmabodhanand ist sein Anliegen ernst: Er ist kürzlich erneut in den Hungerstreik getreten, um auf die Zerstörung des Ganges aufmerksam zu machen. Doch er wurde von den Behörden ins Krankenhaus gebracht. In seinem Ashram gab es bereits Todesfälle durch Hungerfasten für den Ganges.

Vorerst ändert sein Engagement nicht viel an der Ironie, dass Abwässer und giftige Chemikalien aus der Industrie weiterhin im Ganges landen, obwohl er als heilig gilt und als Göttin Ganga verehrt wird – und in dem derzeit wieder Hunderttausende während der religiösen Versammlung Kumbh Mela baden.

Viele hier hoffen, dass der Ganges so rein bleibt, er sich selbst aufgrund spezieller Bakterien heilt, die im Wasser nachgewiesen wurden. Doch damit das so bleibt, müssen mehr Menschen dafür sorgen, dass der Ganges, wenn er Uttarakhand verlässt, nicht mehr ganz oben steht auf der Liste der dreckigsten Flüsse der Welt.

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